Bürgerräte in Frankreich: Fortschrittlicher als die Regierung

Der Bürgerrat hat in Frankreich kürzlich Vorschläge für eine effizientere Klimapolitik gemacht. So manches geht Emmanuel Macron aber zu weit.

Macron zuckt die Schultern und streckt abwehrend die Hände aus.

Lehnte einige Vorschläge des Bürgerrats sofort und definitiv ab: Präsident Emmanuel Macron Foto: rtr

Als Antwort auf die Gelbwestenbewegung, die neben der Verbesserung der Kaufkraft und der Lebensbedingungen auch Formen einer direkten Demokratie forderte, hatte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron zu Beginn des Jahres seine Landsleute zu einer „großen Debatte“ eingeladen.

Jeder und jede konnte zu den vier Themenkomplexen „Klimawandel“, „Steuern“, „Demokratie und die Rolle der Bürger“ sowie „Staat und öffentliche Dienste“ bei lokalen Versammlungen oder via Internet mitdiskutieren und auch selbst Vorschläge machen. Die Beteiligung war enorm, es gingen Tausende von Ideen und selbst ausgearbeitete Gesetzesvorlagen ein.

Geblieben ist davon jedoch so gut wie nichts – außer einer nachhaltigen Frustration derjenigen, die an diese Form der „partizipativen Demokratie“ geglaubt hatten.

Wenige Wochen später unternahm der Staatschef einen zweiten Anlauf, mit der Bildung eines für Frankreich völlig neuartigen Bürgerrats – der „Bürgerkonvention für das Klima“. 150 Menschen wurden dafür ausgelost, die aus allen Landesteilen und Gesellschaftsschichten stammten. Sie sollten gemeinsam einen Maßnahmenkatalog für die Energie- und Verkehrspolitik, den Wohnungsbau und den Konsum erarbeiten. Dieser sollte Frankreich den Weg weisen, wie es die Treibhausgasemissionen bis 2030, wie versprochen, im Vergleich zum Stand von 1990 um 40 Prozent reduzieren kann.

Diskussionen „ohne Filter“

Für diese Aufgabe konnten sich die Lai:­in­nen die Meinungen von Exper­t:in­nen, NGOs und Interessenverbänden ihrer Wahl einholen und sich von Umweltorganisationen beraten lassen – was sie mit vollem Arbeitseifer und Engagement auch taten.

Mehrfach versicherten sie den Medien, sie hätten ihre Diskussionen „ohne Filter“ – das heißt ohne Zensur der Auftraggeber – geführt.

Im Juli 2020 legten sie der Regierung dann ihre 150 Vorschläge für die Verbesserung der Klimapolitik vor und erklärten sich auch dazu bereit, den Behörden bei der Umsetzung zur Seite zu stehen.

Laut dem Onlinemagazin Mediapart ist seither aber nur noch knapp die Hälfte der Bürgerratsmitglieder aktiv. Denn seit der Veröffentlichung ihres Maßnahmenkatalogs werden sie für ihre Arbeit als Be­ra­te­r:in­nen nicht mehr bezahlt.

Ein weiterer Grund für den Mitgliederschwund: Den Beteiligten war schnell klar geworden, dass ein Teil ihrer Empfehlungen der Staatsführung viel zu weit geht.

Drei Vorschläge wurden von Macron sofort und definitiv abgelehnt: die Verminderung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 110 Stundenkilometer, eine 4-prozentige Abgabe auf Dividenden zur Finanzierung der Energiewende sowie die gesetzliche Verankerung einer Pflicht zur Erhaltung der Umwelt in der Verfassung. Für den Rest erklärte sich Macron unverbindlich offen.

In der Vorlage für ein Klimagesetz werden nun aber doch noch 46 Vorschläge des Bürgerrats – wenn auch meist in abgeschwächter Form – berücksichtigt. Die Mitglieder der Konvention, die befürchten mussten, dass ihre Ideen allesamt in der Schublade landen, können sich jetzt darüber freuen, dass ihre Arbeit nicht ganz umsonst war. Und wer weiß: Vielleicht war sie ja tatsächlich nicht bloß das Alibi eines Präsidenten, der viele seiner Versprechen nicht halten kann oder will.

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