Wahlen in Katalonien: Wahlhelfer in Angst

Zum Votum dürfen Wähler die Quarantäne brechen, worauf viele Wahlhelfer absagen. Aussichtsreicher Kandidat ist der Ex-Gesundheitsminister.

Salvador Illa liest sich Notizen durch, im Hintergrund sieht man ein großes Plakat mit seinem Gesicht

Salvador Illa hat erst vor einigen Wochen sein Amt als Gesundheitsminister niedergelegt Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa

MADRID taz | Es sind Patzer wie dieser, die im letzten Augenblick eine gelungene Kampagne ruinieren könnten. Alle Spitzenkandidaten für die Wahlen zum Autonomieparlament in Katalonien am Sonntag unterzogen sich vor der Fernsehdebatte einem Covid-19-Test – bis auf einen: ausgerechnet Spaniens Ex-Gesundheitsminister Salvador Illa, der das Land bis zu seiner Kandidatur für das Amt des Regionalregierungschefs durch die Pandemie führte. Der Kandidat der PSC, des katalanischen Ablegers der sozialistischen Partei des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, blieb dem Abstrich einfach fern. „Vielleicht hat er sich ähnlich wie einige Bischöfe und Generäle gar schon außer der Reihe impfen lassen“, verdächtigten seine politischen Gegner den 54-jährigen Berufspolitiker jetzt. Die Schlagzeilen ließen nicht auf sich warten.

Covid-19 ist das Thema schlechthin. Die amtierende katalanische Regierung wollte die Wahlen wegen der dritten Covid-Welle auf Mai verschieben. Alle Parteien unterstützten dies, mit einer Ausnahme – den Sozialisten Illas. Sie wollten ihr Umfragehoch nicht gefährden. Illa will mit dem Ruf eines guten Krisenmanagers punkten. Das oberste Gericht Kataloniens ordnete schließlich an, am Sonntag festzuhalten. Und das, obwohl in Katalonien in den letzten zwei Wochen 391 Infektionen pro 100.000 Einwohnern gezählt wurden.

Die Zahlen könnten sich nach den Wahlen noch verschlechtern. Denn die Mobilitätsbeschränkungen wurden für Wahlkampfveranstaltungen aufgehoben. Wer wegen Kontakten zu Covid-Fällen in Quarantäne ist, darf dennoch wählen gehen. Angst macht sich breit. Die Briefwahlbeteiligung steigt, die in den Wahllokalen dürfte sinken. Und 25 Prozent der ausgelosten Wahlhelfer haben bereits jetzt einen Grund gefunden, dieser Verpflichtung nicht nachzukommen. Wenn auch die Vertretungen wegbrechen, bleibt nur noch eines: Die Ersten bei der Stimmabgabe werden am Sonntag zwangsverpflichtet, am Wahltisch zu sitzen. Verweigerern drohen Bußgelder und Haftstrafen.

Es ist nicht die einzige Anomalie. Da ist auch die Art und Weise, wie es überhaupt zu den Wahlen kommt – schon zum zweiten Mal wurde der Regierung die Justiz zum Verhängnis: Nach dem von Madrid verbotenen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 und der daraufhin verkündeten und dann doch nicht umgesetzten Loslösung von Spanien intervenierte Madrid. Autonomieparlament und -regierung wurden aufgelöst, Neuwahlen angesetzt. Fast die gesamte alte Regierung befand sich da schon im Gefängnis oder im Exil, wie der ehemalige Präsident der Generalität, Carles Puigdemont.

Illa soll Ruhe in die rebellische Region bringen

Die Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, gewannen erneut. Der neue Regierungschef Quim Torra wurde aber letztlich wegen Ungehorsam des Amtes enthoben, weil er sich geweigert hatte, ein Transparent in Solidarität mit eben diesen Gefangenen und Exilierten vom Regierungsgebäude entfernen zu lassen. Die Neuwahlen vom Sonntag wurden notwendig.

Illa soll jetzt im Auftrag seines Chefs Sánchez Ruhe in die rebellische Region bringen. Er wirbt für einen „Wechsel, der funktioniert“ und will „die Unabhängigkeitsparteien in die Schmollecke verweisen“. Die Umfragen sehen ihn knapp als Sieger, dicht gefolgt von den beiden Regierungsparteien Gemeinsam für Katalonien (JxCat) des exilierten Puigdemont, der mit Laura Borras die einzige Frau ins Rennen schickt, und der republikanischen Linken Kataloniens (ERC) des einstigen Vize-Regierungschefs, des inhaftierten Oriol Junqueras. Er hat seit einer Woche tagsüber Ausgang und macht nun zugunsten des geschäftsführenden Regierungschefs Pere Aragonès Wahlkampf.

Sollten die Umfragen recht behalten, wären zwei Szenarien denkbar. Die beiden ­Unabhängigkeitsparteien könnten, trotz ihrer Zerstrittenheit, auch wenn Illa gewinnen sollte, erneut eine Koalition eingehen. Zum anderen könnte Illa ­versuchen, ähnlich wie in ­Madrid, mit den Linksalternativen zu regieren. Dazu bräuchte er allerdings die Unterstützung der linken Unabhängigkeitspartei ERC.

Das wird nicht leicht. Denn Illa ist als streitbarer Gegner jedweder Unabhängigkeitsbestrebung bekannt. So lief er eine Woche nach dem Referendum 2017 zusammen mit dem heutigen außenpolitischen Vertreter der EU, Josep Borrell, ganz vorn auf einer Demonstration unter dem Motto „Schluss jetzt!“ mit. Der Aufmarsch hatte einen Schönheitsfehler: Unter den Teilnehmern befand sich auch die gesamte spanische Rechte inklusive Anhängern der rechtsextremen VOX und Demonstranten mit Fahnen der Franco-Diktatur.

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