Grüne in Baden-Württemberg: Vom Ökofuzzi zum Minister

Franz Untersteller war zehn Jahre Kretschmanns Umweltminister in Baden-Württemberg. Nach der Landtagswahl hört er auf. Was hat er erreicht?

Franz Untersteller hält eine Rede

Amtshandlung: Umweltminister Untersteller eröffnet die Baustelle eines Windparks im Ländle Foto: imago

An einem Samstagmorgen im November setzte sich Minister Franz Untersteller in sein Privatauto und fuhr auf der Autobahn Richtung Frankfurt, um seine Enkel zu besuchen. Freie Bahn, er drückte drauf, und als ihn bei Heimsheim nach einem 120er-Schild die Polizei mit Laser blitzte, dachte er: Mist, ich war zu schnell.

Wie schnell er war (177 km/h), erfuhr er erst ein paar Tage später aus der Bild-Zeitung, die offenbar ein Denun­ziant vom Amt informiert hatte. Interessierte Medien und politische Gegner versuchten daraufhin, den beliebten Vorwurf der grünen Doppelmoral zu spielen. Und Untersteller war erst mal ziemlich am Boden. Er hört nach der Landtagswahl am 14. März auf. Was ist, denkt er manchmal, wenn ich jetzt in Erinnerung bleibe als der grüne Raser?

Untersteller, 63, war zehn Jahre lang Ministerpräsident Kretschmanns Umwelt-, Klima- und Energiewirtschaftsminister in der grüngeführten Regierung von Baden-Württemberg. Als solcher hat er eh schon zu knabbern am Vorwurf der politischen Gegner – diesmal aus dem eigenen Lager –, dass die Kretschmann-Grünen es mit Klima- und Umweltpolitik nicht so hätten.

Als Beweis reicht in der mediengesellschaftlichen Partydiskussion meist der private Diesel-Mercedes des Ministerpräsidenten. Als Kretschmann und Untersteller sich mit den Fridays-for-Future-Kids trafen, riefen die immer wieder, der Umweltminister müsse das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Was er ja billig hätte zusagen können. Tat er aber nicht. „Ich bin Landesminister“, ruft er fast verzweifelt: „Das verstehen die einfach nicht.“

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Es ist ein Donnerstag im Februar, am nächsten Tag ist Bundesrat, weshalb Untersteller im dritten Stock der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin Quartier bezogen hat. Er trägt casual und das graumelierte Haar im herausgewachsenen Coronastyle. Im Halbstundentakt kommt er auf dieses Erlebnis mit den Fridays zurück und den Vorwurf, er habe nicht genug geleistet. Es scheint ihn richtig zu wurmen.

Er sehe sehr wohl, „was Fridays für eine Leistung vollbracht haben, in dem sie eine globale Klimabewegung hingekriegt haben“. Er gehe auch mit bei 1,5 Grad als globalem Ziel. „Aber wir haben hier 66 Millionen Tonnen CO2, das sind 0,2 Prozent der globalen Emissionen, wie soll das gehen, in Baden-Württemberg das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten?“

Was er sagen will: Es geht nur von oben nach unten, die entscheidenden politischen Gesetze kommen – anders als bei Bildung – durch EU- und Bundesrecht und müssen dann flächendeckend unten umgesetzt werden. Das ist so: Landespolitik kann nur die Lücken dazwischen füllen.

Welche sind das in seinem Fall? In der ersten Legislatur hat er die CDU-Politik der Windkraftverhinderung aufgebrochen, bis er in der zweiten von einer bundespolitischen Gesetzesnovelle und eigenen Versäumnissen gestoppt wurde und das Ziel klar verfehlte, den Windkraftanteil auf 10 Prozent anzuheben.

Bei der Wärme ist man dagegen landespolitisch führend, es gibt ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz für Kommunen und die Solarpflicht auf gewerblichen Neubauten – allerdings nicht für Wohnhäuser, das wollte die CDU nicht. Er hat die umweltpolitische Infrastruktur ausgebaut und die Dynamik eines Bürgerbegehrens „Rettet die Bienen“ genutzt, um – jenseits des Koalitionsvertrages – mit CDU, Naturschützern und Bauern ein Biodiversitätsgesetz voranzubringen, mit Pflanzenschutzmittelreduzierung und Steigerung des Ökolandbaues.

Das eigene CO2-Reduk­tions-Ziel von 25 Prozent bis 2020 hat man auch erreicht, was nach wenig klingt. Aber Baden-Württemberg ist ein hochindustrialisierter und wohlhabender Weltmarktexporteur, wuchs in zehn Jahren um 600.000 Leute und hat – ironischerweise – den Nachteil, dass es vor Unterstellers Zeit über 50 Prozent Atomstrom verbrauchte, was zu einem vergleichsweise niedrigen CO2-Ausstoß pro Kopf führte.

Untersteller hat den Atomausstieg gemanagt und maßgeblich die erfolgreich aussehende Transformation des Ex-Atomkonzerns EnBW betrieben – zur Enttäuschung der Bürgerenergie-Leute. 2022 wird mit Neckarwestheim II das letzte AKW abgeschaltet. Allerdings fehlt bisher ein Kohleausstiegskonzept.

Im Grunde sagen auch die Kritiker: Relativ gesehen hat der Mann viel geschafft. Absolut betrachtet reicht das nicht – und kann es auch nicht. Felix Quartier, 18, von Fridays for Future, sagt es so: „Die Grünen haben nicht den schlechtesten Job gemacht, aber die Politik insgesamt ist überhaupt nicht ausreichend für das Erreichen des Pariser Klimaabkommens.“ Was er ihnen vor allem vorwirft: „Dass Mini-Schritte mit der CDU als Erfolg verkauft werden.“

Die baden-württembergische BUND-Vorsitzende Brigitte Dahlbender sagt: „Aus Sicht eines Umweltverbandes ist es nie genug, aber im Vergleich zu anderen hat er unglaublich viel bewegt.“ Letztlich ist für Klimapolitik­experten die entscheidende Frage bei landespolitischer Beurteilung: Befördert das Land globale und nationale Klima- und Umweltpolitik – oder behindert es sie? NRW gilt als Beispiel für Behinderung, Baden-Württemberg habe massiv gewollt. Wenn auch nicht alles hingekriegt.

Weil die entscheidende Politik anderswo gemacht wird, hat Untersteller über den Bundesrat mitgemischt – und eine neue und offene Atommüll-Endlager-Suche durchgesetzt. Auch der CO2-Einstiegspreis im 2019er-Minipaketchen der Bundesregierung, den Kretschmann mit einem Deal von 10 auf 25 Euro pro Tonne anheben konnte, wurde von Untersteller strategisch vorbereitet.

Interessant ist, dass dieser Minister in Ökokreisen unter dem Label „der Franz“ weltberühmter ist als Beckenbauer, während ihn in der emanzipatorischen neuen Mitte-Gesellschaft kaum einer kennt. Untersteller war immer Ökopolitiker, aber nie ein klassischer Grüner, den Unterschied muss man verstehen.

Er pflegte weder den Habitus noch die Sprache der auf kulturellen Widerstand gepolten Partei, er wollte an die Macht, um die AKWs abzuschalten, und impfte den Baden-Württembergern schon in den 80ern „die DNA der konstruktiven Opposition“ ein, wie Rezzo Schlauch das nennt.

Schlauch, später Fraktionsvorsitzender während der Bundesregierungsbeteiligung der Grünen, gehörte wie Kretschmann, Fritz Kuhn und Reinhard Bütikofer zu denen, die in Baden-Württemberg bereits realistische Machtpolitik konzipierten, als man sie in den 80ern noch für Anarchos hielt. Untersteller war damals Frak­tionsberater. „Er war in den Anfangszeiten der einzige Ökofuzzi, der gleichzeitig auch politisch dachte und durchsetzungsfähig war“, sagt Schlauch, „das habe ich auf diesem Niveau sonst nie erlebt“.

Nach dem historischen Machtwechsel 2011 entstand die ungewöhnliche Situation, dass der größte Experte der Fraktion auch Minister wurde. Noch ungewöhnlicher, dass in der Folge nicht die Beamten dem Minister erklärten, was Sache war, sondern umgekehrt. Untersteller führt sein Ministerium topdown.

Das finden nicht alle gut, er aber schon. Es gibt Stimmen, die sagen, so ähnlich habe er es auch schon als Berater der Landtagsfraktion gehandhabt. Manchmal nannten sie ihn deshalb den „nervigen Franz“. Das Problem ist: Er weiß es wirklich besser.

Untersteller war nie ein Ich-rede-überall-mit-Politiker. „Ich weiß, was ich kann und was ich nicht kann, ich habe mich auf mein Ressort konzentriert und mir war nicht langweilig“, sagt er. Untersteller ist auch kein Darstellungskünstler. Anders als sein Ministerpräsident hat er seinen Antitypus nicht so überzeichnet, dass er zur Marke geworden wäre. „Franz ist einer der integersten und strukturiertesten Politiker, die ich kennengelernt habe“, sagt der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck, der als Umweltminister viel mit ihm zusammengearbeitet hat.

Obwohl er „knorrig“ daherkommt, wie ein Spitzenpolitiker sagt, ist sein Kunsthandwerk das geschmeidige und breite Allianzen-Schmieden. Die zukunftsweisende Strategie, die man von Untersteller lernen kann, lautet: Nur wenn du Klimapolitik vom Kulturkampf fernhältst, hast du gesamtgesellschaftliche Unterstützung.

In der Landesvertretung am Tiergarten ist es spät geworden, Untersteller sagt noch, dass er jetzt „erst mal nix“ machen werde – und ab Sommer weiter, was er immer macht, nur an anderer Stelle.

Dann kommt er auf seinen vielleicht größten Coup zu sprechen, das klimapolitische Bündnis „Under 2 Coalition“. Weltweit über 200 Regionen mit 1,3 Milliarden Leuten verpflichteten sich zu ernsthafter Klimapolitik, vorneweg die Wirtschaftsgiganten Kalifornien und Baden-Württemberg.

Und zwar einzig deshalb, weil Untersteller das wollte und dann dem damaligen Gouverneur Jerry Brown bei einer Konferenz in San Francisco auflauerte. Brown hielt später im Landtag von Baden-Württemberg eine große klimapolitische Rede, die in den Satz mündete: „Thank you for your leadership.“ Er sagte das mit Blick auf Winfried Kretschmann.

Aber das sind die fünf Worte, die Franz Untersteller mit nach Hause nimmt.

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