In Zwischenreichen

Lieber die Parkplatzmelancholie der Schlafstädte als deutscher Frust im Winkel: Ricarda Junges Debütroman „Kein fremdes Land“

Beschreibungskunst ist Ricarda Junges Sache nicht. Steifbeinig bewegt sich ihr Roman „Kein fremdes Land“ über geschotterte Lebenswege. Gleich bleibend lapidare Berichterstattung bringt die Handlung träge voran und den Leser in Szenen, die in ihrer US-amerikanischen Tristesse aus Literatur und Film wohl bekannt sind, aber deshalb noch lange nichts von ihrer Schwere und verhexten Bewegungslosigkeit eingebüßt haben.

Dies ist ein Buch für Europäer, die gern die breitspurige Hoffnungslosigkeit der Neuen Welt goutieren, die der weiten Parkplatzmelancholie der Schlafstädte mehr Welthaltigkeit zubilligen als dem deutschen Frust im Winkel. „Kein fremdes Land“ handelt vom Exil. „Seltsamerweise dachte ich auf einmal an deutsche Marmelade. Es ist die beste Marmelade der Welt.“ Tom ist in Deutschland aufgewachsen und arbeitet seit einiger Zeit für die Philadelphia News. Seine Mutlosigkeit ist leicht nachvollziehbar. Es ist die Überforderung des Emigranten, dessen Energien vollständig verbraucht werden für die Aufrechterhaltung seiner Würde in einer fremdartigen Umgebung. Den amerikanischen Figuren im Roman geht es aber nicht anders. Toms Freundin ist Lehrerin, und ihr Beurteilungsvermögen verwildert bei der Arbeit zusehends. Sie glaubt, tätliche Angriffe auf ihre Person selbst zu provozieren, und rätselt an dieser eingebildeten Disposition.

Die verzweifelte Machtlosigkeit bei klarster Sicht auf die Welt ist die Konstante in Junges Roman. Folgenschwer irrationale Entscheidungen und schleichender Irrsinn sind die Konsequenzen. Fremd im eigenen Land, von dem man doch genau weiß, wie man in ihm leben kann, wie angenehm und friedlich, weil Bush weit entfernt, der Himmel hoch und der Irak noch viel weiter weg ist. Die Romanfiguren haben präzise Vorstellungen vom Leben, sind nicht entfremdet, aber nie in der Lage, die Entwicklung der Geschehnisse in die eigene Hand zu nehmen.

Mit dieser Machtlosigkeit scheinen sie lange vertraut zu sein. „Kein fremdes Land“ ist der richtige Titel für dieses Buch. Er beschreibt den Fatalismus derer, die sich mit Situationen auseinander setzen müssen, die sie voraussahen, die immer reagieren, nie agieren, deren Monotonie unausweichlich ist und die, bei vollstem Wissen, so einen gewaltigen Überdruss anstauen, dass sie ihre Empfindsamkeit als lästige Zusatzausstattung wahrnehmen, deren sie sich am liebsten sofort entledigen würden.

„Kein fremdes Land“ ist Ricarda Junges erster Roman. Für ihr 2003 veröffentlichtes Erzähldebüt „Silberfaden“ erhielt die am Leipziger Literaturinstitut ausgebildete Autorin etliche Preise. Auch ihre Erzählungen handeln von geografisch wie psychisch vagen Zwischenreichen. Die Ich-Erzählerinnen leben in New York, Berlin, Leipzig oder sind auf der Durchreise in Krakau oder am Timmendorfer Strand. Die Ortswechsel spiegeln ihre Unsicherheit wider. Bei solch postpubertären Problemen hat Humor nichts verloren. Doch trotz tragischer Attitüde sind Junges Charaktere zu wenig komplex, als dass man sie über einen längeren Zeitraum ertragen könnte. Das Format der Kurzerzählung passte ihren Stimmungsbildern besser als die epische Länge eines Romans. GUSTAV MECHLENBURG

Ricarda Junge: „Kein fremdes Land“. S. Fischer Collection 2005, Frankfurt am Main 2005, 281 Seiten, 15 Euro