Frankfurt im Flow

Die Eintracht geht nach dem 2:0 gegen den 1. FC Köln als beste Bundesligamannschaft des Kalenderjahres in das Duell gegen den FC Bayern. Trainer Hütter hat ein beeindruckend stabiles Gebilde geschaffen

Aus Frankfurt am Main Frank Hellmann

Selbstbeherrschung gehört zu den besonderen Charaktereigenschaften von Adi Hütter. Seine Gefühle behält der Fußballlehrer von Eintracht Frankfurt gemeinhin gerne für sich, aber nach dem 2:0-Heimsieg gegen den 1. FC Köln gab der Österreicher seine Zurückhaltung auf. Keiner der errungenen 39 Zähler sei „gestohlen oder glücklich geholt“, sagte Hütter, „das macht mich unheimlich stolz.“ Den Tabellenstand, Platz drei nach 21 Spieltagen, finde er beeindruckend. Mehr Zähler hat der Klub seit Einführung der 3-Punkte-Regel im Jahr 1995 zu diesem Zeitpunkt noch nie verbucht. Und: Kein Team hat 2021 eine bessere Punkteausbeute – auch der FC Bayern nicht, der nun am Samstag im Frankfurter Stadtwald antritt. Erfolgscoach Hütter, 51, sagte, er freue sich auf das Kräftemessen mit der „weltbesten Mannschaft“, denn: „Wir sind gut drauf, versuchen sie zu fordern und zu gewinnen.“

Der Eintracht-Sportvorstand Fredi Bobic sprach eingedenk der Serie von acht Siegen aus den jüngsten neun Bundesligaspielen von „einem Bonusspiel“; aber eigentlich ist es für das begeisterungsfähige Umfeld viel mehr: nämlich der Härtetest, was in dieser schon jetzt historisch guten Saison noch geht. Vom Champions-League-Kurs kommen die Hessen gerade keinen Deut ab. „Wir können frei aufspielen und ihnen hoffentlich Paroli bieten. Vielleicht sind wir demnächst Weltpokalsiegerbesieger“, meinte Erfolgsmanager Bobic, 49.

Das Selbstbewusstsein wächst im Frankfurter Flow beinahe täglich, zumal das eingespielte Eintracht-Ensemble inzwischen alle Attribute eines Spitzenteams bedient. Technisch und taktisch, kämpferisch und spielerisch agiert die Mannschaft auf höchstem Niveau, offenbart in der Herangehensweise Geduld und Spucke. „Man hat in der Vergangenheit gesehen, dass man gegen die Bayern punkten kann“, sagte Torhüter Kevin Trapp in Anspielung auf jenes sagenhafte 5:1 vom 4. November 2019, welches in München damals die Trennung von Niko Kovac und die Beförderung von Hansi Flick auslöste.

Bayerische Gastspiele am Main endeten früher nicht selten mit solchen Bruchlandungen. In den 70er und 80er Jahren traten die Bayern nach unglücklichen Auftritten im Waldstadion häufiger als Verlierer die Heimreise an. Dass sich die Eintracht als Mannschaft der Stunde auch jetzt „nicht verstecken muss“, wie der als Rechtsverteidiger wieder aufblühende Weltmeister Erik Durm betonte, ist offensichtlich. Denn: „Wir haben einen super Lauf und wollen weiter auf dieser Welle reiten.“

Spiel mit zwei Machern

Eine Systemumstellung war der Auslöser für die Erfolgswelle. Zwei gleichberechtigte Spielmacher (Amin Younes und Daichi Kamada) treiben die Eintracht seitdem an. Das Team wirkt inzwischen so gut austariert, dass Hütter gar keine Veranlassung zu Umbauten hat – zum Leidwesen des wegen fehlender Einsatzzeiten zunehmend missmutigen Rückkehrers Luka Jovic. Und selbst der ehemalige Bayern-Spieler Sebastian Rode rückt am Samstag nur in die Startelf, weil Abräumer Djibril Sow gesperrt ist. Markenzeichen ist neben der variantenreichen Offensive, in der Torjäger André Silva beim 1:0 (57.) seinen 18. Saisontreffer erzielte, auch die stabile Defensive. Verkörpert wird die von Martin Hinteregger, dessen Präsenz bis unter die letzte Tribünenreihe der verwaisten Arena beeindruckt.

„Martin hat gefühlt jeden Zweikampf gewonnen“, lobte Hütter. Sein Landsmann, 28, wirkt in der Dreierkette wie der Erziehungsberechtigte seiner erst 21-jährigen Nebenleute Even Ndicka, der seine Kopfballstärke beim 2:0 wieder einmal unter Beweis stellte (79.), und Tuta, der den nach Argentinien zurückgekehrten Kapitän David Abraham fast ebenbürtig ersetzt. Daher war der Arbeitssieg gegen allerdings biedere Kölner eine Bestätigung des Trends. „Wir haben wie so oft in letzter Zeit nichts zugelassen“, stellte Trapp zufrieden fest, der seit Wochen deutlich weniger beschäftigt ist als der Nationalmannschaftskollege Manuel Neuer.

Hütter gefällt die Gesamtkomposition: „Bei einem Haus baut man ja nicht zuerst die Terrasse oder den ersten Stock, sondern das Fundament.“ Der 2018 installierte Fußballlehrer aus Vorarlberg – als Nachfolger des unter unschönen Störgeräuschen vom FC Bayern abgeworbenen Kovac – hat nunmehr in zweieinhalb Jahren einen Punkteschnitt angesammelt, den bei der gar nicht mehr launischen Diva vom Main nur noch ein gewisser Dragoslav Stepanovic überbietet.

Der Kulttrainer aus den 90er Jahren genießt in Eintracht-Kreisen immer noch allerhöchste Wertschätzung. Deshalb war es von Hütter überaus geschickt, einen virtuellen Gruß an den in der Region beheimateten 72-Jährigen zu übermitteln. „Ich weiß, dass Stepi sich mit uns freut. Er schickt immer mal wieder eine SMS.“ Dann meinte er in Richtung Stepanovic: „Ich hoffe, dass ich dich noch übertrumpfen kann. Du weißt: Lebbe geht weider.“ Auch wenn die Eintracht die Bayern nicht besiegen sollte.