Corona-Impfungen beim Hausarzt: Das Glück beim Doktor

Ein besonderer Tag für Anita Drews: Endlich wird sie geimpft – und das um die Ecke. Die Nachfrage beim Hausarzt übersteigt das Angebot mehrfach.

Die Hausärztin mit Maske und Spritze

Die Ärztin Wiebke Bergner zeigt eine Spritze mit dem Impfstoff von Biontech in ihrer Praxis Foto: Stefanie Loos

BERLIN taz | Heute nur Impftermine“ steht auf einem kleinen weißen Schild vor der Praxis am Maybachufer in Berlin-Neukölln. Es ist ein sonniger Tag, die Menschen flanieren am Landwehrkanal, der Frühling liegt in der Luft – und damit auch die Hoffnung auf bessere Zeiten. Ein besonders guter Tag ist es für Anita Drews: Die 57-Jährige erhält heute ihre lang ersehnte Covid-19-Impfung. „Ich bin sehr froh darüber“, sagt Drews. Auch, weil sie hier bei ihrer Hausärztin geimpft werden kann und nicht ins Impfzentrum fahren muss: „Hier ist es familiärer. Ich kenne die Praxis schon lange und sie kennen mich.“

So wie Anita Drews geht es an diesem Freitag noch 23 weiteren Berliner*innen, die in der Praxis ihre Erstimpfung erhalten, darunter vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen, die ein hohes Risiko für eine Covid-19-Erkrankung tragen. Lange haben sie auf die begehrte Spritze gewartet. Umso größer war die Freude, als sie von ihrer Hausarztpraxis angerufen wurden.

Verimpft wird die Biontech-Vakzine „Comirnaty“. Drei Feindosierspritzen liegen fertig abgefüllt in einer Nierenschale im Behandlungszimmer bereit. Sie sind am Morgen von den Mitarbeiterinnen der Praxis vorbereitet worden. Dabei muss der Impfstoff, der in kleinen Glasampullen geliefert wird, mehrmals geschwenkt und mit einer Kochsalzlösung verdünnt werden, bevor er in die feinen Spritzen aufgezogen wird. Das alles geschieht unter größter Vorsicht. „Der Impfstoff ist super empfindlich, den darf man nicht erschüttern“, sagt Allgemeinmedizinerin Dr. Wiebke Bergner, die heute mehreren Pa­ti­en­t*in­nen die erste Impfdosis verabreicht.

Eine der Spritzen ist für Anita Drews vorgesehen. Um halb zwölf sitzt sie gut gelaunt im Behandlungsraum. Ärztin Bergner kontrolliert zunächst die Unterlagen, dann folgt die Impfaufklärung. Bergner erklärt, welche typischen Impfreaktionen zu erwarten sind und ab wann der volle Impfschutz besteht. Nur noch ein kurzer Piks, und schon ist alles erledigt: der Impfstoff im Arm, die Patientin glücklich. Nach weniger als zehn Minuten verlässt Drews das Behandlungszimmer, eine halbe Stunde soll sie aber noch zur Nachbeobachtung in der Praxis bleiben. „Dann können wir einfach besser auf Sie aufpassen“, sagt Bergner.

„Mehr Patienten als Impfstoff“

Am Empfang der Praxis herrscht derweil reger Betrieb. Immer wieder klingelt das Telefon, immer wieder kommen Menschen herein und möchten sich auf die Liste für die Impfungen setzen lassen. Nicht alle sind damit erfolgreich, auch hier geht es nach dem Priorisierungsplan. „Es gibt mehr Patienten, die geimpft werden möchten, als wir Impfstoff haben“, sagt Michelle Reitz, medizinische Fachangestellte in der Praxis. 48 Dosen haben sie in der ersten Woche erhalten, in der darauf folgenden sind es nur 30. Es stehen aber rund 300 Menschen, die vorrangig geimpft werden sollen, auf ihrer Liste.

Bundesweit wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums in der Woche nach Ostern insgesamt 941.850 Biontech-Impfdosen an 35.000 Arztpraxen ausgeliefert. In der zweiten Woche sollen es rund eine Million Dosen sein. Allerdings haben auch mehr Praxen Bedarf angemeldet, insgesamt 45.000, wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung meldet.

Trotz leicht angestiegener Menge der Impfdosen dürften die Lieferungen also für einige Praxen geringer ausfallen als in der Vorwoche. Und auch die Woche ab dem 19. April verspricht noch keine nennenswerten Besserungen. Jüngst kursierten zudem Medienberichte über eine Kürzung der Impfstofflieferungen an die Praxen. Zwar beschwichtigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Die Liefermenge bleibe gleich, sie setze sich lediglich ab Ende April anteilig aus der Biontech- und der AstraZeneca-Vakzine zusammen.

AstraZeneca hat einen schlechten Ruf

Doch hat letztere inzwischen auch in den Praxen einen schlechten Ruf. „Die Patienten sind immer erleichtert, wenn sie hören, dass ich mit Biontech impfe“, erzählt Monika Buchalik, Allgemeinmedizinerin in Maintal und Vizepräsidentin der Landesärztekammer Hessen. Auch andere Praxen berichten von Akzeptanzproblemen mit AstraZeneca.

Zudem wünschen sie sich mehr Planungssicherheit. Immer Donnerstags erfahren die Praxen, wie viel Impfstoff sie jeweils in der folgenden Woche erhalten. Ob wirklich alle zugesagten Dosen ankommen, wisse sie aber letztlich erst im Moment der Lieferung, sagt Dr. Irmgard Landgraf, internistische Hausärztin in Berlin-Steglitz und Vorstandsmitglied des Hausärzteverbands Berlin-Brandenburg. „An dieser Impfung hängt ganz viel für die Menschen. Da fließen Tränen der Entlastung, Tränen der Dankbarkeit.“ Wenn Impftermine wieder abgesagt werden müssten, weil Lieferungen ausfallen, verunsichere das die Menschen.

Patientin sitzt mit Maske im Wartezimmer

Es lebe die Bürokratie: Die 57-jährige Anita Drews kurz nach ihrer ersten Impfung Foto: Stefanie Loos

Was die Impfung bedeutet, das spürt man an diesem Tag auch in der Praxis am Maybachufer. Die Patient*innen, die hier heute ein- und ausgehen, wirken hoffnungsvoll, optimistisch und vor allem: erleichtert. Impfling Christoph Lange, der seine Spritze bereits am Tag zuvor bekommen hat, erzählt: „Ich war wahnsinnig glücklich, ich war den Tränen nah vor Freude.“

Zweifel oder Sorgen vor den Nebenwirkungen habe er keine gehabt, sagt Lange, der seinen richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte: „Ich bin ohnehin ein Nerd und hab mich total informiert über alles.“ Damit scheint er nicht der Einzige zu sein: Viele seien schon vor dem Termin sehr gut aufgeklärt, sagt Wiebke Bergner. „Ich bin erstaunt, wie wenig Nachfragen kommen. Einigen ist nicht klar, wann der Impfschutz einsetzt, ansonsten sind die meisten Pa­ti­en­t*in­nen sehr gut informiert.“

Sie sagt aber auch:„Viele hoffen natürlich, dass es das jetzt war. Dass wir aber vermutlich noch längere Zeit mit Corona zu tun haben, das ist noch nicht allen klar.“ Zugleich ärgert sich die Ärztin über die Fehler, die die Politik in dieser Pandemie gemacht habe. „Es ist schlimm, was die Menschen ausbaden müssen in diesem Jahr. Fast 80.000 Coronatote bei uns, das ist sehr, sehr viel“, sagt Bergner. „Man darf auch nicht vergessen, dass hinter diesen ganzen Zahlen Menschen, Angehörige und Familien stehen. Das ist ein großes Drama.“

Mit den Hausärzten bekommt die Impfkampagne Tempo

Viel Kritik gab es in den vergangenen Monaten daher auch am schleppenden Impffortschritt in Deutschland. Doch hier könnte sich nun etwas tun: Mit dem Start der Impfungen in den Hausarztpraxen hat die Impfkampagne an Fahrt aufgenommen, an den Statistiken kann man deutlich erkennen, wie die Zahlen nach oben schießen. Am 7. April haben die Impfungen in den Praxen begonnen, für den gleichen Tag meldet das Robert Koch-Institut insgesamt 670.697 verabreichte Impfdosen – mehr als jemals zuvor an einem Tag verimpft wurde. Über 300.000 dieser Dosen wurden in den Hausarztpraxen verimpft.

Die All­ge­mein­me­di­zi­nie­r*in­nen sehen darin ein eindeutiges Signal: Die Menschen gingen eben doch lieber in ihre Hausarztpraxis als ins Impfzentrum. „Viele haben gesagt, sie würden sich nur bei uns impfen lassen“, erzählt Irmgard Landgraf. „Ich kenne die Patienten, ich kann ihnen die Ängste besser nehmen.“ Auch Monika Buchalik ist überzeugt: „Das Vertrauensverhältnis fördert die Impfakzeptanz.“

Die niedergelassenen Ärz­t*in­nen sind stolz darauf, ihren Beitrag zum Impffortschritt leisten zu können, sagen aber auch: Da wäre noch viel mehr drin. Wiebke Bergner schätzt, dass bei ihnen in der Praxis bis zu 100 Impfungen pro Woche möglich wären. Aus anderen Praxen sind ähnliche Zahlen zu hören. Um die Impfkapazität der Hausarztpraxen auszuschöpfen, seien daher rund vier bis fünf Millionen Dosen pro Woche erforderlich, schätzt der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt.

Mit mehr Impfstoff könnte auch bald die strikte Priorisierung aufgelöst werden, so die Hoffnung vieler Hausärzt*innen.

Lästige Bürokratie

Und noch ein Wunsch an die Politik ist aus vielen Arztpraxen zu hören: weniger Bürokratie. Sechs Seiten umfassen Aufklärungs- und Einwilligungsbögen für die Impfung, zahlreiche Fragen müssen beantwortet und Unterschriften gesetzt werden, bevor der Impfling den Ärmel hochkrempeln kann. Und mit dem Piks ist es noch nicht erledigt. Für die Haus­ärz­t*in­nen und Mit­ar­bei­te­r*in­nen folgt dann eine aufwendige Nachbereitung: Dokumentation, Abrechnung, Meldung ans Robert Koch-Institut. Auch deshalb hat die Praxis am Maybachufer an den ersten beiden Impftagen den normalen Praxisbetrieb vollständig eingestellt.

„Das ist auf jeden Fall sehr viel mehr Aufwand als jede andere Impfung“, sagt Mitarbeiterin Michelle Reitz, während sie Unterlagen sortiert und Papiere stempelt. „Das alles in den normalen Praxisalltag zu integrieren, das wird auf jeden Fall schwierig.“ Als medizinische Fachangestellte übernehmen sie und ihre Kolleginnen viele der Aufgaben, die durch die Impfungen anfallen „Das ist schon eine enorme Zusatzbelastung“, sagt Reitz. Auch Hausärztin Monika Buchalik erzählt von der hohen Stressbelastung ihrer Mitarbeiter*innen. Anstrengend seien vor allem die vielen Telefonate. „Meine Mitarbeiterinnen können nicht mehr, die sind mittags fix und fertig“, sagt Buchalik. Die Allgemeinmedizinerin fordert daher einen Coronabonus für medizinische Fachangestellte – auch als Anerkennung für deren wertvolle Arbeit.

Ein Hinweisschild "Heute nur Impftermine" vor der Hausarztpraxis

An Tagen, an denen geimpft wird, bleibt die Praxis für andere Pa­ti­en­t*in­nen geschlossen Foto: Stefanie Loos

In der Praxis am Maybachufer haben die Mit­ar­bei­te­r*in­nen es für diesen Tag geschafft. Um kurz nach zwölf kehrt langsam Ruhe ein, das Wartezimmer ist leer, nur vereinzelt kommen noch Pa­ti­en­t*in­nen zur Impfung. Auch Anita Drews kann nun gehen, am Empfang vereinbart sie noch schnell ihren zweiten Impftermin – im Mai wird sie endlich vollständig geimpft sein. „Das ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, aus dieser Isolation herauszukommen“, sagt sie. „Das gibt mir Kraft für den Endspurt – noch durchzuhalten.“

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