Privatklinik gegen Betriebsrätin: Zu engagiert für den Chef

Eine Hamburger Privatklinik versucht, eine Krankenpflegerin loszuwerden. Sie ist zugleich Betriebsrätin. Der Konzern unterstellt ihr Betrug.

Backsteingebäude mit großen Fenstern an einer Brücke, darunter Eisschollen

Schicke Hamburger Privatklinik mit eisigem Betriebsklima: Atos Klinik Fleetinsel Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Betriebsrät*innen, nicht nur im Gesundheitsbereich, haben in der Coronapandemie viel zu tun. Kurzarbeit, Hygienekonzepte, Verlagerung von Arbeit in Privaträume und der Schutz vor dem Virus am Arbeitsplatz – das alles sind Bereiche, in denen die Ver­tre­te­r*in­nen der Belegschaft darauf achten müssen, dass die Rechte der Ar­bei­te­r*in­nen gewahrt werden. Dass das nicht allen Ar­beit­ge­be­r*in­nen gefällt, ist klar, aber manche kommen offenbar besonders schlecht damit zurecht.

Die Hamburger Privatklinik Fleetinsel versucht derzeit auf gerichtlichem Weg, eine unbequeme Betriebsrätin loszuwerden. Der Konzern Atos, der die Klinik betreibt, wirft ihr vor, Tätigkeiten für den Betriebsrat außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit verrichtet und auch noch dabei betrogen zu haben.

Eigentlich müssen betriebsrätliche Tätigkeiten während der normalen Arbeitszeit erledigt werden, jedenfalls in Regelbetrieben. In einer Klinik geht das meistens nicht, es findet dort kein Regel-, sondern Schichtbetrieb statt und die vom Pflegepersonal zu erledigenden Aufgaben lassen meistens keinen Spielraum – etwa für die Arbeit im Betriebsrat.

Zahlreichen solchen Aufgaben aber ging die Krankenpflegerin Anja C. nach: Sie war an der Gründung des Betriebsrats der Klinik Fleetinsel beteiligt, war Sprecherin des Wirtschaftsausschusses, außerdem zuständig für Arbeits- und Gesundheitsschutz, wechselte später in die Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit und ließ sich im August 2020 zur stellvertretenden Konzernbetriebsratsvorsitzenden wählen. Sie kümmerte sich um all das in ihrer Freizeit, von zu Hause aus – so erlaubt es auch das Betriebsverfassungsgesetz. Von Januar bis September stellte sie ihrem Arbeitgeber dafür 184,35 Stunden in Rechnung.

Sonntagsarbeit? Verdächtig

Das wirft ihr die Konzernführung nun vor und verdächtigt sie, zu viele Stunden angegeben zu haben. C. habe „falsche Arbeitszeiten zur Erschleichung von Arbeitsbefreiung vorgetäuscht, indem sie (…) Zeiten für Betriebsratsarbeit vorgetäuscht hat, die sie tatsächlich nicht (…) geleistet hat“, schreiben die von Atos beauftragten Rechts­an­wäl­t*in­nen dem Gericht. Auch, dass C. die Stunden häufig an Sonn- und Feiertagen veranschlagte, bemängelt die Konzernführung.

Gegenüber der taz sagte Anja C., die Vorwürfe seien unberechtigt. Der Einsatz an Sonn- und Feiertagen sei durch den Schichtbetrieb und zum Wohl der Pa­ti­en­t*in­nen und Kol­le­g*in­nen geschehen. „Der Eindruck, man will mich einfach loswerden, ist doch sehr deutlich“, sagt sie.

Unter ihrer Mitwirkung hat der Betriebsrat ein Verfahren gegen diverse personelle Maßnahmen der Klinikleitung eingeleitet – also gegen Einstellungen und Kündigungen, an denen Atos die Belegschaft nicht beteiligt hatte, obwohl das Unternehmen es hätte tun müssen.

Auf die Nachfrage der taz, welche Anhaltspunkte die Atos-Gruppe für den Betrugsverdacht gegen C. habe, möchte sich der Konzern nicht äußern. Man wolle die Entscheidung des Gerichts abwarten. Den Vorwurf, Atos wolle eine unbequeme Betriebsrätin loswerden, weist eine Sprecherin aber von sich: „Wir streben grundsätzlich ein enges Verhältnis zu unseren Betriebsräten an. Dabei kann es vorkommen, dass Sachverhalte kontrovers diskutiert werden.“ Dies empfinde man jedoch nicht als unbequem, sondern „als notwendig, um weitere Optimierungen vorzunehmen.“

„Die Vorwürfe sind konstruiert“

Dem Arbeitsrechtsanwalt Simon Dilcher kommt die Argumentation der Unternehmensführung bekannt vor. Er vertritt den Betriebsrat vor Gericht. „Das sind konstruierte Standardvorwürfe, um Betriebsräte unschädlich zu machen“, sagt er. Dabei seien die Vorwürfe inhaltlich absurd. Das von C. veranschlagte Zeitkontingent sei sogar noch niedrig, gemessen an den ganzen Tätigkeiten, denen C. als Betriebsrätin nachgegangen sei. Und eine Erledigung innerhalb der Arbeitszeiten sei aufgrund der Schichtdienste zudem meist nicht möglich.

Simon Dilcher, Anwalt

„Die Vorwürfe sind konstruiert und rechtlich nicht ausreichend für eine fristlose Kündigung“

„Die Vorwürfe sind konstruiert und rechtlich nicht ausreichend für eine fristlose Kündigung“, sagt er. Auch der Konzernführung müsse klar sein, dass sie damit vor Gericht nicht durchkomme, meint Dilcher – was darauf hinweise, dass hier Machtspielchen gespielt würden, um auch andere Betriebsratsmitglieder einzuschüchtern. „Da wird versucht, psychischen Druck auszuüben“, vermutet der Anwalt.

Auch die Gewerkschaft Ver.di kritisiert das Vorgehen des Konzerns. „Es ist ein maximaler Angriff auf die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten“, ordnet die Gewerkschaftssekretärin Kathrin Restoff das Verhalten der Atos-Chef*innen ein. „In diesen schwierigen Zeiten zu versuchen, eine Betriebsrätin loszuwerden, wirft kein gutes Licht auf den Konzern.“ Auch Restoff glaubt, dass es der Klinikleitung um Einschüchterung geht.

Der Chief Operating Officer von Atos, Lars Timm, der seit einem Jahr einer von drei Geschäftsführern ist, sei zudem kein Unbekannter. Zuletzt war er als Regionalgeschäftsführer des privaten Gesundheitskonzerns Ameos tätig. Dort soll er laut Ver.di 14 fristlose Kündigungen als Reaktion auf Warnstreiks verantwortet haben.

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