Impfstoff von AstraZeneca: Bei Risiken und Nebenwirkungen

Die Entscheidung, den AstraZeneca-Impfstoff nur an Menschen über 60 zu verimpfen, sorgt für Unsicherheit. Die hielt beim letzten Mal nur kurz an.

Leere Stühle im Impfzentrum in Erfurt Mitte März 2021

Hoffentlich nur eine Momentaufnahme: ein leeres Impfzentrum in Erfurt Mitte März 2021 Foto: Martin Schutt/dpa

Fangen wir mit der oberflächlichsten Neuerung rund um AstraZeneca an: Der Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers heißt künftig Vaxzevria. Nein, das hat nichts damit zu tun, dass die Vakzine gerade nicht die besten Schlagzeilen ­erzeugt. Die bisherige Bezeichnung (ChAdOx1 oder auch AZD1222) war schlicht zu sperrig, ein Markenname stand noch aus. Wesentlich mehr Aufmerksamkeit erregte jedenfalls die Entscheidung vom Dienstagabend, den AstraZeneca-Impfstoff nur noch an Personen über 60 zu verimpfen. Viele Fragen schließen sich nun an.

In den wenigen Wochen seit seiner Zulassung in Deutschland hat die AstraZeneca-Vakzine bereits eine wechselhafte Nutzungsgeschichte hinter sich. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte den Impfstoff zunächst nur für Unter-65-Jährige empfohlen, weil Ältere in den Zulassungsstudien nicht ausreichend vertreten gewesen seien. In Großbritannien hingegen kam der Impfstoff von Beginn an ohne Altersbeschränkung zum Einsatz. Nachdem Studien schließlich ausreichend belegten, dass die Vakzine gerade bei Älteren gut wirkten, änderte auch die Stiko ihre Empfehlung und gab den Impfstoff Anfang März für alle Altersgruppen frei.

Mitte März wurden mehrere Fälle der seltenen Sinusvenenthrombose im Zusammenhang mit der Impfung bekannt. Mehrere europäische Länder, darunter auch Deutschland, stoppten daraufhin als Vorsichtsmaßnahme die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff. Die Europäische Arzneimittelbehörde kam allerdings nach Prüfung der Daten zu dem Schluss, dass ein Zusammenhang zu dem Zeitpunkt nicht belegt werden konnte und der Nutzen der Impfung das Risiko weiterhin bei weitem überwiege. Am 18. März empfahl die Stiko den Impfstoff erneut für alle Altersgruppen.

Nun sind aber seitdem weitere Fälle von Sinusvenenthrombosen aufgetreten. Von 2,7 Millionen binnen 7 Wochen geimpften Personen waren 31 betroffen – rund dreimal mehr, als in einem ganzen Jahr zu erwarten gewesen wäre. 29 von ihnen waren Frauen zwischen 20 und 63. Neun Personen verstarben.

Was passiert mit AstraZeneca-Geimpften?

Dass vor allem jüngere Frauen von der Nebenwirkung betroffen sind, könnte zum einen daran liegen, dass Sinusvenenthrombosen generell vor allem bei Frauen und Jüngeren auftreten. Zum anderen wurde in Deutschland aufgrund der zunächst geltenden Altersbeschränkung vermehrt in dieser Gruppe mit dem Astrazeneca-Impfstoff geimpft. Ein Zusammenhang mit der Impfung ist nicht mehr von der Hand zu weisen.

Der nun folgende teilweise Impfstopp ist im Grunde eine Luxusentscheidung. Gäbe es nur diesen einen Impfstoff, so sagt es etwa der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, würde man ihn vermutlich trotz der schwerwiegenden, aber weiterhin extrem seltenen Nebenwirkungen weiter für alle Altersgruppen empfehlen. Da aber andere Impfstoffe zur Verfügung stehen, ist eine weitere Minimierung des Risikos für die Geimpften möglich.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) plädiert denn auch dafür, den Impfstoff von AstraZeneca bei der Priorisierung freizugeben. Er habe „insgesamt kein gutes Gefühl“ bei den Einschätzungen der Experten zu diesem Impfstoff. Das gehe „hin und her“. Daher müsse man „irgendwann mit sehr viel Freiheit operieren“ und sagen: „Wer will und wer sich’s traut, der soll auch die Möglichkeit haben.“

Nicht nur für Skeptiker stellt sich die Frage, was nun passiert mit den Mil­lio­nen Menschen, die schon einmal mit AstraZeneca geimpft wurden. Grundsätzlich kann die Zweitimpfung bis zu zwölf Wochen nach der ersten erfolgen. Zudem ist die Schutzwirkung der AstraZeneca-Vakzine in der Regel bereits nach der ersten Impfung sehr gut. Für die Geimpften besteht also zunächst weder Anlass zur Sorge noch zur Eile. Die Stiko kündigte an, sie werde dazu bis Ende April eine Empfehlung erarbeiten. Dann sollten auch erste Studien­ergebnisse aus England zur Frage, ob gegebenenfalls verschiedene Impfstoffe miteinander kombiniert werden können, vorliegen.

Zweitimpfung mit Biontech-Vakzin?

Rolf Marschalek, Professor für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt, ist sich bereits jetzt sicher, dass die Stiko eine Zweit­impfung mit dem Vakzin von Biontech empfehlen wird. Alle Impfstoffe produzieren im Prinzip das gleiche Antigen, daher sei es „immunologisch völlig gleichwertig, welche Vakzine Sie den Leuten geben“, so Marschalek.

Grundsätzlich bestehe für alle weiterhin die Möglichkeit, sich nach ärztlicher Beratung für eine Zweitimpfung mit AstraZeneca zu entscheiden, betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Gerade für Personen, die bereits die erste Dosis AstraZeneca gut vertragen haben, gebe es vermutlich kaum ein Risiko, sagt auch Marschalek.

Im Umgang mit dem Impfstoff hat Marschalek derweil noch einen anderen Vorschlag: Durch die Reduzierung der Dosis könne man das Risiko der schweren Nebenwirkungen möglicherweise reduzieren und zugleich die Wirksamkeit erhöhen. Grundlage seiner Vermutung sind Daten aus der Zulassungsstudie von AstraZeneca, in der aufgrund einer Panne ein Teil der Pro­ban­d*in­nen nur eine halbe und eine ganze Dosis statt zwei ganze Dosen in Erst- und Zweitimpfung erhalten hatte.

Dabei zeigten sich in der Gruppe, die die geringere Dosis erhalten hatte, eine höhere Wirksamkeit der Vakzine sowie weniger Nebenwirkungen. Der positive Nebeneffekt einer Dosisreduktion wäre zudem: Es stünde mehr Impfstoff zur Verfügung.

Spahn rechnet nicht mit der Verzögerung

Doch wer will sich nach diesen vielen Negativschlagzeilen noch mit AstraZeneca impfen lassen? Der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens schloss nicht aus, dass Vertrauen verloren gegangen ist. Die Vorgänge könnten aber auch das Gegenteil bewirkt haben. Schließlich habe die Kontrollfunktion des Paul-Ehrlich-Instituts funktioniert. Spahn (CDU) jedenfalls bat alle über 60-Jährigen, das Impfangebot anzunehmen und damit Vorbild zu sein.

Er betonte noch einmal, dass AstraZeneca trotz allem ein sehr guter Impfstoff sei. Ob sein Appell wirkt? Nach dem Impfstoff-Stopp vor zwei Wochen hielt die Skepsis nicht lange an. Zumindest in den Impfzentren in Berlin waren die meisten Impftermine auch mit dem Vakzin von AstraZeneca zu Beginn der Woche allesamt wieder belegt.

Spahn rechnet denn auch nicht mit einer Verzögerung der Impfkampagne. Stand 22. März haben die Hersteller fürs zweite Quartal rund 70 Millionen Dosen zugesagt: 40,2 Millionen sollen von Biontech/Pfizer kommen, 6,4 Millionen von Moderna, rund 10 Millionen von Johnson & Johnson. 12 bis 15 Millionen hat AstraZeneca zugesagt.

Selbst wenn Impfwillige das Vakzin von AstraZeneca in großer Zahl verweigern, dürfte der Zeitplan der Bundesregierung, bis September jedem Bundesbürger ein Impfangebot gemacht zu haben, klappen. Vor zwei Wochen wusste sie noch gar nicht, ob Johnson & Johnson im zweiten Quartal überhaupt liefern wird. Allein das würde den Ausfall von AstraZeneca mehr als wettmachen.

Lauterbach plädiert dafür, im zweiten Quartal erst mal nur eine Dosis zu geben. Die zweite Impfung könne man ins dritte Quartal schieben. Auf diese Weise wäre bis Ende Juni jeder Impfwillige in Deutschland mindestens einmal geimpft. Die zweite Dosis könne auf das dritte Quartal verschoben werden. Die Erstimpfung verhindere bereits fast immer Todesfälle und Krankenhaus-Einweisungen, lautet seine ­Begründung. Und darauf komme es schließlich an.

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