Gründerin über Frauenmagazin: „Wir wollen wirklichen Luxus“

Mit „Lux“ erscheint in den USA ein Frauenmagazin, das Feminismus und Sozialismus verbindet. Gründerin Sarah Leonard spricht über das gute Leben.

Straßenszene mit Frauen in New York.

Straßenszene in New York Foto: Richard B. Levine/imago

taz am wochenende: Frau Leonard, „Lux“ beschreibt sich als sozialistisches, feministisches Magazin. Warum funktioniert das eine, Feminismus, nicht ohne das andere, Sozialismus?

Sarah Leonard: Wir definieren Feminismus so, wie es die Literaturwissenschaftlerin und antirassistische Aktivistin bell hooks tut: als Kampf gegen sexistische Unterdrückung. Das heißt zunächst mal, dass jeder Feministin sein kann. Und es bedeutet, dass es nicht reicht, wenn arme Frauen gleichgestellt mit armen Männern und reiche Frauen gleichgestellt mit reichen Männern sind. Für uns geht es darum, die Unterdrückungssysteme grundsätzlich loszuwerden. Echte Gleichberechtigung.

Was vielleicht insbesondere in den USA sehr beliebt ist, ist eine Art von Girl-Boss-Feminismus. Du hast Figuren wie Hillary Clinton, die militärische Interventionen durchgeführt und Sozialhilfereformen unterstützt haben, unter denen Tausende von armen Frauen gelitten haben; Clinton gilt bei vielen aber trotzdem als Feministin, weil sie die erste weibliche Präsidentin geworden wäre. Das ist nicht unser Ding. Feminismus und Sozialismus brauchen einander, weil es sonst keine Gleichberechtigung gibt, und ohne Gleichberechtigung keine Befreiung.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Solidarität wichtiger als Schwesternschaft ist. Worin besteht der Unterschied?

Es gibt eine alte feministische Idee, dass wir alle etwas gemeinsam haben, nur weil wir Frauen sind. Und das mag irgendwo ein wenig stimmen. Aber es verdeckt eine Menge der Ungleichheiten zwischen den Frauen, bedingt zum Beispiel durch Rassismus oder Klassenunterschiede. Solidarität ist deshalb nützlicher, weil es betont, dass wir gemeinsam kämpfen und etwas aufbauen müssen. Es bedeutet, dass wir uns die gleichen Ziele setzen. Und es bedeutet auch, dass man Verbündete haben kann, die nicht der eigenen Identität entsprechen, was wiederum eine größere Koalition ermöglicht.

Auf der Titelseite der ersten Ausgabe ist die Schwarze Sozialistin Keeanga-Yahmatta Taylor, im Heft gibt es einen langen Artikel über sie – einer von vielen persönlichen Texten. Geht es darum, Sozialismus zugänglicher zu machen?

Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass ich Ideen durch Personen besser verstehe, und ich glaube, das gilt für viele Leute. Wir wollen keine trockenen sozialistischen Theorien anbieten, sondern vielmehr erreichen, dass die Leute erkennen, wie diese Ideen in der Welt gedeihen. An traditionellen Frauenmagazinen liebe ich, dass sie so einfach zu lesen sind und dass sie von Menschen handeln. Und das wollten wir aufnehmen. Aber eben gefüllt mit Sozialismus.

Jahrgang 1988, wohnt in New York. Sie ist Gründerin und Redakteurin des sozialistisch-feministischen Magazins Lux. Zuvor arbeitete sie bei The Nation und als freie Autorin. Leonard ist Mitherausgeberin zweier Bücher, „Occupy!“ (2012) und „The Future We Want: Radical Ideas for the New Century“ (2016).

Die Bandbreite der Themen ist groß, es geht um die Abschaffung von Gefängnissen, um Sparmaßnahmen im Bildungswesen, Trans-Feindlichkeit unter britischen Feminist:innen, um Luxusparfüms in der Sowjetunion.

Wir schränken uns thematisch nicht ein, aber wir kommen mit einer bestimmten Perspektive. Es geht in dieser Ausgabe viel um Sex, um guten wie um schlechten, weil darüber in sonstigen sozialistischen Publikationen nicht oft gesprochen wird. Die Autorin Ariella Thornhill beispielsweise spricht in dem Interview zum Thema radikale Aufklärung über die Bedingungen von sexueller Lust und weist darauf hin, dass es nicht nur darum geht, die Dinge zu entstigmatisieren, sondern darum, materielle Ressourcen bereitzustellen: Tests für Geschlechtskrankheiten, ein sicheres Zuhause, Hormone. Was auch immer Kontrolle über den eigenen Körper ermöglicht, ermöglicht Lust.

Sprechen wir über den politischen Moment, in dem „Lux“ erscheint. Trump ist weg, Biden neuer Präsident, mit einem auffällig diversen Kabinett. Sie schreiben im Editorial der ersten Ausgabe, dass diese Art von Inklusion und Vielfalt nur dem Status quo diene. Das ganze Magazin positioniert sich also so sehr gegen die liberale Mitte wie gegen die Rechte?

Der Grund dafür ist die totale Unfähigkeit der beiden großen Parteien, die grassierende Ungleichheit in diesem Land anzusprechen, die Platz für Trump gemacht hat. Leute wie Biden dominieren seit Jahrzehnten die Pro-Business-Position der Demokratischen Partei, was bedeutet, dass arbeitende Menschen letztlich keine Partei haben, die ihre Interessen vertritt. Wir sind Trump jetzt vielleicht für den Moment los, aber wenn man die Ungleichheit nicht angreift, werden wir erneut in einer politischen Katastrophe enden.

Es ist gefährlich, wenn Leute Vielfalt verkaufen und feiern und das auf Kosten der tatsächlichen strukturellen Veränderungen geht. Und offen gesagt, haben wir als feministisches Medium die Glaubwürdigkeit, dagegen anzugehen. Manchmal, wenn andere linke Publikationen diese Art von Repräsentationspolitik kritisieren, ist es sehr einfach, sie als „Bernie Bros“ abzutun.

Mit „Bernie Bros“ sind die männlichen Unterstützer von Bernie Sanders gemeint, denen Sexismus vorgeworfen wird. Ist „Lux“ darauf auch eine Antwort?

Der Begriff Bernie Bro wurde von Clinton-Anhänger:innen erfunden, um Bernie-Anhänger:innen grundsätzlich zu diskreditieren, insofern ohne gute Vorsätze. Nichtsdestotrotz gibt es jede Menge Sexismus unter Linken, so wie es jede Menge Sexismus überall gibt. Und es gibt definitiv Linke, die denken, dass Gender und race nicht adressiert werden müssen, was in meinen Augen auf eine sehr reduzierte Klassenpolitik hinausläuft.

Die US-Linke hat insgesamt eine Wiederbelebung erfahren. Was ist heute möglich, was vor zehn Jahren nicht möglich gewesen wäre?

Vor zehn Jahren war die politische Unzufriedenheit immer spürbarer, aber es gab noch keine sichtbaren Alternativen. Mittlerweile hat sich die Alternative als Sozialismus herauskristallisiert. Die Leute sind hungrig nach politischer Bildung, politischer Konversation und dem Nachdenken über neue Strategien.

„Lux“ sollte ein Vergnügen sein, schrei­ben Sie. Die Betonung liegt auch auf der Utopie: Das ist die Welt, die wir wollen. Entdeckt die Linke dieses Denken gerade wieder?

Es gab eine Phase, in der es reichte, dass So­zia­lis­t:in­nen die Mitte und die Rechten kritisiert haben. Jetzt aber fragen die Leute: „Was ist euer Plan?“ Das ist eine viel anspruchsvollere Frage als „Was ist falsch am Liberalismus?“ Ich denke auch, dass der Sozialismus aufgrund des Kalten Kriegs lange mit dem Makel behaftet war, grau und deprimierend zu sein. Aber wir, meine Generation, kennen den Kapitalismus nur so, dass er das Leben grau und deprimierend macht.

Ich glaube, dass es schwieriger ist, Leute anzuziehen, wenn man keine Vision hat. Und der Sozialismus hat eine leuchtende, herrliche Vision. Wir wollen viel mehr, wir wollen die Dreitagewoche, wir wollen Familien, die genügend Geld haben, um ein komfortables Leben zu führen, mit einer Fülle von Ressourcen, viel Freizeit. Wir wollen das rote Wiener Modell mit schönen Sozialwohnungen und wunderbare öffentliche Parks. Ein Ziel des Magazins ist zu zeigen, was wirklichen Luxus ausmacht. Wie wäre das gute Leben ohne reiche Leute?

Das Magazin ist nicht nur für das US-amerikanische Publikum gedacht. Warum sollte man es auch in Deutschland lesen?

Lux ist in den Inhalten sehr international. Und wir sind generell davon überzeugt, dass die Linke überall stärker wird, wenn wir mehr miteinander kommunizieren, mit Gleichgesinnten aus anderen Ländern zusammenarbeiten und von ihren Kämpfen lernen. Das Magazin ist auch nach Rosa Luxemburg benannt, von der wir uns viel inspirieren lassen. Rosa Luxemburg war in ihrer Zeit in Deutschland ja nicht nur eine sozialistische Revolu­tio­närin, sondern auch jemand, der sich liebevoll um ihre Ge­nos­s:in­nen gekümmert, viel über Natur und die Künste geschrieben und ganz allgemein versucht hat, so zu leben, dass die Plackerei des Kapitalismus nicht alle Lust nimmt. Für heute gilt, dass die Linke auch deshalb international sein muss, weil Kapital international ist.

Sie waren ein paar Mal in Deutschland. Was interessiert Sie an der deutschen und europäischen Linken?

Jedes Mal, wenn ich nach Europa komme, fühle ich mich inspiriert, wenn ich mir die verschiedenen Formen des Organizings ansehe. In Deutschland und anderen europäischen Ländern gibt es ja, anders als bei uns, echte linke Parteien. Man kann also beobachten, wie sich linke Parteien in Regierungen verhalten, wo sie erfolgreich waren, wo sie gescheitert sind und wie sich das Ganze auf die außerparlamentarische linke Bewegung auswirkt.

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