Neonazis in der Corona-Protestbewegung: Ohne Abstand

Am Samstag protestieren „Querdenker“ wieder gegen Coronaregeln. Die Bewegung wird von Rechtsextremen unterwandert – und wehrt sich nicht.

Neonazi Liebich

Gegen die Corona-Diktatur: Rechtsextremist Sven Liebich auf einer Demo in Halle an der Saale Foto: Steffen Schellhorn/imago

BERLIN taz | Am Samstag rufen die „Querdenker“ wieder zur Großdemonstration auf. Diesmal in Stuttgart, einem der Gründungsorte und Hotspots ihres Protests. Für „Freiheit und Frieden“ wollen die Geg­ne­r:in­nen der Coronamaßnahmen dort demonstrieren. Doch dass es friedlich bleibt, ist längst nicht mehr ausgemacht.

Denn zuletzt fiel der Protest gleich mehrfach mit wüsten Szenen auf. In Kassel und Dresden setzten sich Teil­neh­me­r:in­nen über Demonstrationsverbote hinweg, rangelten mit Polizeikräften und Gegendemonstranten. Inzwischen hat der Verfassungsschutz die Bewegung im Blick. Erst am Dienstag stufte das Hamburger Landesamt das dortige „Querdenken 40“ und die Gruppe „Hamburg steht auf“ als Verdachtsfall ein. Bei den Gruppen hätten sich „verfassungsfeindliche Bestrebungen verdichtet“. Es werde „ausdrücklich zu einem Widerstand gegen den demokratischen Rechtsstaat aufgerufen, der über friedlichen Protest hinausgeht“. Zuvor schon hatten Baden-Württemberg und Bayern Teile der Bewegung als Beobachtungsjobjekte eingestuft. Weitere Landesämter und das Bundesamt prüfen, ob sie nachziehen. Auch weil sich immer wieder Rechtsextreme in den Protest einreihen – und das von Beginn an.

Am 25. April 2020 steht Udo Voigt auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Fotos zeigen den NPD-Funktionär mit Schirmmütze und blauer Steppjacke. Mit ihm haben sich mehrere hundert Menschen versammelt, die als selbsternannte „Hygienedemo“ gegen die Coronamaßnahmen demonstrieren – es ist einer der ersten Corona­proteste überhaupt. Bürgerliche, Hippies, Impf­geg­ne­r:in­nen oder Verschwörungsanhänger finden sich ein. An dem NPD-Mann stören sie sich offenbar nicht. Der sucht gezielt die Aufmerksamkeit. „Coronadiktatur stoppen, bevor es zu spät ist“, wird Voigt später auf einem Facebook-Profil schrei­ben. „Wir sehen nicht tatenlos zu!“

Voigt ist damit einer der ersten Neonazis, der sich in die damals entstehenden Coronaproteste einreiht. Er wird nicht der einzige bleiben. Die rechtsextreme Szene erkennt das Potenzial früh. Voigts NPD frohlockt schon Mitte März letzten Jahres: „Noch nie war ein Systemwechsel so greifbar wie derzeit.“ Zur gleichen Zeit bietet auch „Die Rechte“, eine Neonazi-Splitterpartei, „Corona-Einkaufshilfen“ als Zeichen der „nationalen Solidarität“ an. Und „Der III. Weg“, auch eine rechtsextreme Kleinpartei, klagt, die „Deutschen“ würden in der Coronakrise „komplett entmündigt“. Der Slogan auch hier: „Das System ist gefährlicher als Corona.“

Rechtsradikale wittern ihre Chance

Anfang April 2020 geht „Die Rechte“ in Bremerhaven unter dem Slogan „Grundrechte auch in der Coronazeit schützen“ auf die Straße. In Chemnitz demonstriert das rechtsextreme „Pro Chemnitz“ gegen die „Coronadiktatur“, in Cottbus rufen Rechtsextreme eine „Covid 1984 Warnstufe“ aus. Der Verfassungsschutz listet allein von April bis Anfang August 2020 bundesweit 92 Coronakundgebungen, die von Rechtsextremisten dominiert oder gleich selbst organisiert werden.

Und auch bei den Großprotesten der „Querdenker“ sind sie dabei. Denn diese Veranstaltungen kultivieren so einige Aspekte, die auch zum rechtsextremen Glaubenskanon gehören: Agitation gegen Regierung und die „Lügenpresse“, die Behauptung einer Dichotomie von böswilligen Eliten und unterdrücktem Volk, dazu teils antisemitisch aufgeladene Verschwörungserzählungen. Wirkliche Gegenwehr erhalten die Rechtsextremen nicht, im Gegenteil. Der Protest funktioniere „parteiübergreifend, ohne sich gegenseitig zu distanzieren“, bekundet NPD-Mann Voigt erfreut im Mai 2020 in einem Interview.

Einer der ersten, der selbst Kundgebungen organisiert, ist Sven Liebich, ein umtriebiger Rechtsextremist aus Halle. Vor Jahren war der Endvierziger beim Blood-&-Honour-Netzwerk dabei, nun setzt er auf Politprovokationen, die er auf seinem Videokanal festhält. Fast allwöchentlich demonstriert Liebich bis heute auf dem Marktplatz in Halle gegen die „Coronadiktatur“, taucht auch, wie Udo Voigt, bei bundesweiten Großprotesten auf. Er stützt diese auch materiell: Über seinen Internetversand bietet Liebich Shirts mit „Querdenker“- oder QAnon-Aufdrucken an. Oder – die NS-Verbrechen relativierend – solche mit „Judenstern“ und der Aufschrift „Ungeimpft“.

Anders als die teils kaum politisierten Mitdemonstranten mit ihren diffusen Forderungen wissen die Neonazis ganz genau, was sie wollen: den Systemsturz.

In Nordrhein-Westfalen ist es wiederum Michael Brück, ein Anfang-dreißig-Jähriger und Sprachrohr von „Die Rechte“, der früh von einer „Volksfront“ träumt. Die rechtsextreme Szene ruft er offensiv zur Teilnahme auf: „Unterstützt die Proteste in euren Städten. Beteiligt euch, aber vereinnahmt sie nicht. Lasst andere in der ersten Reihe stehen, aber seid dabei.“ Ähnlich deutlich wird Matthias Fischer, Vizechef des „III. Wegs“. „Wir müssen als Nationalrevolutionäre jetzt auf die Straße gehen“, erklärt er in einem Video zum Coronaprotest. „Nutzt jede Möglichkeit, unsere Weltanschauung zu verbreiten.“

Die Neonazis verhehlen ihre Pläne damit nicht. Sie wollen in der Masse der Coronaprotestierenden ihre eigene Agenda platzieren und dort Mitstreiter gewinnen. Und sie wollen die Wut auf die Regierung, Parteien und Medien bestärken, um diese zu delegitimieren. Zwar bleiben die Rechtsextremen eine Minderheit bei den Protesten, aber eine gut organisierte. Und anders als die teils kaum politisierten Mitdemonstranten mit ihren diffusen Forderungen wissen die Neonazis ganz genau, was sie wollen: den Systemsturz. „Nicht das Virus ist das Problem, sondern das System“, erklärt „III. Weg“-Mann Fischer.

Matte Reaktionen der „Querdenker“

Die Organisatoren der Coronaproteste reagieren auf die Rechtsextremen nur halbherzig. Das Stuttgarter „Querdenken 711“ betont in seinem „Manifest“ zwar, man sei eine friedliche Bewegung, in der „menschenverachtendes Gedankengut“ keinen Platz habe. Dort heißt es aber auch: „Wir sind überparteilich und schließen keine Meinung aus.“ Fragt man, warum es zu keinen Ausschlüssen von Rechtsextremen auf den Demonstrationen kommt, lautet die Antwort: Man könne weder wissen noch kontrollieren, wer sich dem Protest anschließe. Und die NPD etwa sei ja eine Partei, die nicht verboten ist.

Als am 29. August 2020 in Berlin rund 38.000 „Querdenker“ zur Großdemonstration zusammenkommen, zählt der Verfassungsschutz darunter immerhin 2.500 Rechtsextreme, unter ihnen auch Michael Brück, Sven Liebich und Udo Voigt. Für sie wird es eines der größten Szenetreffen seit Jahren in der Hauptstadt – mit ungewohnten Freiräumen, ohne Ausschluss seitens der „Querdenker“, ohne nennenswerten Gegenprotest von außen. Am Ende sind es Reichsbürger, welche die Bundestagstreppe stürmen und kurzzeitig besetzen. Es sind die Bilder, die von diesem Tag bleiben – ein Propaganda-Erfolg für die Rechtsextremen. Der „III. Weg“ lobt danach das Miteinander als „Meilenstein“ für das „nationale Lager“. Michael Brück von der „Rechten“ lobt die Logistik der „Querdenker“ als „ganz große Hausnummer“ – aber fordert noch „mehr zivilen Ungehorsam“.

Auch wenn sich die „Querdenker“-Or­ga­ni­sa­tor:in­nen später von der Besetzung der Bundestagstreppe distanzieren: Die Rechtsextremen bleiben Teil der Bewegung. Am 7. November 2020 findet diese ihren nächsten Höhepunkt. Wieder stehen die Rechtsextremen gemeinsam mit den „Querdenkern“ auf der Straße, diesmal in Leipzig, wieder kommen rund 40.000 Protestierende, wieder sind Liebich, Brück und Voigt dabei. Und diesmal wird es den Widerstand geben, den Brück einforderte.

Als die Polizei einen untersagten Demonstra­tionszug verhindern will, tauchen Rechtsextreme vor den Beamten auf, fordern, die Straße freizumachen, werfen Pyrotechnik und Flaschen. In erster Reihe steht mit Mikrofon: Michael Brück. Tatsächlich weicht die Polizei schließlich zurück, die Demonstrierenden ziehen über den Leipziger Ring – und feiern eine vermeintliche Analogie zu den Leipziger Montagsdemos von 1989. Es ist ein erneuter Erfolg, dank der Rechtsextremen. Die Arbeitsteilung an diesem Tag funktioniert. Und die „Querdenker“ werden den Schulterschluss auch jetzt nicht aufkündigen. In einer Pressemitteilung verneinen die Organisatoren Ausschreitungen aus den eigenen Reihen und erwähnen die Rechtsextremen mit keinem Wort. Vielmehr heißt es: Dass sich „ein Aufzug um den Innenstadtring von Leipzig gebildet hat, war den Menschen in Leipzig zu verdanken“.

Tatsächlich gibt es unter den „Querdenkern“ immer wieder Stimmen, die vor einer Spaltung warnen. Ralf Ludwig, Anwalt und „Querdenken“-Wortführer, begrüßt gar auf einer Kundgebung die Teilnahme von Rechtsextremen wie der NPD. Man demonstriere ja für Freiheit und Demokratie: „Und wenn sich die NPD genau diesem anschließt, dann ist das doch ein Erfolg von uns.“ Dann sei das „doch auch Antifaschismus“. „Querdenken“-Anführer Michael Ballweg trifft sich im November mit Reichsbürgern in Thüringen zu Strategietreffen.

Klare Grenzziehungen sehen anders aus. Und so sickert auch die Rhetorik der Rechtsextremen in den Protest ein. Neben der „Coronadiktatur“ ist nun auch die Rede von „Ermächtigungsgesetzen“ – ein Terminus, den der III. Weg schon im März 2020 bediente. Sven Liebich tritt bereits im Mai 2020 in einem Anne-Frank-Shirt auf. Auch dieser die NS-Zeit verharmlosende Vergleich wird später noch breiter auftauchen.

Dazu wird der Protest immer gewalttätiger. Als im November Demonstranten vor dem Bundestag in Berlin gegen die Verabschiedung des neuen Infektionsschutzgesetzes protestieren, reisen wieder etliche Neonazis an, es kommt zu Angriffen auf Polizisten. Vorne mit dabei heizt Liebich die Stimmung an, ruft den Beamten zu: „Erschießt doch einfach die Leute!“ Die Polizei setzt erstmals seit Jahren wieder Wasserwerfer ein, Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik spricht im Anschluss von „immenser“ Gewalt.

Wenig später stuft der Verfassungsschutz Baden-Württemberg das Stuttgarter „Querdenken 711“, bundesweiten Protestorganisator, als Beobachtungsobjekt ein. Personell wie ideologisch prägten Reichsbürger und rechtsextreme Akteure die Gruppierung, so die Behörde. Auch wenn die meisten Demonstrierenden weiter nicht extremistisch seien, schüre der Protest doch „gezielt Hass auf den Staat“. Vor zwei Wochen stufte auch der bayrische Verfassungsschutz Teile der Bewegung entsprechend ein, nun zieht Hamburg nach. Weitere Landesämter dürften folgen.

Die „Querdenker“ fordern das geradezu heraus – mit jüngsten Auftritten wie in Dresden oder Kassel. Zu letzterer Demo reist auch Sven Liebich wieder an, mit einem „Judenstern“ samt „ungeimpft“-Aufdruck auf dem Anorak. „Schöner Tag“, konstatiert er, nachdem die Protestierer die Polizei überrannt haben. „War wirklich alles unser Gelände.“ Auch Anhänger des „III. Wegs“ reihen sich wieder ein. Gleichzeitig demonstrieren Rechtsextreme auch in Berlin gegen die Coronamaßnahmen, am vergangenen Wochenende taten sie es in Chemnitz. Zu verlockend bleibt der Coronaprotest – als Vehikel zur Verbreitung der eigenen Propaganda und für die Suche nach neuen Mitstreiter:innen. Oder, wie es der „III. Weg“ einmal festhält: „Weil es nirgendwo sonst einfacher war, sich direkt an deutsche Seelen zu wenden, ohne keifenden Antifa-Pöbel und Hamburger Gitter im Weg.“

Der Text ist ein aktualisierter Vorabdruck aus dem Sammelband „Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der ­Demokratiefeinde“, der am 7. April im Herder-Verlag erscheint.

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