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Die Zukunft wird mit Abstand anders

Bio im Wandel: Corona verändert auch ökologisches Wirtschaften, von der Produktion bis zum Einkauf. Vor allem Instrumente der Digitalisierung eröffnen dabei völlig neue Möglichkeiten

Die Biomöhren herüberreichen und dabei die nötige Distanz wahren: Auch auf dem Ökomarkt müssen alle sich etwas Neues einfallen lassen Foto: Berit Roald/plainpicture

Von Annika Hennebach

Hygieneregeln, Lieferschwierigkeiten, lange Schlangen an den Kassen, aber auch das Schließen geliebter kleiner Läden. Nicht nur für Konsumenten von Biolebensmitteln sind die Spuren von Corona seit dem ersten Lockdown im März 2020 beim Einkaufen seh- und spürbar. Die Krise hat die Biobranche wie den gesamten Lebensmittel-Einzelhandel extrem gefordert – und tut es noch. Landwirte, Hersteller, Händler und Verbraucher mussten flexibel und kreativ reagieren. Die Krise hat auch in der Biobranche Schwächen und Stärken offenbart. Im Forum der Messe Biofach steht deshalb nun zur Debatte: „Was bleibt nach Corona? Tabus und ein Zurück in die Zeit vor Corona gibt es nicht.“

Schon vor der Pandemie stand die deutsche Lebensmittelwirtschaft – nicht zuletzt die Biobranche – vor großen Herausforderungen: Preisdruck durch globalisierte Wertschöpfungsketten, Konzentration in Verarbeitung und Handel sowie zunehmende ökologische und soziale Probleme. Ein wichtiges Handlungsfeld etwa ist der Ausbau einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft. Dazu müssen verstärkt regionale Waren- und Stoffflüsse in ihren Wechselwirkungen betrachtet werden. Hier bietet Digitalisierung großes Potenzial, um etwa ökologische Leistungen sichtbar machen und bewerten zu können. So ermöglichen digitale Instrumente es, die Logistik effizienter zu gestalten und Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Apps wiederum können für die Rückverfolgung der Produktherkunft oder für die Suche nach Anbietern regionaler Bioprodukte hilfreich sein.

Ökologische Leistungen sichtbar machen und bewerten

Wie lässt sich das System Ökolandbau mit regionalen, nationalen und internationalen Lieferketten resilienter gestalten? Wie lassen sich digitale Lösungen, die so schnell und selbstverständlich in unseren Alltag eingezogen sind, auch nach Corona positiv nutzen? Welche Chancen bietet die Digitalisierung für die Biobranche, beispielsweise für den Bereich Kontrolle und Zertifizierung? Diese Fragen werden nun auf der Messe Biofach erörtert – selbstverständlich über digitale Kanäle.

Die Coronakrise ist vor allem auch eine Chance: „Es hat da eine Rückbesinnung der Menschen gegeben auf den Ursprung ihrer Lebensmittel, sodass sie deshalb auch vermehrt zu Erzeugnissen regionaler und biologischer Herkunft gegriffen haben“, sagt Nina Wolff, amtierende Vorsitzende des Vereins Slow Food Deutschland. „Ich glaube, dass das Bewusstsein für Ernährung gestärkt wurde, die überwiegend pflanzlich, möglichst regional und frei von chemischen Zusätzen ist.“ Eine erhöhte Nachfrage nach Bioprodukten dürfe jedoch nicht zu denselben Irrtümern führen, die aus dem konventionellen Bereich bekannt seien, etwa mehr Monokulturen zur Steigerung der Masse. „Im Gegenteil sollte gerade die Biobranche, die ja auch für einen natürlichen Ernährungsstil steht, einen angemessenen Beitrag leisten zur biologischen Vielfalt.“

Neben Biosupermarkt-Ketten verzeichnete auch der inhabergeführte Naturkosthandel 2020 ein deutliches Umsatzplus. „Plötzlich waren auf der einen Seite viele Kunden und zusätzliche Umsätze da“, sagt Simon Döring, Unternehmensberater bei Klaus Braun. „Auf der anderen Seite gab es die Herausforderung neuer, sich ständig ändernder Regeln, die Einhaltung der Hygienebestimmungen und Ähnliches.“

Bislang kam im Februar die Welt nach Nürnberg, über 9.000 Besucher waren es im Jahr 2020. Nun kommt das Event ins Homeoffice. In ihrem 32. Jahr findet die Biofach – Weltleitmesse für Biolebensmittel – wegen der anhaltenden Pandemie zum ersten Mal rein digital statt, zusammen mit der internationalen Fachmesse für Naturkosmetik Vivaness als eSPECIAL.

Vom 17. bis zum 19. Februar 2021 präsentieren Biounternehmen sich und ihre Produkte online, ein Fragenkatalog bei der Anmeldung soll Interessierte mit den passenden Ausstellenden zusammenbringen. Die Vorträge und Diskussionen des eSPECIAL Kongress unter dem Schwerpunkt „Shaping Transformation. Stronger. Together“ werden live gestreamt.

Klassische Vorteile des Einzelhandels standen zur Disposition: real erlebbare Produkte, eine individuelle Beratung und persönliche Kundenansprache. Das Ladenlokal kann nicht bleiben, wie es war. Plötzlich gilt mit großer Dringlichkeit: Das Einkaufserlebnis beginnt bereits zu Hause auf dem Sofa. Über das Internet oder die jeweilige App kommen Kunden mit ihrem Laden virtuell in Kontakt. Händler stehen vor der Aufgabe, die stationären Vorteile mit einer digitalen Erlebniswelt zu kombinieren. Veränderung des Handels heißt, digitale Möglichkeiten zu nutzen, auch im Geschäft. Nicht selten erfordert das eine umfassende Transformation. Für Kunden kann dies mehr Komfort und zusätzlichen Servic bedeuten.

Bisher sind digitale Angebote kaum verbreitet. Kleineren und mittleren Unternehmen fehlt nicht selten die Orientierung. Sie sind aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks häufig zu überlastet, um sich mit neuen technischen Lösungen ernsthaft auseinanderzusetzen. Intensiver Austausch zwischen meist urban orientierten Webentwicklern und digitalen Start-ups zu Produzenten und Verarbeitern von Lebensmitteln aus dem ländlichen Raum? War lange kein Thema. Mit dem abrupten Wandel im vergangenen Jahr verbinde sich nun jedoch „eine große Chance, Dinge zu verändern und sich auf die eigenen Stärken zu fokussieren“, betont Döring. Das können etwa ein besonderes Schichtsystem sein, Umbauten, Click and Collect, Genussscheinmodelle oder ein Lieferdienst.