Songs über Gentrifizierung: Wenn die Decke nach Fisch stinkt

Aus seinem Musikstudio wurde er vertrieben. Nun besingt Rafael Triebel in seinem Soloprojekt CoppiCat programmatisch den Umbau Berlins.

Der Sänger Fabian Triebel vor buntem Hintergrund

Freiheit bemisst sich an der Miete, die man sich leisten kann: Musiker Rafael Triebel aka CoppiCat Foto: Sophie Euler

„Zeitlos und elegant“ sei sie, die Deckenplatte „Decorate“, verspricht der Hersteller, sie „kaschiert elegant Baumängel und kleine Risse“. Ist die Decke erst einmal abgehängt, ziehen die 50 mal 50 Zentimeter großen Platten „bewundernde Blicke auf sich und geben dem Zuhause einen schwelgerischen Charakter“. Hinter einer dieser Platten allerdings, in einem ehemaligen Musikstudio in der Coppistraße, verbirgt sich seit einiger Zeit ein toter Fisch. Wer also gerade in Lichtenberg nach dem Ursprung dieses unerklärlichen Gestanks sucht, sollte einen Blick hinter die Deckenabhängung werfen.

Der vergammelnde Fisch war ein letzter Gruß von Rafael Triebel an jene, die ihn aus seinem Studio vertrieben haben. Der Musiker gesteht das in einem Lied, das „In der Coppistraße“ heißt und Teil der ersten, kurzen EP seines Solo-Projekts CoppiCat ist. Eine EP, in deren drei Songs es programmatisch um die Veränderung Berlins, den Umbau dieser Stadt geht.

Zugegeben, Triebel ist nicht der Erste, der sich damit beschäftigt. Das Thema hat lange schon Einzug gefunden in die Popkultur, vor allem in die, die aus Berlin kommt. Popmusikerinnen und Popmusiker schreiben Lieder, ganze Alben und Christiane Rösinger mit „Stadt unter Einfluss“ sogar ein Musical darüber, dass Berlin auch nicht mehr das ist, was es mal war, und fragen sich, wohin das noch führen soll.

Das mag wohl nicht zuletzt daran liegen, dass viele Mu­si­ke­r*in­nen ja einst nach Berlin gekommen sind, weil es mal billig war und sich ein Leben in der Nische und ohne viel Geld hier noch halbwegs bewerkstelligen ließ. Dann aber, logisch, gehörten dieselben Mu­si­ke­r*in­nen in ihrem strukturell prekären Lebensentwurf zu den Ersten, die von der Gentrifizierung betroffen waren. Zuerst verschwanden die Proberäume aus den Szenevierteln, dann wurden die Clubs verdrängt, und schließlich zogen auch die Mu­si­ke­r*in­nen selbst nach Lichtenberg. Dass sie dafür zumindest mitverantwortlich sind, dass die Verdrängung überhaupt in Gang kam, ist eine bereits vielfach diskutierte Ironie der Geschichte.

CoppiCat: „CoppiCat“ (Coppicat)

Das, was Rafael Triebel alias CoppiCat passiert ist und zu seiner eben erschienenen ersten EP geführt hat, darf nun als Paradebeispiel für diese Geschichte gelten. Der gebürtige Berliner Triebel spielte früher einmal Gitarre in der Popband Radiopilot, die zwar einen Vertrag bei einer großen Plattenfirma ergattern konnte, aber anschließend nur sehr überschaubare kommerzielle Erfolge feierte. Als sich Radiopilot 2013 auflösten, hatte Triebel bereits sein Studio in der Lichtenberger Coppistraße, in dem er Filmmusik aufnahm und Bands produzierte, nicht weit entfernt vom „Rockhaus“.

Triebel war mit dabei bei den Demonstrationen, die dazu beigetragen haben, dass das „Rockhaus“ mit seinen 186 Proberäumen erhalten werden konnte. Kurz darauf aber wurde der Mietvertrag für sein eigenes Studio nicht mehr verlängert, was man getrost als exemplarisch lesen kann: Das Symbol war gerettet, aber die grundsätzliche Situation blieb unverändert beschissen, die Verdrängung ging fröhlich weiter.

Als Triebel nach 13 Jahren sein Studio verlor, war der Moment gekommen, unter seinem Alias CoppiCat, das er bislang ausschließlich dazu verwendet hatte, Remixe für Bands wie Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen oder The House Of Love zu produzieren, einen Kommentar zur Lage abzugeben.

Der erste Song, der entstand und einer von dreien auf der EP, ist erwartungsgemäß stark autobiografisch: „In der Coppistraße“ ist ein nervös vorwärtstreibendes Stück, in dem Triebel mit nölender Stimme den Verlust alter Selbstverständlichkeiten und Freiheiten beklagt und feststellt, dass sich die Freiheit eben auch nach der Anzahl der Kubikmeter bemisst, deren Miete man sich leisten kann.

Sehr viel aufgeräumter ist „Unsere alte Liebe“, ein eingängiger Power-Pop-Song, dem man eine satte Bläsersektion wünschen würde, aber auch er handelt ganz konkret vom Umbau der Stadt. „Wir waren verwirrt, wir haben nichts mehr verstanden“, singt Triebel und führt damit die übliche Klage über höhere Mieten und reiche schwäbische Erben, die einem mit dem Bugaboo in die Hacken fahren, auf eine höhere, persönliche Ebene, auf der er sich auch damit beschäftigt, was dieser Prozess in den Seelen der Verdrängten anrichtet.

Zu diesem Song gibt es einen sehr schönen POV-Videoclip, in dem der Protagonist noch einmal seinen alten Kiez abschreitet und unter anderem auch auf einem Spielplatz landet. Man sieht seine Füße über ein Balance-Gerüst spazieren oder auf dem Trampolin herumhüpfen, die eigene Kindheit wird stillschweigend verknüpft mit den neuen Bewohnern, deren Nachwuchs nun an denselben Orten ähnliche, aber doch ganz neue Kindheitserfahrungen sammelt, in denen womöglich ja auch „Decorate“ eine Rolle übernimmt.

Jedenfalls scheinen die Deckenplatten derzeit so beliebt zu sein, dass sie nicht lieferbar sind.

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