berliner szenen
: Damit meine Frau det nich merkt

Gegenüber dem Seiteneingang vom Karstadt am Hermannplatz steht ein öffentliches Telefon. Und als ob das im Zeitalter des Smartphones nicht schon anachronistisch genug wäre, hat es sogar einen Schlitz für eine Telefonkarte. Eine Telefonkarte – dies für unsere jüngere Leser – ist ein Stück Plastik im Format einer Kreditkarte, mit dem man in Telefonzellen ohne Münzen telefonieren kann. Damals, als alles noch aus Holz war, man mit D-Mark zahlte, und vor der ersten Auflösung von Tic Tac Toe war das eine fast lebenswichtige Sache, besonders in Ostberlin, wo viele keine eigenen Telefone in der Wohnung hatten und nur Manager ein Handy. Man hatte immer eine Karte im Portemonnaie.

Weil die Telekom einen „Versorgungsauftrag“ hat, stehen hier und da noch öffentliche Telefone herum. Und weil sie alle vor der ersten Auflösung von Tic Tac Toe aufgestellt wurden, haben sie einen Schlitz für eine Telefonkarte. Sie dienen, wie ich heute erfahre, der Vorbereitung von Ehebruch im Rentenalter.

Als ich aus dem Kaufhaus komme, steht ein klappriger alter Mann am Telefon. Er fischt gerade seine Telefonkarte aus dem Apparat. Unaufgefordert informiert er mich, während ich mein Fahrrad aufschließe: „Det Ding is kaputt. Nu muss ick bis zum Rathaus Neukölln loofen, da is noch ’ne Zelle für de Karten.“

Um auch etwas zu sagen, wundere ich mich laut: „Ich wusste gar nicht, dass man noch Telefonkarten kaufen kann.“ – „Nu ja, ick wollte halt meene Uraltfreundin anrufen. Da nehme ich immer meine Karte, damit meine Frau det nich merkt.“ Und weil es mir nun offensichtlich die Sprache verschlagen hat, fügt er leicht grinsend hinzu: „So hat halt jeder seine eijenen Probleme.“ Womit der alte Schwerenöter nun zweifelsohne recht hat.

Tilman Baumgärtel