Podcast-Reihe zu Mutterschaft: Wer ist jetzt die Supermutter?

Eine unterhaltsame Podcast-Reihe von Felizitas Stilleke diskutiert Mutterschaft. Auch Nichtmutterschaft und mögliche dritte Wege sind Thema.

Thais di Marco und Felizitas Stilleke

Zwei Nichtmütter im Gespräch: Thais di Marco und Felizitas Stilleke Foto: Graziela Diez

Es gibt selten Themen, die sich einfach nicht erschöpfen, ganz egal, wie sehr sie diskutiert werden. Ganz sicher liegt es in diesem Fall daran, dass Mutterschaft einer dieser seltsamen Reste ist, die sich zäh gegen das Versprechen der Gegenwart stemmt, dass einfach je­de*r alles sein kann.

Mutterschaft: Das ist ein faszinierendes Relikt aus grauer Vorzeit, das sich schlicht nicht kleinreden lässt – gerade jetzt in diesen krisengeschüttelten Zeiten, wo wieder überall Geschlechterrollen aufgehen, erscheint sie wieder einmal superinteressant. Zum Beispiel diese Frage: Gibt es eigentlich noch immer keinen dritten Weg zwischen Mutterschaft und Nichtmutterschaft?

Mit dieser Fragestellung beginnt denn auch ein performativer Podcast namens „The Mother in Me is the Mother in You“ von Dramaturgin und Kuratorin Felizitas Stilleke in Kooperation mit dem Ballhaus Ost – die zweite Folge war am Sonntag anzuhören, alle der insgesamt fünf Folgen mit jeweils anderen Gesprächspartner*innen, die sonntags live kommen, werden bis Mai über die Website des Ballhauses Ost nachhörbar sein. „Nicht-/Noch-nicht-/Nicht-mehr-/Vielleicht-/Mutterschaft“, so heißt es vielversprechend im Trailer – und schon erlebt die Zuhörerschaft zum Einstieg ein so amüsantes wie irritierendes Gespräch zwischen Felizitas Stilleke, die übrigens offen zugibt, es bislang lediglich zur Tante gebracht zu haben – und Thais Di Marco, eine brasilianische Choreografin, Theaterregisseurin und Aktivistin, die derzeit in Amsterdam lebt, sich ebenfalls sofort als Nichtmutter outet.

Erst nach und nach stellt sich heraus, dass Di Marco in einer afrobrasilianischen Community aufgewachsen ist, in der soziale Mutterschaft nicht weniger wert ist als biologische. „Im Brasilianischen bedeutet das Wort Mutter nicht viel“, sagt sie. „Wenn man von seiner Mutter spricht, dann muss man auch den spezifischen Typ von Mutter benennen“, fügt sie an. Und präsentiert dann eine Reihe von Interviews mit Frauen, die sie alle Mutter nennt.

Wer ist wer und wie verwandt?

Immer wieder und unter reichlich Gelächter muss Stilleke trotz der Woche, die sie zur Vorbereitung des Podcasts mit ihren Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen verbringt, nachfragen, ob die Supermutter auch wirklich der biologischen Mutter entspricht, also der Großmutter, wie man sie hier kennt – oder ob es sich bei einer anderen Interviewpartnerin um die Schwester oder um die Nichte der Künstlerin handelt.

Die Verwirrung ist perfekt, als Di Marco von Teenagerinnen berichtet, mit denen sie in Brasilien gearbeitet hat. Viele dieser jungen Mädchen, erzählt sie, schlafen auf Partys mit mehreren Männern auf einmal, um qua Schwangerschaft aus den alten Familienverhältnissen ausbrechen zu können, die häufig von häuslicher Gewalt geprägt sind – und sei es als alleinerziehende Mutter. Zwischendurch gibt es beeindruckende musikalische Einlagen mit Trommeln und Gesang – unter anderem ein Schlaflied einer Sklavin für ihr ungewolltes Kind, das nicht wie die Mutter in Gefangenschaft aufwachsen soll.

In ihrer Community, erklärt Di Marco, wird der Candomblé praktiziert, eine Religion, die mit den Skla­v*in­nen aus Westafrika nach Brasilien kam. Ihre Kulte erscheinen aus europäischer Perspektive fremd. Andererseits zeigt sich die deutsche Dramaturgin Stilleke nicht nur über die Kinderlosigkeit, sondern auch über den Kampf für politische Ziele wie Gleichberechtigung sehr mit Di Marco verbunden.

Die Spannung zwischen Vertrautheit und Verwunderung ist es, die auch den zweiten Podcast von Felizitas Stilleke über mehr als anderthalb Stunden trägt. Die neue Gesprächspartnerin, Theater- und Hörspielregisseurin Philine Velhagen, ist biografisch näher dran: Sie ist die Einzige des Podcasts, die tatsächlich biologische Mutter ist. So gestaltet sich die Annäherung zwischen den Frauen anders, das wird gleich am Anfang klar, denn Velhagen habe als Beweis ihren Mutterpass dabei, behauptet sie. Kein schlechter Anfang für ein Gespräch, in dem es weniger um die Frage geht, was Mutterschaft in verschiedenen Kulturen heißt, sondern darum, wie wir hierzulande über Mutterschaft sprechen – und was wir in diesem Zusammenhang gern auslassen.

Eines der interessantesten Projekte von Philippe Velhagen, so erfährt man auch im Podcast, war ein soziales Experiment, für das sie einen Monat lang das Einkommen mit ihren Freun­d*in­nen teilte, je­de*r legte Rechenschaft ab über Einnahmen und Ausgaben. Bei Felizitas Stilleke spricht Velhagen nicht nur ungewohnt offen über ihre Fehlgeburten und ihre Abtreibung, sondern auch über Menstruation und Menopause. In vertauschten Rollen lesen sich die Frauen Neidlisten vor – es geht also auch hier um Zuschreibungen und Redeverbote. Auch vor Blödeleien und Stehgreifwitzen scheuen die Frauen nicht zurück, schließlich sollen hier Sprach- und Schambarrieren eingerissen werden, die den klaren Blick auf Mutterschaft verstellen. Das ist so unterhaltsam, dass man sich wünscht, dieser Podcast würde nicht schon in wenigen Wochen enden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.