Urteil zur Justizreform in Polen: „Systemische Zweifel“

Der EuGH verpflichtet Polens Oberstes Verwaltungsgericht, die Ernennung von Richtern zu kontrollieren – obwohl es das eigentlich nicht mehr darf.

Gerichtssaal im Obersten Gericht Warschau

Gerichtssaal im Obersten Gericht Warschau Foto: Piotr Twardysko/imago

FREIBURG taz | Die polnische Justiz muss auf die Anwendung polnischen Rechts verzichten, wenn dieses „systemische Zweifel“ an der Unabhängigkeit der polnischen Justiz wecken kann. Dies entschied an diesem Dienstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem neuen Urteil zu der seit Jahren hoch umstrittenen polnischen Justizreform. Es geht um die Besetzung von Gerichten.

Seit 2015 regiert die nationalkonservative Partei PiS in Polen. Seitdem versucht sie, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bekommen. Verschiedene Gesetze veränderten unter anderem die Regeln für die Besetzung des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichts und des Justizverwaltungsrats, der die Richter vorschlägt und de facto wählt.

Im konkreten Fall hatte der neu zusammengesetzte Justizverwaltungsrat im August 2018 Vorschläge zur Besetzung von acht Richterstellen am Obersten Gericht Polens gemacht. Fünf Bewerber, die nicht berücksichtigt wurden, klagten dagegen beim Obersten Verwaltungsgericht Polens.

Allerdings sah das polnische Recht seit Juli 2018 vor, dass nur noch alle Bewerber gemeinsam gegen die Besetzung von derartigen Richterstellen klagen können. Das Oberste Verwaltungsgericht fand diese Regel absurd, weil eine Klage dann ja nur zulässig wäre, wenn auch der erfolgreiche Bewerber gegen das Verfahren klagt. Deshalb legte das Oberste Verwaltungsgericht den Fall dem EuGH vor.

Urteil: Richterernennung muss kontrollierbar sein

Daraufhin wurde 2019 das polnische Recht erneut geändert. Nun kann gegen die Vorschläge des Justizverwaltungsrats für das Oberste Gericht gar nicht mehr geklagt werden. Zudem wurden bereits erhobene Klagen für erledigt erklärt.

Damit sollte auch der Vorlage an den EuGH der Boden entzogen werden. Doch das Oberste Verwaltungsgericht, das noch nicht von der PiS kontrolliert wird, legte auch diese Verschärfung dem EuGH zur Prüfung vor.

Der EuGH erklärte nun, dass eine Richterernennung grundsätzlich gerichtlich kontrollierbar sein muss, vor allem wenn es eh schon Zweifel an der Unabhängigkeit des Justizverwaltungsrats gibt. Der EuGH stellte fest, dass die Regelung von Juli 2018 dazu geführt hat, dass die Klagemöglichkeit gegen die Richterernennung „keinerlei echte Wirksamkeit“ mehr biete.

Nachdem aber selbst diese Möglichkeit abgeschafft und das Oberste Verwaltungsgericht damit ausgeschaltet werden sollte, müsse das Oberste Verwaltungsgericht nun selbst entscheiden, ob es diese Änderungen „unangewendet“ lässt und seine frühere Zuständigkeit weiter wahrnimmt. Hierzu sei es durch EU-Recht verpflichtet, wenn das polnische Recht „systemische Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit“ der so ernannten Richter wecken kann.

Nach der Vorgeschichte spricht viel dafür, dass das Oberste Verwaltungsgericht sich weiterhin für zuständig erklärt und die Ernennungen des Justizverwaltungsrats wegen dessen politischer Abhängigkeit von der Regierungsmehrheit beanstandet. Allerdings ist fraglich, ob die Regierung und die von ihr kontrollierten Teile der Justiz dies akzeptieren werden. Der Kampf um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz geht weiter. Az.: C-824/18

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.