kinotipp der woche
: Erzählstrukturen mit Reibung

Das Filmmuseum Potsdam widmet dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase zum 90. Geburtstag eine Filmreihe. Zur Eröffnung läuft unter anderem „Berlin – Ecke Schönhauser“

Nach Kohlhaases Drehbuch: „Berlin – Ecke Schönhauser“ (R: Gerhard Klein, 1957) Foto: Defa-Stiftung/Siegmar Holstein, Hannes Schneider

Eine Gruppe Jugendlicher rund um die Schönhauser Allee. Unter der U-Bahn-Station wird unter dem Murren der Passanten Rock’n’Roll getanzt. Dieter ist der Held des Films, der einzige der Jugendlichen mit Arbeit und dem Herz am rechten Fleck. Als die Bubis von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ihn für sich gewinnen wollen, lässt er sie gekonnt abblitzen.

Ekkehard Schall, von Brecht fünf Jahre zuvor ans BE geholt, spielt die Rolle in Gerhard Kleins „Berlin – Ecke Schönhauser“ körperlich, leicht ­berlinernd, sehr geerdet. Das Drehbuch zu Kleins Halbstarkenfilm stammt von Wolfgang Kohlhaase. Der Film läuft jetzt im Rahmen einer Onlinefilmreihe am Filmmuseum Potsdam anlässlich Kohlhaases 90. Geburtstag.

„Wenn die FDJ auf der Leinwand erscheint, gibt es im Kino Gelächter“, moniert 1957 eine Leserzuschrift in der Jungen Welt. Die vermeintliche Schwäche ist eine Stärke. Regisseur Klein und Drehbuchautor Kohlhaase balancieren den Film zwischen ­Mi­­­lie­u­­­­stu­die und Moment­aufnahme der städtischen Jugend in einem Land, einer Teilstadt auf der Suche nach sich selbst. Es lohnt sich, das Reibungsverhältnis zwischen narrativen Höhepunkten und filmischer Konvention durch Kohlhaases filmische Werkbiografie zu verfolgen. Wen solches interessiert, sei explizit auch auf das Zeitzeugengespräch mit Kohlhaase verwiesen. Die Retrospektive ist ein schöner Ausgangspunkt für eine immer wieder neue Annäherung an Kohlhaase. Fabian Tietke

Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase, 15. 3.–14. 6., filmmuseum-potsdam.de