Im Wandel, mittendrin V: Was wir zurückwollen

War vor der Pandemie alles besser? taz-lab-Redakteur Vincent Bruckmann über die Sehnsucht nach vermeintlicher Normalität.

Ein Skelett vor einer pandemiebedingt geschlossenen Bar in Deutschland.

Wie dieses Skelett wünschen sich viele junge Menschen Kneipen und die Welt vor der Pandemie zurück Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von VINCENT BRUCKMANN

Wenn ich aus meinem Homeoffice-Fenster auf die versperrmüllten Straßen Berlins schaue, fühlt sich erst mal nichts nach Wandel an. Ein verschenktes Jahr liegt hinter mir. Mein Auslandssemester in der Türkei: coronabedingt abgebrochen. Die Liebesbeziehung: unter dem Coronabrennglas zerbrochen.

Besonders jungen Personen geht es schlecht, liest mensch dieser Tage häufig. „Oh yes“, denke ich mir, während ich die Reaktionen der „Älteren“ vorhersage: „Ach, habt euch doch nicht so“, „Wir haben den Kalten Krieg auch durchgestanden“. Oder sind die „Älteren“ verständnisvoller, als ich befürchte?

Die Bilanz aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis jedenfalls gibt Grund zur Anteilnahme. Die Geschichten von Trennungen, Studien- und Ausbildungsabbrüchen, Jobverlust und zerbrochenen Freundschaften häufen sich. Wie in einer großen Bahnhofshalle sitzen wir in unseren engen WGs oder im alten Kinderzimmer, Endstation Zoom. Und neben dem Schreibtisch lockt das Bett.

Ich sehne mich zurück an den Tresen meiner Stammkneipe, auf die stumpfen Kunst­rasen der Berliner Amateurfußballplätze. Oder ins chlorige Wasser des Schwimmbads. Ich frage mich: Wann wird endlich alles wieder so, wie es mal war?

Doch schon der Schauspieler Joachim Meyerhoff wusste um die Täuschung, die dieser Frage innewohnt. „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ heißt eines seiner Bücher. Ich vermute, er hat recht. Meine Sehnsüchte sind die Glorifizierung einer vorcoronalen Welt.

Was nach der Pandemie kommt, weiß ich nicht. Wenn ich ein bisschen darüber nachdenke, freue ich mich aber drauf. Unter dem Sperrmüll kann ich ihn jetzt doch erahnen, den Wandel.

Vincent Bruckmann, Jahrgang 1995, studiert Geschichte und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und ist taz-lab-­Redakteur.