notizbuch
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Die Lücke zwischen Dorf und Großstadt

Politisch wird über Eigenheime in Deutschland gerade sehr fragwürdig diskutiert. Zweifel daran, ob sich mit Eigenheimbau der Wohnungsmarkt nachhaltig entlasten und die Mietenkrise lösen lässt, werden von interessierter Seite gleich zur Verbotsdebatte umformatiert. Über Sinn und Unsinn von Eigenheimen soll gar nicht erst diskutiert werden dürfen.

Auch literarisch scheint es, als ob das Thema hierzulande mit einem Tabu belastet wäre. Es gibt selbstverständlich Ausnahmen (in den Romanen Ulf Erdmann Zieglers erfährt man etwa einiges über die Gestaltung von Schlafvor­orten und die Architektur des bundesrepublikanischen Eigen­heim­baus), doch als Generallinie lässt sich festhalten: Die deutschsprachige Literatur spielt entweder in der Stadt, gern in der Großstadt, gern darin in den sogenannten angesagten Vierteln – oder sie spielt auf dem Dorf, letzte Beispiele wären „Altes Land“ von Dörte Hansen oder „Unterleuten“ von Julie Zeh. Zwischen Großstadtroman und Dorfroman klafft eine Lücke. Als ob sich die Vororte, Neubaugebiete und Speckgürtel nicht längst in die Landschaft gefressen hätten. Und als ob es dort nicht längst eigene Lebenswelten gäbe, die weder etwas mit den Selbstverwirklichungsdramen der Innenstadtbezirke noch etwas mit den Anerkennungskämpfen zwischen traditionellen Bewohnern und Zugezogenen auf den modernisierten Dörfern zu tun haben.

Wer über das Leben in den Vororten etwas erfahren will, muss offenbar weiterhin die US-amerikanische Literatur lesen. Von Richard Yates über John Updike bis hin zu Richard Ford und vielen anderen gibt es dort eine eigene literarische Tradition, über Vororte zu schreiben. Was man bei ihnen lesen kann: dass die inneren Dramen und die Ambivalenzen des Lebens ernst zu nehmen sind, auch wenn man es geschafft zu haben meint, mit Eigenheim, Kleinfamilie und zwei Mittelklassewagen. Viele interessante Sinnkrisen fangen dann erst an. Die eigenen Lebensträume können einem fremd werden. Und das kann richtig bitter sein. Aber in der deutsche Literatur muss das oft noch als Selbstbespiegelung der Mittelklasse diskreditiert werden.

Vielleicht haben das Tabu, über Eigenheime überhaupt nur zu diskutieren, und diese Lücke in der deutschen Literatur ja etwas miteinander zu tun. Vielleicht wirken hier eine politische Abwehr der Infragestellung von Eigenheimbau, Pendlerpauschale und Ehegattensplitting auf der einen Seite und die psychologische Abwehr, auf die realen eigenen Identitätsprobleme in der deutschen Mittelschicht zu schauen, auf der anderen Seite Hand in Hand. (drk)