Wenn Impfstoff übrig bleibt

Beim Rauhen Haus ist der Vorstand geimpft und Mitarbeiter sind sauer

Von Kaija Kutter

Zum Vorwurf möglicher „Impfdrängelei“ in Führungsetagen musste sich jetzt auch das Rauhe Haus äußern, das auf seinem Gelände in Horn ein Altenheim und weitere soziale Einrichtungen betreibt. Der zweiköpfige Vorstand soll geimpft worden sein, als das Impfteam der Stadt wegen der Bewohner im Altenheim war. Auf Nachfrage erklärt die Stiftung, es seien lediglich Reste verimpft worden. Die taz erhielt Post von Mitarbeitern, die ungenannt bleiben wollen und mit dem Coronamanagement der Stiftung unzufrieden sind. Die Pandemie sei „Brennglas für bestehende Probleme“. Zur Feder griffen sie, als sie hörten, der Vorstand sei geimpft. Denn selbst wenn an einem Impftag Serum übrig geblieben wäre, gebe es auf dem Gelände in den anderen Häusern Klienten und Kollegen, die ihn nötiger hätten als „Menschen, die in ihren einzelnen Büros sitzen“.

Das Rauhe Haus erklärt, es werde ausschließlich nach Behördenvorgabe geimpft. Bereits Silvester habe eine erste Impfung für Bewohner und Mitarbeiter des Altenheims stattgefunden, wobei zu letzteren auch drei Seelsorger wie etwa Vorstandspastor Andreas Theurich zählten. „Dies war abgestimmt mit dem DRK-Impfarzt. Eine übrig gebliebene Impfung wurde vernichtet.“ Bei der zweiten Impfung am 22. Januar seien drei Dosen übrig geblieben. Und zwar der verderbliche „Biontec“. Die Impfärztin habe den Altenheim-Leiter aufgefordert, drei Personen zu nennen, die in der Lage wären, den mehrseitigen Fragebogen auszufüllen und zur Zweitimpfung die Messehallen aufzusuchen. Der Leiter habe drei Personen benannt, die mit dem Altenheim in Kontakt stünden: die zuständige Controlerin, eine Therapeutin, die Silvester wegen eine Infekts die Impfung verpasste, und die kaufmännische Vorstandsfrau.

Die anderen Bewohner und Mitarbeiter gehörten nun zur „zweiten Priorität“ und würden strikt nach Behördenvorgabe geimpft. Laut Gesundheitsbehörde sind erste Häuser der Behindertenhilfe schon mit der Impfung an der Reihe, die laut Sprecher Martin Helfrich „im Laufe des März“ ansteht. Die 149 Alten- und Pflegeheime seien im Februar fertig geimpft worden. Dort hätten alle „bis hin zum Pförtner“ eine Dosis erhalten können. Es sei nicht Behördenaufgabe, Listen zu kontrollieren.

Hilke Stein, Leiterin des Fachbereichs Gesundheit bei Ver.di, sagt, sie höre von mehreren Kliniken und Einrichtungen, dass sich Leitungen über die Priorisierung hinwegsetzten. Sie sieht das kritisch: „Wenn eine Impfdosis ­übrig ist, muss sie zum Impfzentrum zurück und dort im Rahmen der Priorisierung vergeben werden.“ Auch im Rauhen Haus hätte jemand geimpft werden können, der in der Priorisierung davor steht. Die Mitarbeiter fordern nun, dass es für die Zukunft eine alternative Warteliste für übrige Dosen gibt. Vorstands­pastor Andreas Theurich versichert: „Es wird eine Liste für übrige Dosen geben, die streng nach Prioritätenliste geht.“

Laut Helfrich sind als nächste Gruppe die rund 27.500 Kita-Erzieher dran und Menschen mit Vorerkrankungen. In Kürze würden weitere Berufe aufgerufen, etwa Psychotherapeuten, Krankengymnasten und nach Möglichkeit noch im März die Grundschullehrer.