Durchregieren nur mit Parlament

Die Landesregierung in Niedersachsen hätte zu Beginn der Coronapandemie auch bei eilbedürftigen Verordnungen den Landtag vollständig informieren müssen. Das entschied jetzt der Staatsgerichtshof

Die niedersächsische rot-schwarze Landesregierung hat zu Beginn der Corona-Epidemie gegen ihre Informationspflicht dem Landtag gegenüber verstoßen. Das hat der Staatsgerichtshof in Bückeburg am Dienstag geurteilt und damit einer Klage der Opposition stattgegeben. „Die Landesregierung ist ihrer Verpflichtung nicht in erforderlichem Maße nachgekommen“, sagte der Präsident des Gerichts, Thomas Smollich. Die Landesregierung sei nach der Landesverfassung verpflichtet, den Landtag über Regelungen grundsätzlicher Bedeutung wie die Coronaverordnungen zu unterrichten. Es stehe nicht im Ermessen der Regierung, darauf in besonderen Lagen zu verzichten.

Immerhin lenkte die Regierung schon im Frühsommer ein: Als die Opposition einen Eilentscheid des Gerichts verlangte, änderte sie ihre Praxis und informiert seitdem den Landtag über den Inhalt von Änderungen der Coronaverordnungen vorab. Regelmäßig gibt es auch Sondersitzungen des Landtags zur Coronapolitik. Eine Verpflichtung dazu hatte die Regierung aber weiterhin ausdrücklich nicht gesehen – und genau deshalb hielten Grüne und FDP an ihrer Klage fest.

Infos nicht erst auf Anfrage

Im Urteil gab der Gerichtshof der Opposition auf ganzer Breite recht und verwarf die Einwände der Regierung. Der Landtag habe die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren und eigene Initiativen sowie Alternativen zu entwickeln, betonte der Gerichtspräsident. Damit Regierung und Parlament auf Augenhöhe handeln könnten, gebe es bei gewichtigen Vorhaben eine Informationspflicht der Regierung, und zwar als Bringschuld und nicht erst auf Anfrage. Einen Anwendungsspielraum, in welchem Umfang die Regierung ihre Kontrolleure informiere, gebe es dabei nicht, betonte Smollich.

Zwar müsse die Landesregierung dem Landtag keinen Einblick in ihre interne Willensbildung geben, dieser Prozess sei der parlamentarischen Kontrolle entzogen, stellte der Gerichtshof fest, in dem Moment, in dem die Regierung aber die kommunalen Spitzenverbände zu Entwürfen einer Coronaverordnung anhöre, sei die Willensbildung vorläufig abgeschlossen und müsse der Landtag als Ganzes, und nicht bloß einzelne Vertreter oder Ausschüsse, informiert werden. Die Eilbedürftigkeit in der Coronakrise stehe dem nicht entgegen. Gerade in einer solchen Situation helfe die elektronische Kommunikation.

Die Grünen-Fraktion begrüßte die Entscheidung. „Der Staatsgerichtshof attestiert der Regierung Weil nichts weniger als einen Bruch der Landesverfassung“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Helge Limburg. Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie habe ein Verfassungsgericht in Deutschland klargestellt, dass auch in Krisenzeiten Regierungen nicht an den gewählten Parlamenten vorbei durchregieren könnten. (dpa/epd)