heute in bremen
: „Wie man die Stadt in Zukunft nutzen möchte“

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Jan Werquet

49, hat über den preußischen Historismus unter Friedrich Wilhelm IV promoviert, ist Kurator für Stadtgeschichte im Focke-Museum.

Interview Lukas Scharfenberger

taz: Herr Werquet, wie sah Bremen Mitte des 19. Jahrhunderts aus?

Jan Werquet: Die meisten Städte haben einen mittelalterlichen Ursprung, das bedeutet, dass Straßen und die Häuser kleiner waren, außerdem gab es eine engere Durchmischung von Wohnungen und Gewerbe. Mit der Industrialisierung entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts andere Bedürfnisse. Unter anderem brauchte der Einzelhandel mehr Platz, weswegen die kleinteilige Struktur aufgelöst wurde.

Wie ging dieser Wandel vonstatten?

In Bremen wurde der Wandel von den großen Kaufleuten initiiert. Besonders der Bau der neuen Börse in den 1860er-Jahren ist hier zu nennen. So große Projekte gab es vorher nicht. Die gesamte Ostseite des Marktes wurde neu bebaut. Die Börse ist also auch der Vorgängerbau der heutigen Bürgerschaft. Dann ging es Schlag auf Schlag weiter. Man verbreiterte die Straßen, um den Verkehr in die Stadt zu bringen. Die heutige Bürgermeister-Smidt-Straße wurde vom Hauptbahnhof bis zur Weser durchgezogen.

Und wie wurde die Stadt dann zu dem, was sie heute ist?

Mit dem Wirtschaftsboom von etwa 1924 bis 1929 entstanden neue Kaufhäuser, vor allem das große Karstadtgebäude in der Obernstraße, mit dem eine neue Dimension von Warenhäusern Einzug in Bremen hielt. Während des Wiederaufbaus, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde die Obernstraße immer stärker zur Einkaufsstraße umgebaut.

Was sagen Sie zum heutigen Stadtbild?

Der Markt ist eine sogenannte Traditions­insel. Man konzentrierte hier historische Bauten, um das Stadtbild zu konservieren. Zu diesem Zweck wurden sogar Gebäude zum Marktplatz verfrachtet. Das Haus, in dem heute die Sparkasse steht, stand früher beispielsweise ganz woanders. Man schuf also ein künstliches, historisches Ambiente, um das Bremer Stadtbild zu bewahren. Ein Steinwurf entfernt wurden aber mittelalterliche Gebäude abgerissen, um dort Kaufhäuser hinzustellen.

Vortrag „Auf dem Weg zur modernen Großstadt“: 19 Uhr, Anmeldungen bis 15 Uhr unter anmeldung@focke-museum.de

Was meinen Sie, wie sich das Stadtbild in Zukunft verändern wird?

Wir haben verschiedene Entwicklungen, die das Stadtbild verändern. Dazu gehört der Internethandel, aber auch die Coronapandemie. Man wird sich fragen müssen, wie man die Stadt in Zukunft nutzen möchte. Da ist es sicher sinnvoll, nicht nur den Einzelhandel im Blick zu haben. Ich hoffe, dass eine kleinteiligere Struktur entsteht, als das was wir jetzt haben. Aus der Krise lernen wir auch: Je stärker eine Monostruktur dominiert, desto krisenanfälliger ist sie auch.

Was halten Sie von einer autofreien City?

Natürlich ist klar, dass die Idee der autogerechten Stadt dazu führte, dass das Leben in der Innenstadt erstickt wurde. Es sollte daher der ÖPNV ausgebaut werden und die Innenstadt ohne Autoverkehr erschlossen werden. Allerdings kann es sein, dass weiterhin Autoverkehr für Zulieferer oder Warentransporte in einer Innenstadt notwendig sein werden.