Regierungsbildung in Italien: Lega-Chef macht den Wendehals

EU-feindliche Partei unterstützt in Italien ausgerechnet den Ex-EZB-Präsidenten Draghi. Das ist nicht die erste Kehrtwende der Rechten.

Matteo Salvini trägt bei einem Interview Gesichtsmaske mit Italienflaggenfarben - er ist umringt von zahlreichen Mikrofonen

Italien: Lega-Chef Matteo Salvini bei einem Interview am 28. Januar in Rom Foto: Yara Nardi/reuters

ROM taz | Richtig gut gelaunt ist Claudio Borghi, Abgeordneter und einer der profiliertesten Wirtschaftspolitiker der rechtspopulistischen, bisher ziemlich europafeindlichen Lega. Vor ein paar Jahren hat er ein Buch mit dem eloquenten Titel „Basta Euro“ verfasst, doch als er am Mittwochmittag in einem kleinen Restaurant hinter dem Abgeordnetenhaus einem Fraktionskollegen über den Weg läuft, strahlt er.

Der Lega-Chef Matteo Salvini hat seiner Truppe gerade in einer totalen Kehrtwende verordnet, den kommenden Ministerpräsidenten, sprich ausgerechnet den „Euro-Retter“ Mario Draghi zu unterstützen – und Borghi platzt fast vor Zufriedenheit. „Wir haben die doch total in Schwierigkeiten gebracht“, erklärt er seinem Parteifreund lachend. Mit „die“ meint er die gemäßigt linke Partito Democratico und die Fünf Sterne, denen es mehr als sauer aufstößt, dass sie jetzt mit der migranten- und europafeindlichen Lega für Draghi votieren sollen.

Der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank musste sich noch vor wenigen Jahren von Salvini als Vaterlandsverräter schmähen lassen, als „ein Italiener, der Komplize derer ist, die unsere Wirtschaft massakrieren“, und es folgte das Versprechen, „die Komplizen Merkels, Draghis, der EU werden nie an einem Tisch mit uns sitzen“. Jetzt aber nimmt Salvini an Draghis Tisch Platz, ohne mit der Wimper zu zucken. „Keine Vetos“ werde die Lega gegen Draghis Pläne einlegen, erklärt er angesichts der Tatsache, dass der Ministerpräsident in spe schon einen dezidiert proeuropäischen Kurs versprochen hat, dass er auch klar den Wunsch der Lega ablehnt, für die Selbstständigen eine „Flat tax“, eine Einheitssteuer von nur 15 Prozent einzuführen.

Dabeisein ist alles: Schließlich wird die kommende Regierung die 209 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ zu verteilen haben. Auch bietet sich der Lega jetzt die einmalige Chance, aus der Schmuddelecke herauszukommen, in der sie gemeinsam mit der AfD und mit Marine Le Pens Rassemblement National hockt.

Über Nacht vom Anti- zum Ultra-Nationalisten

Außerdem hat Salvini Erfahrung mit scheinbar selbstmörderischen politischen Kehrtwenden. Seine Lega hatte einmal, unter ihrem Gründer Umberto Bossi, als „Lega Nord“ das Licht der Welt erblickt: als Partei, die bis zur Forderung nach Abspaltung vom Nationalstaat ruppig die Interessen der reichen Nordregionen vertrat. Salvini war seit 1990 dabei, und er beherrschte den Italien-feindlichen Lega-Sprech perfekt, etwa wenn er anmerkte, „die italienische Fahne bedeutet mir nichts“, wenn er vor einem Fußballspiel Italiens gegen Frankreich verkündete, „ich bin für Frankreich“.

Doch als er dann 2013 Parteichef wurde, mitten in der Eurokrise, wurde er gleichsam über Nacht vom Anti- zum Ultra-Nationalisten, saß der Feind nicht mehr im „diebischen Rom“, sondern in Brüssel. Der Norden wurde aus dem Namen der Partei gestrichen, die von 4 Prozent bei den Parlamentswahlen 2013 auf 34 Prozent bei den Europawahlen 2019 hochschoss.

Angesichts solcher Erfolge kann Salvini es sich auch jetzt erlauben, gestern noch scheinbar heilige Prinzipien über Bord zu werfen und sich sein zweites Saulus-Paulus-Erlebnis binnen weniger Jahre zu gönnen. Protest aus den Fraktionen in Rom oder in Europaparlament? Völlige Fehlanzeige. Nur unter den Anhänger_innen grummelt es ein wenig. „Meine Stimme kriegst du nicht mehr“, heißt es in einem Post auf Salvinis Facebook-Seite. Doch auch hier überwiegt der Chor der Fans mit ihren „Grande Salvini!“ oder „Forza Matteo!“

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