Virtual Reality im Theater: Schwindel beim Zusehen

Ein kurzer Monolog von Einar Schleef und ein langer Weg durch ein entkerntes Theater – „14 Vorhänge“ für die VR-Brille vom Theater Augsburg.

Klaus Müller blickt im Theater ins Leere, schwarz-weiß

Klaus Müller in „14 Vorhänge“, einer Inszenierung des Theaters Augsburg Foto: Jan-Pieter Fuhr

Wie hoch es hinaufgehen kann und wie tief hinab, das ist eine fast körperliche Wahrnehmung und zugleich eine Metapher in der Inszenierung „14 Vorhänge“, die André Bücker, Intendant am Staatstheater Augsburg, eingerichtet hat. Dabei ist dieses Theater nicht nur geschlossen, wie alle im Lockdown in Deutschland, sondern auch noch Baustelle, entkernt von Sitzreihen, Wandverkleidungen, Böden. Durch den nackten Beton, vorbei an aufgerissenen Wänden, über Wendeltreppen und durch leere Foyers, über Emporen und durch die Keller wandert einsam ein Schauspieler, Klaus Müller.

Wie man das erleben kann, wenn man doch nicht in das Gebäude darf? Mittels einer Virtual-Reality-Brille, die den Blick dreidimensional durch den Raum gleiten lässt. Wer die Brille aufhat, kann mit Kopfneigungen nach oben und unten schauen und mit Drehungen auch hinter sich. Der Schauspieler tritt an eine Kante, und senkt man den bebrillten Kopf, sieht man plötzlich den Abgrund zu seinen Füßen. Auch den Blick in die Höhe zum Bühnenturm kennt man so als Zuschauer sonst nicht, und das ist erst mal beeindruckend in diesen, im Übrigen schwarzweißen ­Bewegtbildern. Muss es einem als Schauspieler nicht immer schwindeln ob dieses Raumungetüms über einem?

Ein entkerntes Theater ist ästhetisch die Steigerung zu einem leeren Theater, und deshalb passt dieses Stück Medienkunst gut in die Zeit. Als ob nicht nur die Zuschauer nicht mehr da wären, sondern auch der Theaterbetrieb hier und überhaupt kurz vor dem Abriss stünde. Visuell trifft dieses VR-Spektakel deshalb mit einem Gefühlsbündel zusammen, das Theaterschaffende im Lockdown bedrängen mag: man denkt an eine Epoche der Endzeit, an die Ungewissheit, was folgen wird, an die Angst vor einem schleichenden Aus.

Der Mann, der durch das leere Theater geht, könnte auch der letzte Mensch sein. Ob da draußen überhaupt noch eine Welt ist? Diese Vorstellung wird unterstützt durch die VR-Technik, die ja nur den Raum in der Brille und sonst nichts mehr, nicht mehr die eigenen Hände oder Füße sehen lässt. Man selbst ist ein blinder Fleck in diesem Raum.

Frühere Triumphe

Allein diese Theaterwanderung ist das Vorspiel für einen Monolog, der erst in den letzten Minuten der Inszenierung kommt. Der Text von Einar Schleef entfaltet die Erinnerung eines Schauspielers, der einst große Triumphe auf der Bühne feierte, 14 Vorhänge hatte er, 14-mal holte der Applaus des Publikums ihn nach vorne. Und jetzt ist das alles bitter überschattet von seiner Kündigung.

Er erzählt von Krankheit, die als Wahn gedeutet wird, von der Kränkung, nicht mehr gesehen zu werden. Dann springt der Text in knappen Sätzen, plötzlich spielt er am Hafen, obwohl er keine Stimme mehr hat. Und auch den Text nicht mehr weiß.

Diesen Alptraum eines Schauspielers schrieb Einar Schleef. Er widmete den Text Bernhard Minetti, der 1998 mit 93 Jahren gestorben war. Vorgetragen wurde er bei einer Trauerfeier für Minetti im Berliner Ensemble. Der Text spielt aber auch auf Inszenierungen Schleefs an, die er nicht beenden konnte, weil ein Theater geschlossen wurde – das Schillertheater in Berlin 1993 –, oder die er platzen ließ.

Allein diese in wenige Zeilen gedrängte Theatergeschichte erschließt sich nicht aus dem Text und sie wird in „14 Vorhänge“ auch in keiner Form als Kontext herangezogen. So schrumpft der Monolog auf einen tragischen Moment am Ende einer Schauspielerkarriere zusammen, ohne dass man viel von den gesellschaftlichen und kunstbetrieblichen Bedingungen wüsste, die ihn hervorgebracht haben.

des Theaters Augsburg kann man entweder für die eigene VR-Brille bestellen und aus dem Internet runterladen. Oder man leiht eine VR-Brille inklusive Stück. Ein Ticket kostet 5,90 Euro. Infos auf der Website des Staatstheaters Augsburg.

Sei es drum. So bleibt es eben eine Hommage an ein Theaterhaus, die Hauptspielstätte des Theaters in Augsburg, deren Sanierung lange verzögert wurde. 2016 wurde das Haus dann aus feuerpolizeilichen Gründen geschlossen, 2026 soll es wieder bespielbar sein. Die Inszenierung entstand im Dezember 2020, als die Baustelle kurzfristig zu betreten war. Jetzt, im Februar, dürften Künstler da nicht mehr rein.

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