Pseudostudie zu Corona-Ursprung im Labor: Von der Lehr- zur Narrenfreiheit

Erst eine Pseudostudie kritiklos hochjazzen, dann sie verdammen und nach der Regierung rufen: Autoritäre Denkstrukturen gefährden Journalismus.

Ein historisches Plakat bewirbt den Spielfilm The Nutty Professor mit Jerry Lewis

Wenn es nur ein Prof sagt, werden „Abendblatt“, „Bild“ und NDR berichten: Plakat von 1962 Foto: Paramount/PublicDomain

Macht Wissenschaft irre? Der Verdacht, dass extreme Spezialisierung, wie sie Forschung heute erfordert, die Genese monomaner Vorstellungswelten und Allmachtsfantasien begünstigt, liegt nahe. Umgekehrt haben Ergebnisse wirklich bahnbrechender, weltumwälzender Forschung notwendig einen Zug ins Wahnhafte – eben weil sie das Bild der Welt, das vorherrscht, grundsätzlich erschüttern und verschieben.

Es ist dabei gut, wenn Wis­sen­schaft­le­r*in­nen den Spielraum zwischen Irrsinn und Methode ausreizen – sofern man sich die Mühe macht, zu überprüfen, wo die Wissenschafts- in eine bloße Narrenfreiheit umschlägt. In der Wissenschaft selbst besteht diese Kontrolle darin, dass Schwachsinn bei der Begutachtung durch Fachleute, also dem peer review, durchfällt.

Das funktioniert: Entsprechend hat Roland Wiesendangers von ihm selbst irreführend als „Studie“ bezeichnete unsystematische Collage von Zeitungsausschnitten, willkürlich herausgepickten Studienresümees nebst, als Leim, einigen Absätzen flott geschriebener Prosa zum Thema Corona niemand angenommen; ja er hat noch nicht einmal Kol­le­g*in­nen gefunden, die an seiner Hobbybastelei hätten mitschrauben wollen.

Dabei ist der Festkörperphysiker in der Community bestens vernetzt, Mitglied diverser Akademien und auch kein No-Name, sondern laut Hirsch-Index ein international anerkannter Spitzenforscher.

Die Pressestelle darf nicht zensieren

Nicht funktioniert hat hingegen die Rezeption durch die Medien – und zwar nicht in erster Linie, weil die Pressestelle der Uni Hamburg, auf die jetzt viele einhauen, den Quatsch promotet hat: Sie kann ja schlecht anfangen, Pro­fes­so­r*in­nen zu zensieren, genauso wenig übrigens wie der Uni-Präsident.

Ja, sie könnte sich die Regel geben, nur noch auf zertifizierte Forschungsergebnisse hinzuweisen. Aber auch das droht, mit der Wissenschaftsfreiheit der Au­to­r*in­nen in Konflikt zu geraten. Jede institutionelle Begutachtung seitens der Uni würde sie verletzen.

In der Wissenschaft hat die Kontrolle im Fall Wiesendanger funktioniert – nur in den Medien nicht

Schlimm ist, dass alle Kontrollmechanismen bei anerkannten und als seriös gelabelten Publikumsmedien versagt haben: Hamburger Abendblatt, aber auch, ultra­unrühmlich, der NDR, der durch seine wegweisende Coronaberichterstattung immerhin einen Ruf zu verlieren hat, Mopo und Bild haben das Werk erst gehypt, das ohne sie in der Senke verschwunden wäre, wie Millionen andere Paper.

Dass sie danach die Kritik an der erkennbar abseitigen Theorie groß fahren und nach Senatorin und Uni-Präsident – der ja auch eher kein Virologe ist – rufen, solche Peinlichkeiten zu verhindern, macht es nicht besser. Es legt allerdings die autoritären Denkstrukturen offen, die in vielen Redaktionen vorherrschen. Vor denen müssen wir uns fürchten.

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Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.

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