Schalke ohne Vier

Nach dem kläglichen 1:5 gegen Stuttgart entlässt der FC Schalke 04 die komplette sportliche Führungsriege inklusive Trainer Gross

Hand, die tröstende: Christian Gross ist schön von hinten Foto: dpa

Aus Gelsenkirchen Daniel Theweleit

Es gibt unterschiedliche Perspektiven, aus denen sich in diesen Wochen auf den FC Schalke 04 blicken lässt. Neutrale Beobachter können sich über die immer neuen Kapitel eines sagenhaften Niedergangs amüsieren, die in spektakulärem Tempo geschrieben werden. Viele Dortmunder haben rund um das Derby gegen den BVB vor neun Tagen ihr Mitleid zum Ausdruck gebracht, was vielen Schalkern besonders wehtat. Man kann aber auch einfach nur staunend einen unaufhaltsamen Prozess der Selbstzerstörung betrachten, der wahrscheinlich einzigartig ist in der Geschichte der Bundesliga. Die Bild durfte jedenfalls am Sonntagvormittag verkünden: „Schalke schmeißt alle raus!“

Nach dem gruseligen 1:5 beim VfB Stuttgart, in dessen Vorlauf die Spieler Klaas-Jan Huntelaar, Sead Kolasinac und Shkodran Mustafi im Vorstand auf einen Rauswurf von Trainer Christian Gross hingewirkt haben sollen, folgten Taten. Am Sonntag entließ die Schalker Klubführung etliche Angestellte, die Verantwortung für den furchtbaren Zustand des Tabellenletzten tragen. Gross verließ am Sonntagmorgen das Vereinsgelände ebenso endgültig wie Sascha Riether, der Leiter der Lizenzspielerabteilung, Rainer Widmayer (Co-Trainer) sowie Werner Leuthard (Athletik- und Fitnesschef). Sportvorstand Jochen Schneider, dessen Abschied eigentlich für den Sommer vor gesehen war, ist ebenfalls nicht mehr erwünscht.

„Die getroffenen Entscheidungen sind nach den enttäuschenden Auftritten gegen Dortmund und Stuttgart unausweichlich geworden“, teilte Jens Buchta, der Vorsitzende des Aufsichtsrats, am Sonntag mit. „Wir brauchen nicht drumherum zu reden: Die sportliche Situation ist eindeutig, deshalb müssen wir bei jeder noch zu treffenden Personalentscheidung auch über die Saison hinausdenken.“ Offensichtlich geht es darum, den demolierten Ruf nicht weiter zu beschädigen und in Würde abzusteigen, ohne jede Woche frischen Stoff für Untergangsschlagzeilen zu liefern.

Peter Knäbel, der Direktor Nachwuchs und Entwicklung, trägt bis auf Weiteres die sportliche Gesamtverantwortung. Rie­thers Position übernimmt Ge­rald Asamoah, ein Nachfolger für Gross ist noch nicht gefunden. Offenbar war der legendäre U19-Cheftrainer Norbert Elgert nicht bereit, aber womöglich lässt sich die treue Klubseele Mike Büskens überreden, diese Aufgabe zu übernehmen, an der ein Trainer offensichtlich nur krachend scheitern kann. Das hat nun auch Gross zu spüren bekommen. Der 66 Jahre alte Schweizer soll Teilen des Teams mit seinen etwas antiquierten Trainingsmethoden auf den Nerven gegangen sein, zudem soll er Spielernamen verwechselt haben. Insgesamt hat er in zu vielen Momenten den Eindruck erweckt, ein freundlicher älterer Herr zu sein, der schon richtig lag, als er sich vor einem Jahr in den Ruhestand verabschiedet hatte.

Den energetischen Christian Gross, den Jochen Schneider zehn Jahre zuvor in Stuttgart kennengelernt hatte, gibt es nicht mehr. Gleichwohl hat Schalke unter dem Schweizer besser gespielt als unter seinen Vorgängern Manuel Baum und David Wagner. Und womöglich denken auch nicht alle Spieler so, wie die erst im Winter neu dazu geholten Routiniers Mustafi, Huntelaar und Kolasinac, die während ihres Besuchs bei Schneider auf einen Trainerentlassung hingewirkt haben sollen. Torhüter Michael Langer jedenfalls sagte am Samstag über Gross: „Wir schätzen den Trainer extrem als Trainerautorität. Was da gesagt wurde, gemacht wurde, dazu möchte ich gar nichts sagen. Das betrifft mich und meinen Aufgabenbereich überhaupt nicht.“ Der Trainer sei „die ärmste Sau“, wenn derart fehlerhaft verteidigt werde wie in Stuttgart, es komme auch mal darauf an, „dass wir uns an die eigene Nase packen“.

Dass in dieser Saison nach Wagner, Baum und dem für zwei Partien eingesprungene Huub Stevens bereits der vierte Trainer an dieser Mannschaft scheiterte, erzählt viel über den Zustand der Schalker Bundes­liga­abteilung. Das soziale Gefüge ist kaputt, nie entstand so etwas wie funktionierende Gemeinschaft, deren Zusammenhalt auch im Wettkampf zu sehen gewesen wäre. Nun stehe „die Mannschaft in der Pflicht, das letzte Drittel der laufenden Spielzeit so erfolgreich wie möglich zu bestreiten“, erklärte Aufsichtsratschef Buchta. Aber es wäre ein Wunder, wenn diese Mannschaft plötzlich anfangen würde zu gewinnen, ganz egal, mit welchem Trainer.