Corona-Politik in Hamburg: Kein Raum für Kinder

In Mümmelmannsberg stehen fünf Turnhallen leer, in denen die Elternschule Familien Bewegung und Beratung anbieten möchte. Die Stadt erlaubt das nicht.

Mädchen hüpft und lacht, dahinter spielen Kinder mit bunten Schaumstoffteilen

Wichtig für Kinder, aber der Stadt keine Ausnahme wert: Bewegungsangebote in der Elternschule Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Auch die Elternschule Mümmelmannsberg hält sich an Abstandsregeln. Während die zwei Spiel- und Café-Räume normalerweise von vielen Kindern und Eltern besucht werden, darf wegen des Lockdowns nur eine Familie in einem Raum sein. „Die Kinder rennen hier gleich los. Man merkt wie sie sich freuen, wenn sie endlich mal laut sein und sich bewegen dürfen“, sagt Leiterin Birgit Sokolowski. Die Mütter nutzen die Gelegenheit, ihre Sorgen loszuwerden.

Doch leider sei das Angebot begrenzt. Über 60 Familien stehen auf ihrer Liste, kommen können pro Tag höchstens acht. Deshalb kämpft Sokolows­ki seit neun Wochen dafür, die direkt benachbarten fünf Turnhallen der Stadtteilschule Mümmelmannsberg nutzen zu können. Die Hallen stehen leer. Und den Familien fällt in den beengten Wohnungen des Hochhausviertels die Decke auf den Kopf. „Die Müttern sagen, ich werd’ zu Hause laut und meinen Kindern nicht mehr gerecht. Denen kommen hier die Tränen.“ Dafür sei die Elternschule jetzt wichtig.

Mit den Hallen, für die das Team ein Hygienekonzept erstellte, könnte man allen Familien ein Angebot machen, das die Abstandsregeln berücksichtigt. Die Elternschule kooperiert mit einem Verein, der dort psychomotorische Bewegungsangebote für die Kinder macht.

Wir verabreden spontan einen Vor-Ort-Termin. Die Mutter Jenni Cueva kommt vorbei mit ihren kleinen Töchtern. Die dreijährige schnappt sich gleich ein Bobbycar und rollert durch den Raum, ihre siebenjährige Schwester hüpft auf dem Trampolin, während wir mit Abstand und Maske auf kleinen Kinderstühlchen sitzen. „Zu Hause ist nicht so viel Platz, die Kinder dürfen nicht in die Kita und haben zu viel Energie“, sagt die Mutter. „Wenn sie hierherkommen, toben sie sich aus.“

Auch aktive Mütter kommen an ihre Grenzen

Cueva wohnt mit Mann und Schwiegermutter zu fünft in drei Zimmern. Wegen der Nachbarn dürften die Kinder nicht laut sein. „Meine Tochter fragt mich oft: ‚Mami, wann darf ich in die Elternschule?‘“. Doch war sie früher fast täglich hier, kann sie derzeit nur einmal die Woche für anderthalb Stunden in die Elternschule kommen. „Das ist nicht genug.“

Draußen stürmt Orkan „Klaus“. Zur Tür herein kommt Hassina Ahmadzai mit ihren drei kleinen Söhnen, die wegen des Wetters ihre Schneeanzüge tragen. Die Elternschule ist Teil des kompakten Bildungszentrums von Mümmelmannsberg, direkt im Nebenflur beginnt eine teppichbelegte große Sozialfläche der Schule, die sich auch für Bewegungsangebote eignet. Die Elternschule darf sie wegen Reinigungsmodalitäten aber nur spät nachmittags für anderthalb Stunden nutzen. Birgit Sokolowski lotst uns rüber, damit die Kinder spielen und wir uns mit Abstand unterhalten können.

Ahmadzai sagt, sie sei eine aktive Mutter, komme aber auch alleine zu Hause mit den Kindern an ihre Grenzen. „Man kann mit ihnen rausgehen, aber das geht bei dem Wetter nur eine Stunde am Tag.“ Sie hat heute mit ihren Kindern schon Mühle und „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt, danach Ticken und Verstecken und mit bemalten Händen ein Bild erstellt. „Dass dauert nicht mal 15 Minuten, dann räumt man wieder auf.“

Sie sei oft in der Elternschule, sagt sie. Als ihre Kinder Babys waren, sei das die Rettung gewesen. Doch nun dürfe sie nur einmal alle 14 Tage kommen. Sie hat deshalb auch schon an die Stadt geschrieben: Die Eltern im Stadtteil wünschten sich sehr, dass die Elternschule die Turnhallen nutzen kann. Zumal es dort eine tolle Kletterwand gibt, die in den Ferien sonst immer die Attraktion war.

Doch die Hamburger Behörden haben den Antrag von Birgit Sokolowski abgelehnt. Der Bezirk Mitte war dafür, der Schulleiter hatte auch sein Okay gegeben. Doch erlauben musste dies die städtische Firma „Schulbau Hamburg“ – und die fragte beim Sportamt der Innenbehörde nach. Und das deutete nach Rücksprache mit der Sozialbehörde die Paragrafen der „Eindämmungsverordnung“ so, dass die Elternschule die Hallen nicht nutzen kann.

Zwar solle die Familienhilfe weiter individuelle Angebote in Präsenz aufrecht erhalten, doch das sei „nicht vorrangig“ gegenüber dem im Paragraf 20 verfügten Verbot von Sport in geschlossenen Räumen. So schreibt es der rot-grüne Senat in der Antwort auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Sabine Boeddinghaus. Dafür spreche auch, dass explizit geregelt sei, dass „bestimmter Dienstsport und Reha-Sport zulässig bleiben“. Erlaubt ist demnach auch Training für Polizei und Feuerwehr. Mehr Ausnahmen möchte der Senat nicht machen, auch um „Ungleichbehandlung“ von Vereinen zu vermeiden.

Bewegung für Jugendliche auf Attest

Nun haben Psychomotorik-Angebote für Kinder, die in den 1990ern entwickelt wurden, weil man feststellte, dass Kinder sich zu einseitig bewegen und teils nicht mehr rückwärts laufen konnten, eine gesundheitliche Bedeutung. Danach gefragt, ob dies weniger wichtig sei als Reha-Sport, versichert die Innenbehörde: „Der Senat weiß um die Relevanz dieser Angebote.“ Sollten die Inzidenzzahlen unter 100 bleiben, könnte mit dem nächsten Öffnungsschritt am 22. März wieder kontaktfreier Sport im Innenbereich möglich sein – gegebenenfalls bei Vorlage eines negativen Schnelltests.

Sabine Boeddinghaus sagt, der Senat hätte längst anders handeln und die Hallen freigeben müssen. „Ich erwarte, dass er die Bedürfnisse der Kinder und Eltern nach Bewegung und Beratung ernst nimmt.“

Sokolows­ki betont, dass es ihr gar nicht um Gruppensport, sondern um Einzelangebote für die Familien gehe. Und die seien auch jetzt noch wichtig, obwohl ab Montag die Kitas und Grundschulen wieder zeitweise öffnen. „Solange die Hallen ungenutzt sind und die Kinder überwiegend zu Hause, brauchen wir diesen Raum dort.“

Während wir auf der Sozialfläche sitzen, kommt auch Sozialarbeiter Yama Waziri vorbei, der mit der Elternschule zusammenarbeitet. Er betreut Jugendliche, die teils ärztliche Atteste für Psychomotorik haben. Für die würde er gern im Stadtteil Bewegungsangebote schaffen. „Wir können damit nicht warten, bis die Pandemie vorbei ist.“

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