Spitzenkoch leitet Krankenhauskantine: „Das ist besser als jeder Stern“

Der Sternekoch Peter Frühsammer führt jetzt die Krankenhauskantine in Bad Belzig. Ein Gespräch über Urlaub auf dem Teller.

Ein Mann steht zwischen zwei riesigen Kochtöpfen

„Mit Liebe kochen, ist kein Hexenwerk“, sagt der Sternekoch, der jetzt eine Klinik-Kantine leitet Foto: Anja Maier

taz am wochenende: Herr Frühsammer, Sie haben vor Ihrem Job hier in der Klinik in Ihrem eigenen Gourmet-Restaurant vor allem als Sommelier gearbeitet. Wann führen Sie denn eine vernünftige Weinkarte ein?

Peter Frühsammer: Den Ehrgeiz hab ich noch nicht. Aber tatsächlich habe ich eingeführt, dass man hier wieder mit Wein kocht.

Das war nicht möglich vor Ihnen?

In einer Klinik-Kantine geht man halt eher auf Nummer sicher. Es gab tatsächlich die Angst, dass jemand an einer Leberzirrhose stirbt, weil du ans Sauerkraut einen Schluck Weißwein gemacht hast. Aber ich habe mich dann mit den Chefärzten abgesprochen, und solange nicht jemand eine Diät kriegt – und diese Patienten kennen wir natürlich –, kriegen alle Vollkost und das darf einfach lecker sein. Natürlich kippe ich nicht flaschenweise Cognac an ein Dessert, und die Leute fangen dann an zu singen. Aber eine Jus …

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eine Bratensauce …

… genau, die musst du nun mal mit einem Schluck Rotwein ablöschen. Mit Johannisbeersaft funktioniert das eben nicht so gut.

Sie kochen also auch Schonkost?

Ja, für die harten Diäten kochen wir extra. Das hat allerdings oft mit Kochen nicht viel zu tun, das sind Schleimsuppen, passierte Kost. Klar, das sind oft frisch operierte Patienten, die haben Schluckbeschwerden und bekommen ihr Essen schön durchgemüllert. Auch da ist mein Ehrgeiz zwar, dass das gut abgeschmeckt ist, aber optisch ist das natürlich eine Tragödie.

Trotzdem haben Sie das Essen hier revolutioniert. Das, was Sie kochen, ist natürlich noch kein Fine Dining, aber wie weit weg davon ist es?

Da ist die Frage, wie man Fine Dining definiert. Meine Frau und ich, wir haben in Berlin ja zwei Betriebe: einmal das Restaurant …

Der Sternekoch

Peter Frühsammer wurde 1959 geboren, wuchs in der Nähe von Heidenheim auf, wo seine Großeltern einen Landgasthof betrieben, und lernte Koch. 1985 bekam er als Küchenchef seines Restaurants an der Rehwiese in Berlin als jüngster Koch im eigenen Restaurant den Michelin-Stern, eine Auszeichnung, die er neun Jahre lang behielt. Er ist aktueller „Gastgeber des Jahres“ in Berlin und Ehemann von Sonja Frühsammer, deren Kochkünste im gemeinsamen Restaurant im Berliner Grunewald erstmals 2014 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurden.

Der Krankenhauskoch

Im September 2020 machte Frühsammer Schlagzeilen, als er zuerst die Beratung, dann die Leitung der Küche im Ernst-von-Bergmann-Klinikum im brandenburgischen Bad Belzig übernahm. Das Ehepaar Frühsammer wohnt nicht weit entfernt in Beelitz und züchtet Hühner und Islandpferde.

in dem Ihre Frau Sonja Frühsammer sich einen Stern im Michelin-Führer erkocht hat.

Und das Bistro, um das ich mich vor allem kümmere. Von der Qualität in diesem Bistro sind wir in der Klinik nicht so weit entfernt. Aber wir machen natürlich keine ambitionierte Sterneküche, wir hätten schon für das Anrichten keine Zeit. Bei 150 Portionen auf dem Fließband kann es nicht um Mikado-Spiele gehen, da geht es um Funktionalität. Wir designen das Essen nicht, aber es ist schon gehobene Küche.

Sie benutzen also weiterhin die grauen Krankenhaus-Tabletts?

Ja, die Tabletts sind keine Schönheiten, aber wir können sie nicht abschaffen, denn ohne das System mit seinen Förderbändern und Transportwägen geht es nicht. Aber wir richten schon mal in großen Schüsseln an und benutzen den fürchterlichen Dreierteller nur noch, wenn es wirklich sein muss. Früher wurde prinzipiell immer auf diesem grauseligen Menüteller angerichtet.

Früher war hier auch das Essen so legendär schlecht, dass in der Cafeteria für die Mit­ar­bei­te­r*in­nen keine 20 Essen verkauft wurden. Jetzt sind es über 100. Wie haben Sie das geschafft?

Das ist eigentlich ganz einfach: Wir kochen nicht mehr mit Convenience-Produkten, sondern so weit es geht frisch und mit regionalen Zutaten.

So einfach ist das?

Ja. Man kann Saucen nicht aus Pulver kochen, das geht nicht, denn das schmeckt man. Als ich herkam, wurde um zehn Uhr vormittags aufgehört mit dem Kochen, damit um 10.30 Uhr die Küche geputzt war. Denn Viertel vor elf geht das Band los und es muss aufgetan werden. Heute bin ich um elf Uhr mit dem Kochen fertig, vielleicht auch erst um halb zwölf, dann geht der letzte Teller raus, denn ein Risotto kann man nicht warmhalten. Oder Spaghetti mit Pesto, das kann man nicht vorkochen, das sieht nach einer Viertelstunde wie Matschepampe aus.

Ist Tiefkühlkost denn wirklich so schlimm?

TK-Bohnen werden matschig, so einfach ist das. TK-Erbsen lass ich noch durchgehen, die sind super. Aber jeder, der mal frischen Spinat gegessen hat, der kann keinen TK-Spinat mehr essen – das sind Welten.

Diese Umstellung war mit Mehrarbeit für Ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen verbunden. Die haben das alles so mitgemacht?

Das mussten sie ja. Die Ansage war: Entweder kochen diese 14 Leute hier besser oder wir sourcen aus und bestellen Essen auf Rädern. Es ging um ihre Arbeitsplätze. Aber trotzdem war es nicht einfach. Ich musste schon aufpassen, dass keiner mit dem Messer nach mir schmeißt. Dabei war ich vorsichtig mit ihnen, das dachte ich zumindest. Aber ich habe meine Prinzipien und ein paar Sachen gehen eben nicht. Man kann keine vorgeschälten Kartoffeln kaufen, und es gibt auch keinen Grund, warum man Möhren nicht frisch zubereitet. Und eine Mehlschwitze muss man in Butter ansetzen, das geht nicht mit Margarine, dann kocht das nur und wird pampig. Und so war das Essen vorher halt auch: pampig.

Wie haben Sie Ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen überzeugen können?

Es gab Krisensitzungen, es gab Eklats, aber schlussendlich haben die gesehen, dass ich selber mitmache, dass ich ackere. Ich bin keiner, der bloß delegiert. Aber die wissen auch genau: Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde sich hier noch viel mehr verändern.

Und nun haben alle Freude am richtigen Kochen?

Wenn, dann lassen sie es nicht so raus. Die jammern schon noch ein bisschen, aber ich weiß natürlich auch, dass meine Mitarbeiter für kleines Geld arbeiten, das ist Kochen im öffentlichen Dienst. Aber der eine oder die andere erzählt jetzt manchmal auch, dass sie mittlerweile stolz sind, hier zu arbeiten.

War es womöglich ein lang gehegter Traum von Ihnen, mal in so einer Kantine aufzuräumen?

Nein, ein Traum war das nicht. Ich kannte mich vorher schon in Kantinen aus, das war kein Neuland, kein Kulturschock für mich. Ich habe in einem großen Laden mit Kippbratpfanne und Dampfkochkessel gelernt. Als ich hierher kam, habe ich mich erst einmal gefreut: Das war wieder Kochen wie in der Lehre. Früher hatten Sonja und ich einen Catering-Service, der auch Kantinen betrieben hat. Die eine war eine Luxuskantine, die andere genau das Gegenteil in einem großen Autohaus. Da musstest du Pommes machen, sonst hätten die Schrauber revoltiert. Currywurst war Standard – und die Currywurst, die ich damals gemacht habe, mit eigener Rezeptur und ketchupfreier Currysauce, die gibt es hier jetzt auch.

Ist die größte Herausforderung bei solch einer Umstellung, das Budget einzuhalten?

Im Moment nicht, weil wir wegen Corona kein Budget einhalten müssen. Ich kann kochen, was ich will. Ich achte schon auf die Kosten, aber ich habe vor allem die Maßgabe, dass es den Leuten schmecken soll. Wir sollen die Patienten und vor allem die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen glücklich machen, weil die durch die besonders harte Arbeit in dieser Pandemie auf dem Zahnfleisch gehen. Da geht es gar nicht so sehr darum, dass die etwas essen, sondern dass die Mittags eine halbe Stunde Urlaub machen können. Die sollen einen Teller bekommen, dem sie anmerken: Da hat jemand mit Liebe etwas für sie gemacht. Das Essen ist ein Zeichen der Wertschätzung.

Was zeichnet denn ein wertschätzendes Essen aus?

Das ist natürlich vor allem die Frische. Aber auch das witzige, durchdachte Würzen. Also nicht nur Salz und Pfeffer, sondern ein Tick, der es besonders macht. Wenn ich übers Hühnerfrikassee am Schluss noch eine Limette drüber hobele, dann hat das einen ganz anderen Flair, dann schmeckt es tiefer und frischer.

Gutes Essen trägt sicherlich zur Gesundung bei, trotzdem ist ausgerechnet in Kliniken das Essen oft fürchterlich. Warum?

Das fragen Sie mich? Ich habe keine Ahnung. Gerade dort, wo Menschen entweder sehr hart arbeiten oder sehr krank sind, müsste man doch darauf bauen, dass ein gutes Essen glücklich und gesund macht. Das Argument sind natürlich immer die Kosten, aber wenn ich mit wenig Personal Convenience-Produkte aufwärme, dann kommt das doch aufs Gleiche raus wie wenn ich mit mehr Personal frische Produkte zubereite. Wenn ich den Rotkohl nicht aus der Dose nehme, dann kocht der halt ein bisschen länger. Das braucht ein bisschen Liebe zum Produkt, ein bisschen Liebe zum Kochen, aber Hexenwerk ist das nicht.

Das, was Sie hier machen, wäre also in jeder Kantine möglich?

Im Prinzip: ja. Jeder Koch könnte das in jeder Kantinenküche machen, aber eben nur, wenn man ihn lässt. Das, was wir hier machen, ist mit Liebe und viel Engagement gemacht, aber es ist einfachstes Handwerk. Trotzdem ist es schwer, dieses Handwerk wieder zu reaktivieren, denn überall hört man dieselben Sätze: Das geht hier nicht. Das wollen wir nicht. Das war schon immer so. Das sind die Standardausreden – und da muss einer kommen, der das nicht mehr will, der es anders macht. Und der braucht die Unterstützung der Geschäftsführung, sonst ist der Versuch zum Scheitern verurteilt.

Und diese Unterstützung haben Sie?

Ja, ohne ginge es nicht. Die Geschäftsführung steht hinter mir – und hat mir nach den ersten Wochen, in denen ich noch als Berater engagiert war, die Festanstellung angeboten.

Auch weil Sie ein Unique Selling Point für diese Klinik sind?

Ja, das kann schon sein. Natürlich verbessert ein besseres Essen das Image so einer Klinik, nicht nur, weil mein Gesicht ab und an im Fernsehen ist, sondern weil Menschen, wenn sie gut gegessen haben, hier zufriedener wieder rausgehen.

Wie sind die Reaktionen denn?

Total unterschiedlich. Einmal habe ich Avocados in Tomatenstaub paniert, dazu gab es vegetarischen Kaviar aus Basilikumsamen und frisch gebackene Blinis. Das war der erste Teller, von dem ich dachte, der ist jetzt wirklich anspruchsvoll, das geht schief. Aber ausgerechnet da kamen Schreiben von Patienten, die sich für die moderne, toll angerichtete Küche bedankt haben. Die Schwestern, die das Essen verteilen, haben allerdings auch Rückmeldungen bekommen, dass Patienten überfordert waren. Deshalb holen wir die Leute jetzt da ab, wo sie sind. Wenn es also Falafel mit Hummus gibt, dann bieten wir halt auch ein ostdeutsches Jägerschnitzel an, also panierte Jagdwurst mit Spirelli und Tomatensauce. Und wenn Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl auf der Karte stehen neben Lachs in Zitronensauce, dann gewinnen die Pellkartoffeln. Es muss immer so ein Mutti-Gericht draufstehen. Nächste Woche gibt es Broiler.

Mutti-Essen kochen zu dürfen macht Ihnen offenbar Spaß.

Ja, das stimmt. Mir schmeckt’s ja selber. Seit ich hier angefangen habe, hab ich zehn Kilo zugenommen.

Ging Ihnen die eigene Sterneküche auf die Nerven?

Ich war zuletzt ja vor allem Sommelier und Gastgeber. Und tatsächlich: Ich würde nicht mehr so kochen wollen. Als ich 1985 im Restaurant in der Rehwiese den ersten Stern erkocht habe, da hat das noch Spaß gemacht. Wir haben am frühen Nachmittag mit dem Team angefangen herumzuexperimentieren – und das war am Abend die Speisekarte. Heute entwickelt man einen Teller 14 Tage lang, bis man sich den zu zeigen traut. Das ist so durchdesignt und überlegt. Und die Gäste kommen nicht mehr zum Essen, sondern um Handyfotos zu machen, die sie auf Instagram stellen können. Früher wussten wir nicht, wie das perfekte gratinierte Krebsragout aussehen muss, das haben wir erst zusammen mit den Gästen gelernt. Heute wissen alle alles – oder tun zumindest so, und im Internet zerreißen einen dann Menschen, die keine Ahnung vom Kochen haben.

Zuletzt kam es mitunter vor, dass Spitzenköche ihre Sterne zurückgegeben haben, weil ihnen der Druck zu viel geworden war. Können Sie die Kollegen verstehen?

Ich kann den Vorgang nicht verstehen, weil man einen Stern ja nicht zurückgeben kann. Den muss man sich jedes Jahr neu erkochen. Das Einzige, was ich dazu sagen kann: Man darf das alles nicht so ernst nehmen. Aber ich muss da ganz still sein, denn ich war auch mal ganz anders. Als ich jünger war, da waren Sterne, Punkte, Mützen, Gabeln mein Lebensinhalt.

Ohne diesen Ehrgeiz wird man auch kein Spitzenkoch.

Ehrgeiz, gut zu kochen, den braucht man. Aber das überhitzte Bewertungsgeschäft? Das braucht man nicht.

Seit wann sind Ihnen die Auszeichnungen der Haute Cuisine egal?

Ach, das kommt mit dem Alter, da wird man souveräner und erfreut sich an anderen Sachen. Es ist doch so: Wenn mir heute eine Krankenschwester auf dem Gang entgegenkommt und sagt: Das war wieder toll, was gibt es denn morgen? Das ist doch besser als jeder Stern. Und wenn meine Geschäftsführerin sagt, die Stimmung im Haus ist besser durch unser Engagement in der Küche, dann schlägt das jede Online-Rezension.

Das heißt, Sie bereuen den Schritt nicht?

Nein, kein bisschen.

Aber wenn Ihr Restaurant nach Corona wieder eröffnen darf, dann sind Sie weg.

Nein, das geht gar nicht. Ich vermisse zwar meine Stammgäste, aber nicht den Glamour. Das hier ist mittlerweile mein Krankenhaus. Solange die mich hier wollen und ich so arbeiten darf, als wenn das mein Laden wäre, solange ich kochen darf, was ich will, solange bleibe ich hier. Eher im Gegenteil: Der Anblick des Restaurants, der leeren, fast abgestandenen Räume, zieht mich jedes Mal runter. Ich bin dankbar, dass ich im Gegensatz zu den meisten meiner Kollegen arbeiten kann, dass ich meinen Speiseplan für die nächste Woche machen darf.

Gab es eine gewisse Arroganz der Haute Cuisine gegenüber der Kantine, die Sie selbst ablegen mussten – und umgekehrt eine Verachtung in der Kantine gegenüber dem Chichi der Sterneküche, die Sie gespürt haben?

Nein, weder das eine noch das andere. Wenn man vernünftig kochen will, dann ist das hier wie dort möglich. Köche verstehen sich immer – und im Endeffekt ist eine Küche, egal mit welchem Anspruch, immer vor allem eins: viel Arbeit. Deshalb hat man Respekt vor dem Kollegen. Es war eher umgekehrt: Ich habe von meinen Kollegen, auch aus dem Zwei- und Drei-Sterne-Bereich, breiteste Zustimmung erfahren. Toll, dass du das machst, anstatt auf der Couch zu sitzen, haben die gesagt.

Haben sich schon Kollegen gemeldet, um mal rauszukriegen, ob sie vielleicht auch wechseln sollten?

Keine konkreten Anfragen, aber man unterhält sich natürlich. Damit noch mehr Köche diesen Schritt gehen, müssten allerdings erst mal die Jobs da sein. Und dazu bräuchte es mehr Aufsichtsräte, Klinikeigentümer, Geschäftsführer, die den Wert einer anderen Küche erkennen. Wenn sie dazu bereit wären, dann würden sich auch Köchinnen und Köche finden, die das umsetzen wollen.

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