heute in hamburg
: „Die Groko ist nicht handlungsfähig“

Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Jens Kerstan 55, ist Umweltsenator in Hamburg. Er ist Mitglied der Grünen.

Interview Emmy Thume

taz: Herr Kerstan, kann die Stromversorgung von Hamburg und Schleswig-Holstein bis 2035 komplett erneuerbar sein?

Jens Kerstan: Ja, das hat unser Projekt New 4.0 bestätigt. Da haben Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik wirklich beeindruckende Ergebnisse erzielt und Projekte auf den Weg gebracht, die wirklich funktionieren. Wir haben eine Blaupause entwickelt, wie die Energiewende weitergehen muss, damit wir wirklich auf 100 Prozent erneuerbare Energien kommen – bei gleichzeitig sicherer Versorgung.

Was hat das Projekt New 4.0. dazu beigetragen, dass dieses Ziel näher rückt?

Es sind technische und regulatorische Pro­bleme untersucht worden: Wie man Strom zwischenspeichern kann, wie bei schwankenden Einspeisungen das Netz auch ohne Großkraftwerke stabil bleibt. Und wie gesetzliche Rahmenbedingungen aussehen müssen, damit das Ganze funktioniert. Am Ende ist das auch ein IT-Projekt. Man braucht Echtzeit-Informationen, die zwischen Produzenten und Verbrauchern ausgetauscht werden. Themen, bei denen Kritiker sagen, dass sie die Energiewende unmöglich machen, sind hier ausprobiert worden, und die Tests waren erfolgreich.

Das Projekt soll auch die Stromversorgung mit Verkehr, Industrie und Wärmeversorgung verknüpfen. Was plant Hamburg?

Die Abschlussveranstaltung des Projekts NEW 4.0, ein Projekt für die Entwicklung klimafreundlicher Energiesysteme in Hamburg und Schleswig-Holstein, findet heute statt

Wir haben die wesentlichen Bausteine ausprobiert, die man braucht, um über den Stromsektor hinaus andere Sektoren erneuerbar zu gestalten, ohne CO2. Im Wärmebereich geht es darum, überschüssigen Windstrom in Wärme umzuwandeln oder zwischenzuspeichern. Am Kohlekraftwerk Wedel wollen wir einen großen Speicher bauen, der ihn für die Wärmeversorgung nutzbar macht. In Moorburg soll ein Green Energy Hub entstehen und in einem Elektrolyseur grüner Wasserstoff produziert werden. Bei der Wärmewende sind die einzelnen Bausteine schon in Arbeit. Bei der Mobilität werden wir noch länger brauchen, bevor wir die Projekte im großen Maßstab umsetzen können.

Welche Risiken birgt es, die Versorgung ganz auf erneuerbare Energien umzustellen?

Das Projekt und die letzten Jahre haben eindrücklich gezeigt, dass die Energiewende nicht an fehlenden Technologien oder fehlender Investitionsbereitschaft in Wirtschaft und Industrie scheitert, sondern an der untätigen Bundesregierung. Die hat in den letzten Jahren die Gesetze und Verordnungen nicht der neuen Energiewelt und auch nicht dem technischen Fortschritt angepasst. Noch fehlen die Voraussetzungen, für ein Energiesystem, das zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien funktioniert. Um für unsere Region das Jahr 2035 einzuhalten, hätten wir jetzt schon neue Regulierungen gebraucht. Diese sind auch nötig, um beim Klimaschutz voranzukommen. Die Energiewende ist ja kein Selbstzweck, denn Energie, Wärme und Wasserstoff sind auch Innovationsthemen für einen klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft. Die Groko in Berlin ist leider vor der Bundestagswahl nicht mehr handlungsfähig. Die Zeit drängt und wir brauchen jetzt eine Regierung, die das Thema mit Hochdruck angeht. Die wird man aber wohl erst nach der nächsten Bundestagswahl bekommen.