Selbstkontrolle trifft auf selbstironische Chaotik

Die Schriftstellerin Ina Vultchanova findet in „Crash Island“ für ihre weiblichen Hauptfiguren sehr überzeugende Erzählstimmen

Ina Vultchanova: „Crash Island“. Aus dem Bulgarischen von Elvira Bormann-Nassonowa. eta Verlag, Berlin 2020, 232 Seiten. 15,90 Euro

Von Carola Ebeling

Es sind zwei scheinbar gegensätzliche Frauen, von denen die 1953 geborene bulgarische Schriftstellerin Ina ­Vultchanova in ihrem dritten Roman, „Crash Island“, erzählt. 2017 bekam sie dafür den Literaturpreis der ­Europäischen Union. ­Schauplätze sind die bulgarische Hauptstadt Sofia und die kroatische Insel Krk.

Zunächst begegnen die Le­se­r*in­nen in Sofia Radost – was ironischerweise „Freude“ bedeutet –, einer in sich verschlossenen Frau, die ihr Leben durch ein strenges Zeitregime, Feng-Shui und Meditation gut im Griff zu haben meint. Nach dem Bad „brauche ich noch dreißig Minuten zum Trocknen, denn Olivenöl zieht nicht schnell ein. Zehn Minuten mache ich Atemübungen und danach meditiere ich zwanzig Minuten. Dabei verwende ich den Satz ‚Ich kontrolliere diese Welt und ich habe sie erschaffen‘.“

Mit einem ihre ganze Erzählweise auszeichnenden Witz und einer flirrenden Leichtigkeit schließt die Autorin hier direkt die Perspektive Assias, der anderen der beiden weiblichen Hauptfiguren, an: „Keine Ahnung, wer sich diese Welt ausgedacht hat, aber sie kommt mir leicht bösartig vor.“

Assia neigt dem Chaos zu, oft überrumpeln sie die Ereignisse, denen sie sich mit einer Mischung aus verzweifelter Selbstbehauptung und Selbstironie stellt. Gerade ist sie auf dem Weg nach Krk, um Abstand zu gewinnen: von ihrem 16-jährigen Sohn Mischo und ihrem Lebensgefährten, dem „großen Mischo“, der nicht der Vater ist.

Sie weiß nicht, dass Radost sie beobachtet, im Alltag wie in ihren Sternkarten. Denn Radost sucht auch als Astrologin im Selbststudium dem Leben Planbarkeit abzutrotzen. Nach einer für Assia flüchtigen Begegnung glaubt sie, sie seien „stellare Schwestern“. Sie beneidet Assia aber um ein vermeintlich besseres Leben, belädt sie mit ihren Projektionen. Und meint nun, Assia stehe ein Zusammenbruch bevor, ein Crash.

Das ist die Grundkonstellation, aus der heraus Vultchanova eine originelle Emanzipationsgeschichte beider Frauen entwickelt. Abwechselnd schlüpft sie in die beiden Perspektiven ihrer Ich-Erzählerinnen, für beide findet sie überzeugende, individuelle Erzählstimmen. Bei Assia scheinen die Sätze oft zu eilen, so wie ihre Gedanken und Wahrnehmungen. Mal sind sie knapp, grammatisch unvollständig, dann lang, mit vielen Kommas verknüpft. Bei Radost findet sich ihre Disziplin auch in der präzisen, korrekten Sprache wieder.

Assias Konflikte mit Mann und Sohn werden ihr klarer, die Zweifel an ihrer bisherigen Existenz im intensiven Erleben auf der Insel stärker. Die Schilderungen der Landschaft, von Farben und Licht sind betörend, die Begeisterung Assias steckt an. Unaufdringlich spiegeln sich innere Veränderungen in Naturphänomenen wider.

En passant lässt die Autorin Anspielungen auf die Korruption in Bulgarien oder Vorurteile einfließen, mit Ironie solidarisieren sich die „Balkan-­Idioten unter sich“.

Derweil drängt sich Radost in das zurückgelassene Leben Assias, ihre Familie. Sie will ja nur warnen vor dem großen Crash. Hier legt die Autorin eine schöne falsche Fährte.

Mit großem Einfallsreichtum erzählt Vultchanova von zwei ­Arten, unglücklich zu sein, davon, dass das Leben sich eben nicht vorhersehen und kontrollieren lässt. Von zwei verschiedenen Wegen der Veränderung, die beide Frauen gehen. Geschickt kreuzt Vultchanova deren offenbare Gegensätzlichkeit im Laufe der Erzählung mit da­runter verborgenen Gemeinsamkeiten.

Die aus dem selbstironischen Witz Assias und der teils komischen Tragik Radosts erwachsende Leichtigkeit des Textes ist mit Oberflächlichkeit keinesfalls zu verwechseln. Vielmehr ist sie ein Ausweis des erzählerischen Vermögens der hierzulande noch unbekannten ­Autorin.