Maria 2.0 zu Kirche und Machtstrukturen: „Es wäre eine freundliche Kirche“

Lisa Kötter von Maria 2.0 wünscht sich ein Ende des Machtmißbrauchs in der Katholischen Kirche. Ein Gespräch über Kardinal Woelki und das System Rom.

Unter blauem Himmel: Zwei Frauen halten ein Forderungsschild vor dem Mainzer Dom in die Höhe

Aktivistinnen von Maria 2.0 schlagen Thesen an die Kirchentüre des Mainzer Doms am 21.2.21 an Foto: dpa/Arnold

taz am wochenende: Frau Kötter, was hat Ihre vorösterliche Stimmung mehr getrübt: Die Vorstellung des Missbrauchsgutachtens in Köln oder die Weigerung des Papstes, auch homosexuelle Paare zu segnen?

Lisa Kötter: Beides ist im gleichen Garten auf dem gleichen unheilvollen Kompost gewachsen. Die Ablehnung, die Liebe zwischen zwei Menschen zu segnen, ist anmaßend und widerspricht dem, was ich aus der Frohen Botschaft des Jesus von Nazareth verstanden habe: dass die Liebe auf der Welt der sichtbare Segen eines bedingungslos liebenden Gottes ist. Gott hat jede Liebe gesegnet, auch die zwischen zwei Männern oder zwei Frauen.

Sie sehen den Papst, im römisch-katholischen Glauben immerhin der Stellvertreter Gottes auf Erden, im Widerspruch zu Jesus?

Ganz deutlich. Von Rom aus zu bestimmen, was Gott angeblich nicht gutheißt – und dies mit dem Titel „Responsum ad dubium“, also „Antwort auf einen Zweifel“ –, was ist das anders als eine Machtgeste? Ähnlich das autoritäre Gebaren von Kardinal Woelki in Köln: Er allein entscheidet, ein Gutachten über Missbrauchsfälle nicht zu veröffentlichen, er lässt sich von Advokaten bescheinigen, keine Fehler gemacht zu haben. Doch was ist mit seinem moralischen Versagen, was damit, dass er als Teil und Stütze einer Institution Menschen nachhaltig retraumatisiert hat?

Maria 2.0 hat sich vor zwei Jahren als innerkirchliche Reformbewegung gegründet. Vor Kurzem haben Sie in einer Protestaktion sieben Thesen an Kirchentüren angeschlagen – für eine „zukunftsfähige, geschwisterliche und vielgestaltige Kirche“. Was verstehen Sie darunter?

In diesen Thesen haben wir dieselben Themen aufgegriffen, die wir schon 2019 in unserem Brief an den Papst formuliert haben. Es ist eine Aufzählung dessen, was in unseren Augen schiefläuft in der römischen Kirche. Die nennt sich die Kirche Jesu Christi, doch sie hält dieses Versprechen nicht. Dabei denke ich nicht nur an sexuellen Missbrauch. Sondern daran, dass die Kirche Frauen, die schwanger werden, seit Jahrhunderten in lebenslange unglückliche Ehen zwingt. Und wenn diese Frauen zum Priester gehen, weil sie es nicht mehr aushalten, bekommen sie gesagt: „Das ist das Kreuz, das du zu tragen hast.“ Diese Kirche bringt Leid für viele Menschen. Und viele sehen das. Als wir den Zeitpunkt zum Thesenanschlag im Netz verbreitet haben, waren nach einer Stunde schon über 1.000 Kirchentüren damit behängt. Sie sind Klage und Sehnsucht in einem.

Symboldbild: Kardinäle, sitzend mit ihren roten Biretta Hüten in den Händen

Kardinäle im Petersdom in Rom 2019 Foto: dpa/Medichini

Aber ist die Kontrolle über die Lebensführung des Einzelnen nicht der Wesenskern der katholischen Kirche? Wenn dieselbe Institution, die Ehescheidung, Verhütung und Sex vor der Ehe verboten hat, plötzlich sagen würde: „Lebt, wie ihr wollt“ – was bliebe dann noch von ihr?

Dieser Wesenskern, den die Kirche nach außen nie zugegeben hat, entblößt sich gerade: in Rom und in Köln. Das römische System ergeht sich in narzisstischen Selbstbespiegelungen, die Mächtigen sind schamlos und bemerken es nicht einmal mehr. Man kommt sich vor wie bei einer Aufführung von „Des Kaisers neue Kleider“: Alle sehen, dass der Kaiser nackt ist, aber niemand wagt, es zu sagen.

60, aus Münster gehört zu den Mitinitiatorinnen von Maria 2.0. Ihr Buch „Schweigen war gestern“ erschien Anfang März im Bene!-Verlag.

Manche versuchen es. In Köln errichteten Betroffene eine satirische Skulptur auf dem Domplatz: Ein Bischof schläft in einer Hängematte, die zwischen abgebrochene Kreuze gespannt ist. Darauf steht: „11 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle“. Hätte es für Sie etwas geändert, wenn Woelki zurückgetreten wäre?

Das hätte letztlich keinen Unterschied gemacht. Kardinal ­Woelki ist selbst nur ein Symbol für das System Rom. Es war richtig, dass Leute wie Schwaderlapp gehen mussten …

der Kölner Weihbischof, dem im Gutachten Fehlverhalten im Umgang mit missbrauchenden Bischöfen nachgewiesen wurde …

Allerdings sind diese Herren nur vorläufig freigestellt, bis zu einer Entscheidung aus Rom. Das sind Handlungen, die wichtig sind, aber sie ändern nichts am System.

Hat es Sie nicht hoffnungsvoll gestimmt, dass Kardinal Woelki bei der Vorstellung des neuen Gutachtens selbst von einem System gesprochen hat?

Ja, er hat gesagt, das System funktioniere nicht. Und im nächsten Satz nannte er als Beispiel, dass Akten falsch oder unvollständig abgelegt worden seien. Mit „System“ meint ­Woelki nicht etwa die hierarchische Monarchie, die Sexu­­­almoral, die Fixierung auf ein sehr enges Reinheitsverständnis. Nein, Herrn ­Woelki geht es um korrekte Aktenführung! Er kann und will den Kern der ­Kritik nicht verstehen, denn dieses römische System ist schließlich sein Leben. Er ahnt wohl, dass grundsätzlich etwas nicht stimmt, deshalb greift er die Rede vom System auf, um sie dann in eine Nebelkerze zu verwandeln: Ach, ich verstehe, die Akten sind schlecht geführt.

Sie sprechen vom System Rom – zweifeln sie die spirituelle Führungsmacht des Vatikans an?

Maria 2.0 geht es um Selbst­ermächtigung. Die Macht der Kirchenoberen beruht darauf, dass sie den Menschen immer erzählt haben, der Zugang zu Gott funktioniere nur über sie. Und das glauben wir schon lange nicht mehr.

War die evangelische Kirche, die ganz ohne Papst und Vatikan auskommt, je eine Alternative für Sie?

Wenn Sie denken, es gebe keinen Machtapparat in der evangelischen Kirche, dann unterhalten Sie sich mal mit einer Pfarrerin! Das wäre, wie vom Regen in die Traufe zu kommen. Nein, die Leute, die sich derzeit von der römisch verfassten Kirche abwenden, sind suchende, freie Menschen auf dem Weg. Sie wollen sich hinwenden zur revolutionären Botschaft des Jesus von Nazareth.

Wie würde eine Kirche ohne Machtstrukturen aussehen, wäre das eine Kirche der Laien?

Zuerst einmal wäre das eine Kirche, die sich mit den Verletzten und Schwachen auf die Erde legt und sich wirklich ihren eigenen Fehlern aussetzt. Und sich dann irgendwann aufhelfen lässt, auf Augenhöhe mit den Leuten. Es wäre eine freundliche Kirche, die sich eine demokratische Verfassung gibt und die den Menschen vertraut. Das aber kann die römische Kirche nicht, hier hat der Verrat schon vor 1.400 Jahren stattgefunden. Und ein Teil des Verrats ist die Aufteilung in Laien und ­Kleriker.

Sie haben die Hoffnung auf eine Reform von innen aufgegeben?

Ich werde noch in diesem Jahr austreten. In den letzten Jahren habe ich so viel Schamlosigkeit und Machtmissbrauch mitbekommen, dass ich schon allein aus Gewissensgründen dieser Körperschaft öffentlichen Rechts mein Geld entziehen muss. Meinen Glauben behalte ich natürlich und lasse ich mir nicht absprechen. Ich bin und bleibe getaufte Christin – auch bei Maria 2.0 werde ich mich weiter engagieren. Und wenn ich mich so umhöre, dann geht es vielen so. Ich habe mit alten Ordensfrauen gesprochen, die gesagt haben: Wenn ich nicht so existenziell abhängig wäre von diesem Lebensmodell, dann würde ich heute noch austreten.

Wie werden Sie Ihr vermutlich letztes Osterfest in der römisch-katholischen Kirche begehen?

Ich bin traurig darüber, dass ich pandemiebedingt keine Osternacht in meiner Gemeinde mitfeiern werde. Diese ist mir die liebste Liturgie im Kirchenjahr: Wenn das Licht weitergegeben wird und die Dunkelheit erhellt, während die Gemeinde zusammen „Lumen Christi“ singt, dann spürt man, was die römische Kirche kann: wunderbare Bilder erzeugen. Aber seit Corona da ist, halte ich mich von Gottesdiensten in Kirchen fern. Auch aus Solidarität mit denen, die sich einschränken müssen, während die Glaubensgemeinschaften weiter Messe feiern können.

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