crime scene
: Gefährlich gemobbt und selbst nicht zimperlich

Los Angeles also. Candice Fox, australischer Megastar am Thrillerhimmel, hat die Handlung ihres neuesten Romans ins US-amerikanische Ausland gelegt, um eine rasante Geschichte von vier Frauen zu erzählen, die jede auf ihre Art tiefgreifende Probleme mit der Gesellschaft haben, in der sie leben müssen.

Blair, einst erfolgreiche Kinderchirurgin, hat zehn Jahre Knast abgesessen, weil sie einen Nachbarn erschossen hatte, und arbeitet nun nachts als Verkäuferin an einer Tankstelle. Ihr einziges Kind, im Gefängnis geboren, wächst bei Pflegeeltern auf. Eines Tages bekommt sie überraschenden Besuch von einer ehemaligen Mitgefangenen, die „Sneak“ genannt wird, weil sie alles zu klauen pflegt, was nicht niet- und nagelfest ist. Aber im Knast war Sneak eine gute Freundin, und nun braucht sie Blairs Hilfe, weil ihre erwachsene Tochter verschwunden ist.

Da weder Blair noch Sneak über finanzielle Mittel verfügen – und die Polizei nicht einschalten können, denn Sneak wird wieder einmal gesucht –, müssen sie sich an eine andere ehemalige „Nachbarin“ aus dem Knast wenden: Ada ist als Gangsterboss eine anerkannte Größe in der Unterwelt von L. A. und verfolgt natürlich ihre ganz eigene Agenda, wenn sie den beiden hilft …

Diesen drei Outlaws stellt Fox eine Vertreterin der Law-and-Order-Seite entgegen beziehungsweise mehr und mehr zur Seite: Jessica Sanchez, Detective beim LAPD, hat Blair einst als Mörderin eingebuchtet, ist derzeit aber mehr mit der Bekämpfung ihrer Kollegen beschäftigt. Sehr überraschend hat Jessica, als Dank für die Lösung eines Falls, ein millionenschweres Anwesen geerbt, was einem unfähigen Kollegen, der die Ermittlungsarbeit damals stark vernachlässigt hatte, sauer aufstößt. Plötzlich wird die ehrgeizige Polizistin auf lebensgefährliche Weise gemobbt und ist nicht zimperlich in ihrer Gegenwehr.

Blair und Jessica, die Hauptfiguren in diesem personalreichen Page­turner, bewegen sich im Laufe der Handlung aufeinander zu. Das wäre keineswegs zwangsläufig; aber Candice Fox füllt die zwei parallelen Handlungsstränge so versiert mit Action und Suspense, dass darüber praktisch unsichtbar wird, wie konstruiert das Ganze eigentlich ist und wie sehr die Handlung von Zufällen lebt. Dass als Nebenschauplatz auch noch ein Hochsicherheitsgefängnis eingeführt wird, in dem ein gesuchter Mehrfachmörder sein sinistres Dasein fristet, wirkt fast schon wie mit der Kanone auf Spatzen geschossen. Andere würden aus einem solchen Setting einen ganzen Roman machen. Aber Candice Fox scheint keine Angst zu kennen, zu viel Pulver zu verschießen; bisher ist ihr ja auch immer noch etwas Neues eingefallen.

Vor allem ihre weiblichen Charaktere sind immer wieder anders und überraschend. Extreme Figuren wie die verpeilte Sneak oder die furchterregende Gangster-Ada oder auch Jessicas fiese und unfähige Cop-Kollegen, haben zwar oft etwas leicht comichaft Überzeichnetes. Aber auf irgendeine geheimnisvolle Weise wirkt das in einem Candice-Fox-Roman nie billig, sondern eher latent humoristisch. Und mindestens die wehrhafte Detective Jessica Sanchez mit ihrem heimlichen Hang zu ungewöhnlichen Sexpraktiken und die grundgute, einst sogar grundbiedere Blair mit ihrer tragischen Vergangenheit haben das echte Zeug zu Serienheldinnen.

Candice Fox: „Dark“. Aus dem Eng­lischen von Andrea O’Brian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 395 Seiten, 15,95 Euro

Denn auch wenn Blairs Tötungsdelikt sich im Laufe dieses Roman nach und nach aufklärt, gibt es bestimmt noch vieles andere, was sich über die beiden erzählen ließe. Candice Fox wird todsicher etwas einfallen.

Katharina Granzin