Abschiebungen nach Afghanistan: Die Zyniker im Innenministerium

26 Menschen werden aus dem coronageplagten Deutschland abgeschoben. In Afghanistan erwarten sie unsichere Zustände und eine marode Krankenversorgung.

Der aus Deutschland abgeschobene Afghane Sajed Nur auf dem Flughafen in Kabul

Sajed Nur am Flughafen Kabul, nach der Abschiebung aus Deutschland am 10. Februar Foto: Hesam Hesamuddin/dpa

Ein Abschiebeflug aus Deutschland ist am Mittwoch mit 26 Menschen in Kabul gelandet, und das ist ein Skandal im Skandal. Fast 9.000 zusätzliche Neuinfektionen verzeichnete die Johns-Hopkins-Universität am Dienstag für Deutschland, für Afghanistan waren es am selben Tag 43. Deutschland treibt mit Abschiebungen das Infektionsgeschehen in einer globalen Pandemie voran. Es mag zynisch erscheinen, Corona als Grund für einen Abschiebestopp anbringen zu müssen.

Doch die wahren Zy­ni­ke­r*in­nen sitzen im deutschen Innenministerium. Zu der Sammelabschiebung von Mittwoch ist wenig bekannt. Und vielleicht gehört genau das zum Kalkül der Behörden: Frühmorgens werden 26 Männer abgeholt. Niemand protestiert, nicht auf den leeren Straßen, nicht in der leeren Flughafenhalle, und dann geht es in den leeren Flieger.

Afghanistan, das ist ein gebeuteltes Bürgerkriegsland mit einer gebeutelten Gesundheitsversorgung und gebeutelten Menschen, die einer Pandemie ausgesetzt sind. 26 weitere Menschen aus Deutschland werden dort nun hineingeworfen. Das war es, was man in den Büros des Innenministeriums wollte. Gab es Freude, als es am Mittwoch früh morgens hieß, der Flug sei in Kabul gelandet?

Wer findet, das sei eine Unterstellung, hat schon vergessen, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2018 die Abschiebung von 69 Afghanen als sein Geburtstagsgeschenk bezeichnete. Wie viele Beamte sind aktuell mit der Planung von Abschiebungen beschäftigt, wie viel Logistik steckt dahinter? Man kann diese Politik kaum anders nennen als: menschenverachtend.

Jene Behörden, die bei Abschiebungen professionell und reibungslos funktionieren, unterminieren andere Fragen in der Asyl- und Migrationsgesetzgebung genauso professionell. Wo ist der Bundesinnenminister, der gleichzeitig auch Bundesbauminister ist, wenn es um überfüllte Heime geht? Heime, in denen Kinder jetzt erst recht nicht vernünftig am Unterricht teilnehmen können? Wo Menschen jetzt erst recht vereinsamen und verarmen?

Dass es nur 43 Neuinfektionen in Afghanistan gab, ist wohl ein Messfehler des überlasteten Gesundheitsdienstes, der noch andere Probleme hat. Wie hätte man auch wissen können, dass fünf Stunden nach dem Eintreffen des Abschiebeflugs diese Meldung der Nachrichtenagentur AP eintrifft: „Bei einer Serie von Bombenexplosionen sind am Mittwoch in Kabul der Polizeichef eines Bezirks und sein Leibwächter getötet worden. Fünf weitere Menschen wurden nach offiziellen Angaben verletzt.“ Hoffentlich können die Verletzten ins Krankenhaus.

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Berichtet seit 2022 als Korrespondent im Parlamentsbüro der taz unter anderem über die FDP und die Union. Studium der Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre Köln, London und Moskau.

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