„Es waren zwei verlorene Lebensjahre“

Vier Menschen aus den „Camps“ erzählen von ihrer Lage. Die meisten haben Angst, erkannt zu werden, deshalb sind auf ihren Wunsch die Namen geändert.

Christina, 35, Deutschlehrerin, ist mit Vater, Schwester und Neffen aus Moldawien geflohen.

Deutschland kenne ich aus unterschiedlicher Perspektive. An der Universität studierte ich die deutsche Sprache, dreimal war ich deshalb schon zu Auslandsaufenthalten hier gewesen. Nun bin ich Flüchtling. Mit meiner Schwester, deren Kind und meinem Vater leben wir in Bayern. Unser Asylverfahren läuft noch. Nach einem Regierungswechsel in Moldawien mussten wir aus politischen Gründen fliehen. Die Coronazeit haben wir im Camp einigermaßen überstanden. Mein Neffe ist elf Jahre alt. Es gab da keinen Schulunterricht. Man schickte ihm die Aufgaben, und wir schickten die Blätter zurück. Mich stört es sehr, dass es im Camp kaum Betreuung gibt. Viele Leute wollen Integrationskurse machen, die fallen aber wegen Corona aus.

Die ersten Wochen waren wir alle vier in einem Zimmer. Vor allem unserem Vater war das sehr unangenehm. Das Nebenzimmer war leer, aber wir bekamen es nicht. Jemand sagte: „Das ist hier kein Hotel.“

Als wir einen anderen Angestellten des Zentrums fragten, erhielten wir das Zimmer doch. Meine Schwester und ich waren froh, dass wir teilweise im Camp arbeiten konnten, bei der Kinderbetreuung. Es gab 80 Cent für die Stunde, das waren für uns 25 Euro pro Woche. Davon konnten wir Lebensmittel kaufen, denn das Essen im Zentrum war oft sehr schlecht.

Einmal gab es eine Schlägerei, danach hatte ich Panikattacken. Schlimm ist, dass man die Türen nicht absperren kann. Wir sind viel mit dem Kind rausgegangen, mein Vater ist dageblieben, damit nichts gestohlen wird. Nach einem halben Jahr sind wir in eine bessere Unterkunft verlegt worden. Meine Schwester und ich haben den Mittelschulabschluss gemacht, sie ist jetzt in einer Ausbildung als Pflegerin und ich als Fremdsprachenkorrespondentin. In Moldawien war ich Deutschlehrerin. Sobald es geht, möchte ich zurück, denn mein Leben ist dort geblieben.

Elisabeth, 37, aus einem nicht genannten Land in Ostafrika, lebt im Ankerzentrum in Manching bei Ingolstadt. Sie sehnt sich nach ihrer Freundin in den USA.

Ich bin aus meinem Heimatland geflohen, weil ich lesbisch bin. Die LGBT-Bewegung (Menschen mit lesbischer, schwuler, bisexueller oder Trans-Orientierung) ist dort verboten und im Untergrund. Mit meiner Freundin bin ich mal von der Polizei erwischt worden, wir kamen ins Gefängnis und es drohten sieben Jahre Haft. Freunde aus der Bewegung bestachen die Polizisten, so kamen wir wieder frei. Ich hatte einen eigenen Friseursalon.

Nun bin ich schon ein Jahr in Deutschland und stecke immer noch in Manching fest. Ich habe ein Zimmer zu zweit mit einer anderen Frau, das ist okay. Die meiste Zeit bin ich im Zimmer, lese, bin am Handy. Hier im Camp gibt es leider fast kein WLAN. Wir bekamen Deutschkurse, doch als es mit Corona schlimmer wurde, hat man sie gestrichen. Als Frau werde ich immer wieder von den Männern belästigt. Ein Bewohner ist mir mal fast bis aufs Zimmer gefolgt. Ich habe ihn angeschrien: „Lass mich in Ruhe, ich habe kein Interesse, ich bin lesbisch.“ Das war ihm aber egal.

Ich möchte hier in die Schule gehen und arbeiten. In der Heimat habe ich vier Geschwister und meine Eltern. Sie haben mich ausgestoßen, als ich mich outete. Ich habe versucht, wieder Kontakt aufzunehmen, aber sie haben mich nur beleidigt. Auch in der Gesellschaft und im privaten Bereich werden Schwule und Lesben geächtet. Immer wieder fahre ich mit dem Zug nach München zu LGBT-Treffen, dort gibt es große Solidarität, das tut mir so gut. Ich weiß, dass ich Ingolstadt eigentlich nicht verlassen darf, aber ich mache es trotzdem.

Meine Freundin wiederum ist in die USA geflohen, wo ihre Eltern schon lebten. Sie wissen nichts von unserer Beziehung. Manchmal telefonieren wir stundenlang. Sie ist die Liebe meines Lebens, wir wollen heiraten. Ich weiß nur nicht, wie wir je wieder zueinander kommen können.

Faizah, 23, kommt aus dem Jemen. Ihr Asylantrag wurde anerkannt, nun möchte sie studieren:

Wir sind schon vor längerer Zeit aus dem Jemen geflohen, zuerst nach Malaysia. Doch dort wurde es für Ausländer immer unerträglicher, sodass mein Bruder und ich nach Deutschland kamen. Hier sind wir aber wiederum getrennt. Und die Familie ist zerrissen – meine Mutter und mein kleiner Bruder leben weiterhin in Malaysia.

Zuerst wurde ich in zwei Flüchtlingscamps in Hessen untergebracht, das waren keine Ankerzentren. Sie waren aber fürchterlich. Es herrschte ein schlimmer Ton und es war wie in einem Gefängnis. Ein Mann vom Sicherheitspersonal hat mich verfolgt und dauernd gesagt, dass er mich heiraten möchte. Ich hatte mich darüber beschwert, aber es geschah nichts. Dann kam ich in die Anker-Dependance Am Moosfeld in München. Dort war es viel besser. Beschwerden wurden ernst genommen. Meine Zeit habe ich dort nicht verschwendet, ich lernte Deutsch. Ich bin dankbar dafür.

Am Moosfeld gab es einen massiven Corona-Ausbruch, ich war auch infiziert, zwei Wochen lang war die Anlage komplett isoliert. Wir mussten in den Zimmern bleiben, das Essen wurde vor die Tür gestellt. Aber wir haben es überlebt. Jetzt ist mein Asylantrag anerkannt, ich habe ein Apartment in München. Eigentlich könnte ich schon an die Uni, ich habe die entsprechende Vorbildung, und es gibt ja Studiengänge auf Englisch. Aber ich möchte mein Deutsch jetzt noch verbessern und im Herbst mit Wirtschaftsinformatik anfangen

Dimitry, 35, musste mit seiner Familie die Ukraine verlassen. Nach dem Ankerzentrum leben sie nun in einer besseren Unterkunft

Unsere Familie lebt seit vier Jahren in Deutschland. In Kiew war ich als Mitarbeiter für eine Oppositionspartei tätig. Deshalb sollte ich verhaftet werden, wir mussten fast von einem Tag auf den anderen weg. Hier kann ich natürlich leider nicht mehr als Jurist arbeiten. Als wir in Deutschland ankamen, war unsere Tochter ein kleines Baby. Sie ist jetzt vier Jahre alt, wir haben dann noch eine Tochter bekommen, die ist zwei.

Das Leben im Ankerzentrum war eine schreckliche Erfahrung für uns. Eigentlich dürfen Familien dort nur sechs Monate bleiben, wir waren aber zwei Jahre lang in drei verschiedenen Camps untergebracht, in Manching und in Ingolstadt. Ich weiß nicht, warum. Zwei Jahre lang hatten wir keine Möglichkeit, uns in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, es waren zwei verlorene Lebensjahre. Wir durften nicht einmal einen Wasserkocher im Zimmer haben, um der Kleinen einen Brei zu machen. Ich weiß nicht, wie oft ich dafür tags und nachts in den Zentren zur Küche gelaufen bin.

Seit zwei Jahren sind wir nun in einer kleinen Flüchtlingsunterkunft in Bischofswiesen bei Berchtesgaden, der Ort wurde uns von der Regierung von Oberbayern zugewiesen. Hier ist es viel besser. Jede Familie hat ein Zimmer, Toilette und Bad. 15 Familien teilen sich die Gemeinschaftsküche. Wir haben sofort angefangen, Deutsch zu lernen, meine Frau und ich haben nun das B-1-Niveau.

Wir haben einen festen Plan: Derzeit sind wir in der externen Mittelschule, wo wir im Juni die Mittlere Reife machen können. Dann geht es auf die Fachoberschule für das Abitur. Schließlich wollen wir dual studieren, dabei verdienen wir Geld und sind nicht mehr auf die Unterstützung des Staates angewiesen.

Ich strebe die Bereiche Mathematik und Softwareentwicklung an, meine Frau Olena Mikrobiologie und Bioingenieurwesen. Über die Kinder haben wir hier auch Freunde gewonnen, wir treffen uns immer am Wochenende.

Protokolle: Patrick Guyton