Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen im Wendland: „Das Engagement geht weiter“

Die Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen im Wendland werten das Aus für Gorleben als Erfolg ihres Widerstandes. Am Ziel sehen sie sich aber noch lange nicht.

Das Anti-Atom-Dorf Republik Freies Wendland

Die Republik Freies Wendland, Ende Mai 1980. Eine Woche später wurde das Anti-Atom-Dorf geräumt Foto: Werner Baum/dpa

GÖTTINGEN taz | Erleichterung ja, aber keine große Party. Es war eine eher nachdenkliche und verhaltene Demonstration, mit der die Atom­geg­ne­r*in­nen im Wendland am 4. Oktober die Nachricht feierten, dass Gorleben aus dem Suchverfahren für ein Endlager ausgeschieden ist. Wenige Tage zuvor hatte die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihren Zwischenbericht veröffentlicht. Überraschend kommt der Salzstock im Wendland als dauerhafte Lagerstätte für den hochradioaktiven Atommüll nicht mehr infrage.

Mit ihrer Aussage „Das ist in bisschen surreal“ traf die langjährige Gorleben-Aktivistin und Grünen-Europa-Abgeordnete Rebecca Harms damals wohl die Stimmung vieler Menschen im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Vier Monate danach hat die taz Anti-Atom-Bewegte aus der Region gefragt, wie sie das Aus für Gorleben einschätzen – und ob sie sich nun weiter gegen Atomkraft engagieren oder sich lieber zur Ruhe setzen wollen.

Bei Kerstin Rudek ist die Freude immer noch sehr groß. Das jahrzehntelange Festhalten an dem Salzstock sei rein politisch begründet und „eine Riesen-Ungerechtigkeit“ gewesen. Die Tatsache, „dass für etwas zu kämpfen, erfolgreich sein kann, auch wenn der Gegner groß wie der Riese Goliath ist“, gebe ihr Kraft für die anstehenden Aufgaben, sagt die vierfache Mutter.

Rudek ist seit vielen Jahren im Gorleben-Widerstand aktiv, zeitweise war sie Vorsitzende der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Den Kampf gegen Atomanlagen, wo immer sie auch gebaut und betrieben werden, sowie gegen den Klimawandel will Rudek weiterführen.

„Die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau müssen stillgelegt werden“, sagt Rudek. Und die Castorbehälter, die aus den Wiederaufarbeitungsanlagen Sellafield und La Hague nach Deutschland zurückgebracht werden sollen, seien „nur eine Atommüllverschiebung von irgendwo nach nirgendwo. Daher setze ich mich für eine Absage dieser Transporte ein.“ Auch Gorleben bleibe bis auf weiteres Atomstandort. In einem der beiden Zwischenlager stünden 113 Castorbehälter mit hoch radioaktivem Atomschrott, im anderen stapelten sich Tausende Fässer mit schwach und mittelaktiven Abfällen.

Scharfe Repressionen in Russland oder der Türkei

Auch Kontakt zu Mit­strei­te­r*in­nen im Ausland will Rudek weiter halten. AKW-Gegner*innen etwa in Russland oder der Türkei litten unter scharfen Repressionen und einem Mangel an Meinungsfreiheit, sie bekämen Verfahren an den Hals und es werde ihnen Spionage unterstellt. „Hier sehe ich uns in der Pflicht, mit, aber auch für unsere internationalen Kol­le­g*in­nen den Streit für ein Ende des Atomzeitalters auszufechten, ganz einfach, weil sie es nicht so können, wie sie gerne würden.“

„Da ich mich schon immer auch gegen Nazis und für geflüchtete Menschen engagiert habe, ändert sich insgesamt an meinem politischen Engagement durch das Ende von Gorleben als Endlagerstandort nichts“, so Rudek. Später, vielleicht, möchte sie „auch mal ein bisschen mehr Freizeit. Und nicht immer nur jeden Tag kämpfen.“

Dass Gorleben aus dem Suchverfahren für ein Endlager ausgeschieden ist, wertet auch Elisabeth Hafner-Reckers zumindest als Teilerfolg. „Das eine politische Ziel ist erreicht worden, und das haben wir alle dem jahrzehntelangen Einsatz der Zivilgesellschaft zu verdanken“, sagt sie. „Das ist ein Hoffnungszeichen und eine Stärkung der Demokratie.“ Hafner-Reckers ist Yoga-Lehrerin, im Vorstand der BI und eine der Koordinatorinnen des „Gorlebener Gebetes“ – diese Initiative wirbt seit mehr als 30 Jahren jeden Sonntag mit Andachten im Gorlebener Wald für einen besseren Umgang mit der Umwelt und dem Atommüll.

Der Teilerfolg ist für Hafner-Reckers aber noch lange kein Grund, sich politisch zur Ruhe zu setzen. „Wir sehen jetzt eine unserer Aufgaben darin, unser Wissen über das Zustandekommen von Entscheidungen mit anderen jetzt möglichen Standorten zu teilen“, betont sie. „Deshalb bringen wir uns weiter in den Auswahlprozess für einen Standort ein.“

„Mit Erschrecken“ sieht Hafner-Reckers, wie die Atom­kraft­be­für­wor­te­r*in­nen die Atomenergie als Mittel gegen den Klimawandel empfehlen. „Das ist sehr geschickt aufbereitet“, sagt sie. „Sie begrüßen alle ausdrücklich die Nutzung von Wind, Wasser und Sonnenenergie, rechnen aber mit abenteuerlichen Methoden vor, dass diese Energie nicht ausreicht. Das verfängt. Und wir müssen die CO2-Bilanz des gesamten atomaren Prozesses darstellen: Uranabbau, Transport, Bau und Rückbau der Atomkraftwerke.“

Der Kampf gegen das Endlager war aus Sicht von Hafner-Reckers von Anfang an auch ein „Sich Gedanken darüber machen, wie wir anders wirtschaften, den Energieverbrauch aus anderen Quellen hinbekommen, uns anders ernähren“. Viele andere Modelle seien „im Schatten von Gorleben“ ausprobiert und entwickelt worden. „Wir haben hier im Wendland einen hohen Anteil an ökologischer Landwirtschaft, bei der Stromerzeugung ohne Atom und Kohle liegen wir weit vorn, es gibt viele kleine und größere ökologische Betriebe. Wir sehen uns von daher immer als Teil der Bewegung, die für ein gerechtes Leben auf dieser Erde eintreten.“

Elisabeth Krüger und Martin Nesemann aus Tollendorf sind Redakteure der bundesweit vertriebenen Zeitschrift anti atom aktuell. Bei den Castortransporten, die zwischen 1995 und 2011 ins Wendland rollten, organisierten sie Proteste an den Bahnschienen mit. Einen Grund, sich nun zur Ruhe zu setzen, sehen auch sie nicht: „Es ist nicht unser politisches Ziel, ein Endlager im Salzstock Gorleben zu verhindern“, schreiben sie der taz. „Wir sehen eine unserer Aufgaben eher darin zu verhindern, dass kommende Generationen die Folgen tragen müssen, wenn an ungeeigneter Stelle mit riskanten Methoden hochgefährliche Stoffe verbuddelt werden.“

„Gorleben“ sei ein Symbol für ein zerstörerisches und menschenfeindliches System. Das Symbol dürfe nicht mit dem eigentlichen Anliegen verwechselt werden. „Es geht um eine Welt, in der der atomar-fossile Kapitalismus nicht mehr das Leben bestimmt.“ Im Übrigen sei das Wendland ja nicht raus aus der Standortsuche. Wenn nicht der Gorlebener Salzstock, so blieben doch die benachbarten Tonvorkommen in der Liste der weiter zu untersuchenden Gebiete.

Der lange Atem der Protestbewegung

Gabi Haas ist ebenfalls überzeugt, dass die „politische Fehlentscheidung“, in Gorleben ein Endlager zu bauen, ohne den langen Atem der Protestbewegung niemals zurückgenommen worden wäre. Entscheidend sei aus ihrer Sicht aber nicht, „dass Gorleben aus dem Verfahren rausgeflogen ist“, sagte die Vorsitzende des Gorleben-Archivs. „Das Wichtigste ist, dass es dieses Verfahren überhaupt gibt“, also ein gesetzlich geregeltes Suchverfahren, das zumindest von seiner Intention her transparent und wissenschaftsbasiert ablaufen solle. Nur so sei es schließlich möglich gewesen, dass sich im Fall Gorleben nach 40 Jahren letztlich doch noch die Erkenntnisse der Wissenschaft gegen mächtige politische und wirtschaftliche Interessen durchgesetzt hätten.

Haas ist dafür, dem neuen Suchprozess eine Chance zu geben und zu versuchen, „uns dabei mit all unseren Erfahrungen konstruktiv einzubringen“. Das Ziel, ein bestmögliches Endlager zu finden, werde die Generation der jetzt Aktiven nicht mehr selbst miterleben. „Für unsere Generation kann es nur darum gehen, ein gutes Verfahren mit auf den Weg zu bringen. Und deshalb werde ich mich auch nicht zur Ruhe setzen. Aber wenn es Leute aus unseren Reihen gibt, die das jetzt tun, dann kann ich das sehr gut verstehen. Es wäre wohlverdient.“

Sie selbst, sagt Haas, will aber nicht nur das Standortsuchverfahren weiter begleiten und aufpassen, dass es wirklich transparent, wissenschaftsbasiert und mit einer echten Bürgerbeteiligung abläuft. Wichtig sei jetzt auch, dafür zu sorgen, dass die Erfahrungen aus der Auseinandersetzung um Gorleben nicht verloren gingen, sondern historisch aufgearbeitet würden. „Und dazu gehört das, was wir im Gorleben-Archiv machen: nämlich das entsprechende Material über diesen Konflikt zu sammeln und fachgerecht zu archivieren, damit es für zukünftige Generationen verfügbar bleibt.“

Sorge um das künftige Suchverfahren

Bei dem wendländischen Anti-Atom-Veteranen Wolfgang Ehmke hingegen hat sich „nach der Anfangseuphorie, dass Gorleben raus ist“, Ernüchterung breit gemacht. Er sorgt sich um den Fortgang des bundesweiten Suchverfahrens. Der BGE-Bericht, der 54 Prozent der Landesfläche als potenziell geeignet für die Endlagersuche ausweise, sei wenig aussagekräftig. Es werde immer deutlicher, dass der Bericht zu früh gekommen sei. „Wahrscheinlich steht dahinter die Idee, dass sich die Menschen in den betroffenen Regionen nicht betroffen fühlen sollen, um zu unterlaufen, dass das Thema Atommüll im Herbst keine Rolle bei den Wahlen spielt.“

Dieter Metk, ebenfalls einer der Altvorderen des Wendland-Widerstandes, sieht selbst den Salzstock Gorleben noch nicht vollends aus dem Schneider. Er verweist auf Überlegungen örtlicher CDU-Politiker über eine mögliche Nachnutzung der Schächte. „Chancen“, die man „nicht einfach so wegschmeißen sollte“, orakelten die Christ­demokraten.

Das Areal eigne sich etwa als Standort für Windräder, im Bergwerk könnte Energie aus Erdwärme gewonnen werden, es lasse sich dort auch Wasserstoff produzieren und lagern. Auch eine Nutzung als „Heil­stollen“ wie im österreichischen Gastein sei denkbar, meint die CDU. 14.000 Gäste kämen dort Jahr für Jahr hin, um sich in den dortigen ehemaligen Bergwerksstollen zu kurieren.

Wie Metk hält auch Wolfgang Ehmke solche Überlegungen und überhaupt die Offenhaltung des Bergwerks für ein „gefährliches Spiel“: „Der Drops ist noch nicht gelutscht in Gorleben, solange das Endlagerbergwerk nicht zur grünen Wiese zurückgebaut ist.“

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