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Wachstum und Konkurrenz

Stay-at-home während Corona bringt mehr Menschen zum Biokauf. Der Naturkost-Fachhandel profitiert. Aber es gibt auch noch andere Gewinner

Das Jahr 2020 hat im Biolebensmittelmarkt den Turbo angeworfen. 2019 gaben die Deutschen insgesamt 11,97 Milliarden Euro für Biolebensmittel und -getränke aus, heißt es vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Diese Zahlen dürften im Pandemiejahr deutlich gestiegen sein. „Nach ersten Schätzungen wird der Umsatz mit Biolebensmitteln in 2020 bei über 14 Milliarden Euro gelegen haben. Das wäre ein Plus von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner im Januar.

Wer profitiert vom wachsenden Markt? Die großen Anbauverbände Naturland, Bioland und Demeter verkaufen schon länger abseits vom Fachhandel. Während noch vor wenigen Jahren meistens nach dem weniger strengen EU-Siegel gekennzeichnete Produkte in den Regalen der Supermärkte und Discounter standen, verändert sich das Angebot immer mehr. Naturland zertifiziert seit 2009 die Bioeigenmarke des Supermarktes Rewe. Bioland kooperiert mit dem Discounter Lidl. Demeter-Produkte gibt es etwa bei dm, Real und Edeka. Die sogenannte Verbandsware ist in der Mitte des Einzelhandels angekommen. Rund 60 Prozent des Umsatzes mit Bioprodukten werden nach Zahlen des BÖLW dort gemacht, 26,9 Prozent im Naturkost-Fachhandel erwirtschaftet. Fachhandel meint kleine Bioläden genauso wie große Biosupermärkte. Der restliche Umsatz verteilt sich auf Geschäfte wie Bäckereien, Hofläden oder Wochenmärkte.

Durch den Verkauf über verschiedene Absatzorte erschließen sich Erzeuger und Hersteller eine größere Käufergruppe. Mehr Bio überall bedeutet für den Naturkostfachhandel allerdings Konkurrenz im wachsenden Markt. „Es gab viele Befürchtungen bezüglich der Auswirkungen auf den Fachhandel wegen Preisverfalls oder Umsatzrückgängen. Der Fachhandel hat aber keine Rückgänge erlebt – Bio wächst“, sagt Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN). „Wir sehen eher die Gefahr, dass die konventionellen Händler die Werte, die hinter Bio stehen, nicht so im Blick haben. Es bleibt eine komplexe Aufgabe, das nachhaltig und vernünftig zu begleiten.“

Der Biofachhandel ist mehr als sein Sortiment, so Jäckel: „Die Diskussion, was den Fachhandel ausmacht, wird gerade intensiv geführt. Klimaneutralität ist ein großer Aspekt, lokale und solidarische Kooperationen.“ Die Branche wolle zeigen, dass es anders gehe als über die hochvernetzte, globalisierte Lebensmittelwirtschaft. „Es geht um Fairness an allen Punkten der Wertschöpfungskette. Wir gucken auf eine ökologisch-ökonomisch-soziale Transformationsaufgabe.“

Der Umsatz der deutschen rund 2.300 Fachhandelsgeschäfte wächst nach Zahlen des BÖLW seit Jahren, allerdings nicht so stark wie der Umsatz der Bioprodukte im Einzelhandel. „2020 wird signifikant über 2019 liegen. Die Spitzen der Umsätze folgten dem Pandemieverlauf. Immer, wenn Deutschland in einen Lockdown ging, stiegen die Umsätze“, so Jäckel. Viele Menschen seien seltener gekommen, aber hätten mehr gekauft. „Durch den Wegfall der Außer-Haus-Verpflegung kochen die Menschen mehr zu Hause und gönnen sich etwas Gutes.“ Das Marktforschungsinstitut Biovista nannte für das erste Halbjahr ein Umsatzplus von 18,4 Prozent für den Fachhandel.

Wer mehr zu Hause ist, isst auch mehr zu Hause. Aus dieser Erkenntnis alleine lässt sich der Zuwachs in den Biofachmärkten aber nicht erklären. „Wir wissen: Das Thema Gesundheit hat eine große Rolle gespielt. Biolebensmittel stehen für die Freiheit von Pestiziden und Schadstoffen“, sagt Jäckel. „Wir glauben daran, dass Themen wie gesunde und regionale Ernährung und Klima eine große Rolle spielen. Bioläden sind vernetzt, kennen ihre Kunden und Hersteller persönlich. Diese Verwurzelung spüren auch die Kunden.“ Sie verweist auf die Ursprünge der Branche: „Die sind mal angetreten, um es anders zu machen.“

Der Biofachhandel unterscheidet sich vom Lebensmitteleinzelhandel auch durch die Anzahl der Produkte. Die Discounter haben meist zwischen 60 und 170 Bioartikel in ihren Regalen platziert, die Vollsortimenter und Drogeriemärkte rund 360 bis 500 Produkte gelistet, heißt es auf dem Portal ­oekolandbau.de, das vom Bundes­ministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert wird.

Ein Bioladen hat laut Jäckel meist zwischen 800 und 2.000 Produkte im Sortiment, es könnten auch schon mal 6.000 sein: „Alles, was Sie im Bioladen in die Hand nehmen, ist zu 100 Prozent bio. Da müssen Sie nicht gucken.“ Helke Diers