Grüne Sprecherin für Europapolitik: „Die Ampel ist nicht ungewöhnlich“

In der EU arbeiten Grüne oft in bunten Bündnissen, sagt Franziska Brantner. Ein Gespräch über autofreie Viertel in Stockholm und harte Asylpolitik.

Die nächste Bundesregierung müsse die BürgerInnen anders einbeziehen, sagt Franziska Brantner Foto: dpa

taz: Frau Brantner, eine Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP wird gerade heftig diskutiert – als mögliches Modell für die nächste Bundesregierung. Wie regieren Grüne in anderen europäischen Ländern?

Franziska Brantner: Die Ampel ist im europäischen Maßstab nicht ungewöhnlich. In Schweden hat die Regierung zum Beispiel Herzensanliegen von Grünen und Liberalen zusammengebracht, indem sie auf Entbürokratisierung setzt – aber eben auch auf Klimaschutz. In Finnland regieren die Grünen mit den Sozialdemokraten, Liberalen, den Linken und der Partei der schwedischsprachigen Minderheit. Leider ist die FDP rückwärtsgewandter als ihre europäischen Partner. Fast überall arbeiten die Grünen in lagerübergreifenden Koalitionen. Zweierbündnisse mit Sozialdemokraten existieren nicht mehr. Die Wirklichkeit ist bunt.

Gibt es etwas, was grünes Handeln in den Bündnissen charakterisiert?

Der Wille zu engagiertem Klimaschutz. In allen Koalitionsverträgen zeigt sich der Anspruch, mit der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität zu gehen. Bisher hofften manche, dass Regierungen in Sachen Klimaschutz wieder umfallen und gehen deswegen nicht in die Vollen. Damit ist in den sechs Ländern, in denen Grüne mitregieren, Schluss. Oft wird der Transformationsanspruch zum Leitgedanken der ganzen Regierung, auch wenn die Grünen nur der kleinere Partner sind.

taz: Auch andere Parteien kümmern sich längst um Klimaschutz. Taugt das noch als grünes Alleinstellungsmerkmal?

Entscheidend ist, wo bei begrenzten Ressourcen die Prioritäten liegen. Ein Beispiel aus Luxemburg: Die Regierung unter Premierminister Xavier Bettel setzt bei der Verkehrsplanung nicht mehr auf die größtmögliche Zahl der Fahrzeuge, sondern auf die größtmögliche Zahl der transportierten Personen. Autos bleiben erlaubt, aber der ÖPNV wird bevorzugt. Die neue Priorität verändert das Denken. Grüne trauen sich auch oft, andere Formen der Bürgerbeteiligung auszuprobieren.

Ein Beispiel?

In Stockholm führten Grüne autofreie Viertel ein – mit einer, wie ich finde, guten Idee. Einen Monat lang wurde die Straße für Autos gesperrt, danach für einen Monat der alte Status Quo wieder eingeführt. Dann stimmten die BürgerInnen ab. Die Mehrheit entschied sich für die autofreie Variante. Solche Abstimmungen können auch anders ausgehen. Aber sie schaffen Akzeptanz.

43, sitzt seit 2013 im Bundestag und ist seit 2021 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.

Welche Schlüsse würden Sie für eine künftige Bundesregierung ziehen?

Die nächste Bundesregierung sollte sich trauen, BürgerInnen anders anzusprechen und einzubeziehen. Winfried Kretschmann hat, als er 2011 in Baden-Württemberg Ministerpräsident wurde, auf eine Politik des Gehörtwerdens gesetzt. Eine Studie der Uni Hohenheim hat neulich belegt, dass die Zufriedenheit der BürgerInnen in Baden-Württemberg mit der Demokratie hoch ist. Eine Regierung sollte auch Themen neu zusammen denken – und sie nicht mehr säuberlich trennen wie bisher. In Österreich ist die Grüne Leonore Gewessler als Ministerin nicht nur für Klimaschutz und Umwelt zuständig, sondern auch für Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Engagierter Klimaschutz ist ohne Technologieoffenheit und ohne eine Mobilitätswende nicht zu machen.

In Österreich tragen die Grünen die brutale Flüchtlingspolitik der konservativen ÖVP mit, setzen dafür aber Akzente beim Klimaschutz. Ist es das wert?

Die ÖVP und die Grünen haben Spielräume in ihren jeweiligen Schwerpunkten, das ist die Verabredung der Koalition. Die Grünen, der wesentlich kleinere Partner, sind bei der Flüchtlingspolitik in einer ungünstigen Rolle. Sie versuchen stets, das Schlimmste zu verhindern.

Die Grünen haben einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, der es der ÖVP erlaubt, sich in der Flüchtlingspolitik andere Mehrheiten im Parlament zu suchen – zum Beispiel mit der rechtsextremen FPÖ. Was ist das anderes als eine Bankrotterklärung?

Der Passus im Koalitionsvertrag lässt sich nur vor dem Hintergrund der österreichischen Verhältnisse verstehen. Über der Koalition schwebte stets die Drohung, dass die ÖVP zur Not auch mit der FPÖ koalieren könnte. Der Passus war für die Grünen die Chance, eine asylrechtliche Giftliste der ÖVP zu verhindern. Ob das gelungen ist – darüber lässt sich streiten.

Das ist freundlich formuliert. Als das Flüchtlingslager Moria brannte und Kanzler Sebastian Kurz die Aufnahme von Geflüchteten strikt ablehnte, standen die Grünen hilflos daneben. Ebenso, als neulich gut integrierte Kinder mit ihren Familien abgeschoben wurden.

Wie gesagt, Österreichs Grüne sind in einer misslichen Position. Aber sie haben auch Verbesserungen für Geflüchtete erreicht, und erlauben Sie mir ein Gedankenspiel: Was hätten die österreichischen Grünen erreicht, wären sie in der Opposition geblieben und die FPÖ eingesprungen?

Ist die Koalition in Österreich ein Vorbild für Deutschland?

Nein, wir sind nicht Österreich. Die Situation ist zum Glück anders, auch die CDU nicht die ÖVP. Die deutschen Grünen brauchen in einer künftigen Koalition progressive Fortschritte in allen Politikfeldern, auch im Sozialen oder in der Flüchtlingspolitik. Klimaschutz allein reicht nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.