Der Ruf nach dem Zeichen

Schreiben als Frage von Haltungen: Dietmar Daths Göttinger Poetikvorlesung

Komplexes Verhältnis zu den Lesenden: Dietmar Dathe Foto: Foto Jörg Steinmetz/Fischer Verlag

Von Alexander Diehl

Zum Anfang droppt er ein paar Worte, nein, Begriffe; und eine Skizze, wie die im Folgenden angeordnet sein werden: „Zwei Abende, vier Teile, eine Schreiblehre“, so beginnt Dietmar Dath seine Vorlesung. Warum, fragt Dath dann gleich noch, heiße das Ganze „‚Schreiblehre’und nicht ‚Poetik’oder ‚Poetologie’?“

Vorgetragen hat der Autor, Übersetzer und FAZ-Feuilletonredakteur das vor ziemlich genau einem Jahr, Ende Januar 2020, in Göttingen als „Lichtenberg Poetikvorlesung“. Solche Vorlesungen gibt es dort seit 1999, damals gehalten von Peter Rühmkorf, danach folgte dann im Prinzip jährlich eine – im Prinzip, wegen der drei Jahre Pause nach 2011 (Navid Kermani): Ab 2014 (Marcel Beyer) ging es dann wieder jährlich weiter, und nun trug es auch Lichtenberg im Namen. (Mit dem schmücken sie sich in Göttingen ja gerne.) Ach ja, falls Sie sich fragen: Doch, ja, es haben in diesem Rahmen auch schon Autorinnen doziert, 2019 Monika Rinck etwa oder 2016 Carolin Emcke.

Ausgerichtet vom Literarischen Zentrum, der Georg-August-Universität und dem Wallstein Verlag soll das Format Au­to­r:in­nen ein Forum bieten, „in dem sie ihre eigene Sicht auf das poetische Handwerk, die Existenz als Schriftsteller und die literarische Tradition präsentieren können“, flankiert werden die Vortragsabende etwa durch Gespräche mit Schulkindern oder Studierenden – idealerweise kommen also „kulturelle Öffentlichkeit, Autor und Philologie miteinander ins Gespräch“.

Autor, Öffentlichkeit und Philologie ließen sich als Eckpunkte heranziehen für die Dath’sche „Schreiblehre“; diese Vokabel etwa spielt an auf einen Französischlehrer, der einst auf eine Frage des Schülers Dath antwortete: „Des isch halt so.“ Mehr noch, raunzte er, dass Dath auf dem Gymnasium eh nichts verloren habe, und „sowieso eine Schlosserlehre“ machen werde. Von entsprechender Weltbildwarte aus wäre dann alles Folgende eine Art Rache gewesen: Als Immer-wieder-Widerlegung hätte er all die Romane geschrieben, die manchem Rezensierenden immer wieder dessen Wissensgrenzen vorzuführen scheinen – wer im deutschen Feuilleton versteht schon etwas von zeitgenössischer Mathematik oder auch nur Science Fiction? Erklären sich so nicht die auffällig affektgeladenen Verrisse, die Dath nun ausgiebig zitiert? Möglich – aber das hieße, so wie erst recht die Französischlehrertraumathese, Psychologisieren, wie es sich verbietet, nicht erst bei einem Kommunisten wie Dath.

Der stellt nach und nach fünf Regeln für literarisches Schreiben vor – unterschieden etwa von einem für die Zeitung, das sich, eine Art Kernthese, nicht richten dürfe nach von außen herangetragenen Erwartungen: „Wo Stoff, Thema oder Form ein Zeichen rufen, das kein Publikum hat, muss der literarische Text dennoch mit diesem Zeichen arbeiten.“ Dath ist klug genug, nicht in trügerische Heroik zu verfallen: Nie sei das ganz einzulösen, denn man spüre „vom ersten Wort an den Sog jeder als Mitteilung geeigneten Äußerung hin zum Publikum“.

Was es aber mit Stoff, Thema und Form auf sich hat, und was, noch wichtiger, literarisches Schreiben zu tun hat mit Haltungen zur wirklichen Welt: Das lässt sich erfahren aus diesem wirklich nur oberflächlich betrachtet spröden Text.

Dietmar Dath: Stehsatz. Eine Schreiblehre. Wallstein 2020, 108 S. 18 Euro (E-Book 13,99 Euro)