Nachlass des Fotografen Julius Frank: Die Augen von Lilienthal

Julius Frank war der jüngste Spross einer Fotografen-Dynastie. 1936 floh er vor den Nazis in die USA. Sein Nachlass kehrt nun nach Lilienthal zurück.

Der Fotograf Julius Frank

Hier im Selbstportrait: Julius Frank nach seiner Ankunft in den USA im Jahr 1936 Foto: Julius Frank/Focke-Museum

BREMEN taz | Karin Walter hebt behutsam den Deckel einer Pappschachtel. „Dieser Nachlass ist schon etwas ganz Besonderes“, sagt die promovierte Kunsthistorikerin. Sie ist Kuratorin am Focke-Museum in Bremen und dort unter anderem zuständig für die Sammlungsbereiche Kunst und Fotografie. Unter dem Deckel der Schachtel kommt ein Stapel Briefe zum Vorschein. Das Papier knistert leise. Es ist dünn und am Rand leicht vergilbt. Man erkennt eine geschwungene Handschrift auf dem alten Papier.

Im Herbst 2020 kam eine große Kiste im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte an – weit gereist aus Amerika. Darin der Nachlass einer ganzen Familie: der Familie Frank aus Lilienthal. 1936 floh der jüdische Fotograf ­Julius Frank vor dem Naziregime und gab sein Atelier in Lilienthal auf.

Auf seiner Flucht in die USA hatte er den Familiennachlass dabei. Jetzt, über 80 Jahre später, haben seine Kinder all die Dokumente und Bilder zurückgeschickt und dem Heimatverein ­Lilienthal und dem Focke-Museum gemeinsam geschenkt. Dort wird der Nachlass nun gesichtet, katalogisiert und für eine Ausstellung restauriert. Im November vergangenen Jahres sollte die Vernissage sein. Wegen Corona wurde sie um ein Jahr verschoben, sofern das Museum dann wieder öffnen kann.

Bereits 1872 hatte Julius Frank, der Großvater des später in die USA ausgewanderten Julius Frank jr., ein Foto- und Malergeschäft in Lilienthal gegründet. Spezialisiert hatte er sich aufs klassische Porträtgeschäft. Nach 25 Jahren wird das Unternehmen um ein eigenes Fotoatelier und Geschäftsbegäude in der Hauptstr. 44 ergänzt, das Sohn Henry Frank leitet. Auch er war ein technisch versierter Fotograf.

Der Heimatfotograf

Mit der Gründung des Verlags „Deutsche Heimatmotive“ erweiterte er das Repertoire. Mit seinen Drucken von Landschafts-, Moor- und Heideaufnahmen traf er den Geschmack der Zeit. Die Künstlerkolonie Worpswede nördlich von Lilienthal zog zu dieser Zeit viele Künstler und Fotografen an.

Die Motive, die im Schaufenster des Ateliers Julius Frank zum Verkauf hingen, standen in der Bildtradition der dort lebenden und arbeitenden Maler*innen. Die atmosphärischen Fotografien waren als Ansichtskarten oder großformatige Kunstdrucke auch über die Grenzen Lilienthals hinaus bekannt und beliebt. Kunsthandlungen in Bremen, Hamburg und Worpswede verkauften die Bilder von Henry Frank.

Mit seinen Fotos gewann Henry Frank zahlreiche Preise. Auch im Ausland wurden die Aufnahmen bewundert und geehrt. Nachdem Henry Frank starb, übernahm 1931 der Enkel des Geschäftsgründers den Laden der Familie und führte ihn weiter. Auch er trug den Namen Julius. Und auch Julius Frank jr. fertigte weiterhin Hochzeits- und Porträtfotografien an, hielt den guten Ruf der Familie aufrecht und machte künstlerische Landschaftsaufnahmen. Mit denen gewann er Kunstpreise.

Karin Walter hebt behutsam einige Briefe hoch. „Meist hat man als Fotohistorikerin von den Fotografen selber ja gar keine Selbstauskunft“, sagt sie. Der Nachlass der Familie Frank hingegen enthält auch Briefe und Aufzeichnungen, in denen zum Beispiel Julius Frank jr. den Versuch beschreibt, sein Fotogeschäft gegen ein anderes zu tauschen, um ein Verlustgeschäft beim Verkauf zu vermeiden.

Das ist ihm letztendlich nicht gelungen. Der Jude Julius Frank war gezwungen, das Familiengeschäft zu einem schlechten Preis an seinen Kollegen Fritz Hahn zu verkaufen, und wanderte 1936 mit einem Visum in die USA aus. Die Umstände in Lilienthal und in ganz Deutschland hatten sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 schlagartig verändert. Jüdische Geschäfte wurden gemieden, Deutschen war es verboten, dort einzukaufen.

Eine Frau gießt in einem alten Bauernhaus eine Kanne aus.

„Morgenarbeit“: Mit dieser Aufnahme hatte Frank in Amerika großen Erfolg Foto: Julius Frank/Focke-Museum

Das bekam auch die Familie Frank zu spüren. Kunden kamen nur noch wenige und die, die kamen, wurden ausgehorcht und eingeschüchtert. Auf der Straße wurden die Franks von kaum jemandem mehr gegrüßt. Selbst Freunde wandten sich ab.

Harald Kühn hat ein Buch über das Schicksal der Familie geschrieben. Ihm und seinen Kollegen vom Heimatverein Lilienthal ist es wohl zu verdanken, dass der künstlerische und dokumentarische Nachlass der Franks jetzt wieder zurück in Deutschland ist.

Durch einen Zufall stieß der Heimatverein auf Aufzeichnungen, aus denen die Geschichte der Franks bis 1936 hervorging. „Wir haben glücklicherweise auch mit Zeitzeugen sprechen können“, sagt Harald Kühn.

„Als wir mit dem Buch anfingen, lebten noch einige Menschen in Lilienthal, die die Familie gekannt haben und sich erinnern konnten.“ Was allerdings nach 1936 mit den Franks passiert war und ob sie ausgewandert oder gar ermordet worden waren, habe keiner im Dorf gewusst.

Im Exil angekommen ist der junge Fotograf Frank voller Ideen. Auch auf seiner Reise macht er unaufhörlich Fotos. Einige davon sind jetzt in dem Familiennachlass wieder aufgetaucht.

Kühn und seine Mitstreiter forschten nach. Sie fanden heraus, dass es Julius Frank und seiner späteren Frau Hilde Hammer gelungen war, in die USA zu fliehen. Kühn konnte dann sogar die Witwe Frank in Detroit ausfindig machen und den Kontakt herstellen.

Der leidenschaftliche Turner Julius Frank hatte vor seiner Flucht sehr unter der antisemitischen Ausgrenzung in der Gemeinde gelitten. Am „Weihnachtsschauturnen“ 1935 durfte er als Jude bereits nicht mehr teilnehmen. Seine Freundin Hilde konnte er nur heimlich treffen. Denn die Rassegesetze der Nazis hatten sie 1933 zur Arierin gemacht – und ihr den Kontakt zu Juden verboten. Julius und Hilde ließen sich ihre Liebe indes nicht untersagen. Jahre später heirateten sie in den USA. Sie bekamen drei Kinder.

„Es ist wirklich erstaunlich, dass eine so hoch geschätzte Familie so plötzlich zu Aussätzigen werden kann“, sagt Harald Kühn. „Die Lilienthaler, die die Franks noch kannten, hatten alle viel Positives zu berichten.“ Es seien aber dieselben Dorfbewohner gewesen, die, als die Stimmung in Deutschland nach 1933 umschlug, der jüdischen Familie Frank das Leben schwer gemacht hatten.

Am 9. Juni 1936 flieht der damals 29-jährige Julius Frank Hals über Kopf via Hamburg per Schiff nach New York. Von dort geht es weiter nach ­Detroit zu seinem Onkel, der ihm einen beruflichen Neuanfang ermöglicht. Der junge Fotograf Frank ist voller Ideen und macht auch auf seiner Reise unaufhörlich Fotos. Einige davon sind jetzt in dem Familiennachlass wieder aufgetaucht. Karin Walter blättert in einem mit gemustertem Stoff bezogenen Fotoalbum.

Einige der kleinen Abzüge liegen nur noch lose zwischen den Seiten. Auf vielen Fotos ist Julius Frank selbst als junger Mann zu sehen. Auf einem sieht man ihn, wie er sich selbst im Spiegel fotografiert. Auf dem Sims vor dem Spiegel stehen zwei Landschaftsaufnahmen und ein Bild von seiner Hilde. „Das Foto ist wahrscheinlich in Detroit entstanden“, sagt Karin Walter. „Die Bilder in den Alben sind leider kaum beschriftet worden.“ Sie blättert weiter.

Einige Aufnahmen eines Wohnzimmers sind auf der nächsten Seite zu sehen. „Ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Julius Frank diese Bilder für Hilde gemacht hat, um ihr zu zeigen: Schau, so sieht es bei mir aus, mir geht es gut hier.“ Dass das Museum diesen Nachlass jetzt bekommen habe, sei eine wirklich große Geste, sagt Walter. „Wir habe eine große Verantwortung, damit ordentlich umzugehen.“

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