Corona-Ausbruch in Augsburger Heim: Optimale Bedingungen für das Virus

In einem Augsburger Pflegeheim haben sich schlagartig mindestens 85 Menschen mit Corona infiziert. Hat der Betreiber die Vorschriften verletzt?

Eine FFP 2 Maske vor schwarzem Hintergrund

Viele Infizierte und Tote: In einem Augsburger Seniorenheim hat es einen Corona-Ausbruch gegeben Foto: K.J. Peters/imago

MÜNCHEN taz | Am 4. Februar veröffentlichte die Stadt Augsburg eine deutliche Mitteilung: In der Seniorenwohnanlage „Albaretto“ sei es zu einem Corona-Ausbruch gekommen, teilte die Pressestelle mit, 66 Bewohner wurden positiv getestet sowie 19 Beschäftigte. Nach taz-Informationen sind mittlerweile zwölf infizierte Bewohner gestorben, einige weitere werden auf Intensivstationen behandelt.

Die Stadt gab laut Mitteilung „Anordnungen gegenüber dem Betreiber“, die zum Schutz von Bewohnern und Personal erforderlich seien. Wie dramatisch dieses laut Pressestelle „punktuelle Ausbruchsgeschehen“ ist, zeigt sich an der Sieben-Tage-Inzidenz für Augsburg: An jenem 4. Februar lag sie bei 103,7. Ohne die Fälle in der Wohnanlage wäre der Wert unter 90 gewesen. Gab es Versäumnisse beim Coronaschutz, womöglich schwerwiegende?

Das Heim Albaretto mit 600 Bewohnern bezeichnet sich als „Hotelresidenz 50plus“, insgesamt befinden sich acht Häuser auf dem Areal im Augsburger Westen. Der Corona-Ausbruch erfolgte in Haus 4, wo 87 Pflegebedürftige untergebracht sind und betreut werden.

Schon am 3. Februar meldet sich eine Person bei der taz, die regelmäßig im Haus 4 ist. Sie wolle, so sagt sie, „unnötig lebensbedrohliche Missstände aufzeigen“, damit der Heimbetreiber handle und „keine Menschenleben gefährdet“. Nach mehreren E-Mail-Wechseln und Telefonaten ist die taz zu der Auffassung gelangt, dass diese Quelle glaubhaft ist.

Geraune über „Kasperletheater“

Die Anforderungen an Pflegeheime zum Schutz vor dem Coronavirus sind im Freistaat Bayern detailliert in der sogenannten In­fektionsschutzmaß­nahmenverordnung geregelt, diese wird immer wieder aktualisiert. So ist seit dem 9. Dezember 2020 festgelegt, dass Besuchende immer eine FFP2-Maske tragen müssen. Im Haus 4 des Albaretto soll dies aber nicht durchgesetzt worden sein, manche Besuchende hätten von sich aus FFP2-Schutz verwendet, andere nicht.

Auch ist vorgeschrieben, dass Besuchende einen aktuellen negativen Coronatest mit sich führen müssen. Im Albaretto sei dies aber nicht kontrolliert worden, man habe nur die Daten der Besucher aufgenommen. Letzteres bestätigt der Heimbetreiber Bernhard Spielberger in einem Telefonat.

Wie Spielberger zu den Coronavorschriften steht oder stand, hat er in einem Video-Interview mit dem Magazin Neue Szene Augsburg dargelegt, das auf den 18. Mai datiert ist. Dort sagt er über die Covid-Regeln: „Dieses Kasperltheater machen wir noch so lange mit, wie es unsere Politiker wollen.“

Weiter sagte er: „Ich möchte Corona nicht verharmlosen, doch ich verharmlose auch nicht Influenza und die anderen Viren, die im Alter zum Tode führen können.“ Und: „Wir haben hier ganz viele Coronarevoluzzer, so würde man es nennen, die treffen sich oft in Apartments und in den Gemeinschaftsräumen, obwohl ich es verboten habe.“ Ein Bewohner habe ihm gesagt: „Ich bin jetzt 80 Jahre alt geworden. Glauben Sie mir, ich weiß, was ich tue.“

Unseriöse Ratschläge

Und wie ist es mit den vorgeschriebenen FFP2-Masken? In einem Brief an die Albaretto-Bewohner vom 13. Januar 2021 schreibt Spielberger, dass laut Robert-Koch-Institut ältere Menschen und vulnerable – also verletzliche – Personengruppen diese Masken möglichst nur unter „ärztlicher Begleitung“ tragen sollten. Unterstrichen ist der Satz: „Daher rate ich Ihnen dringend von der Verwendung von FFP2-Masken ab.“ Die Albaretto-Mitarbeiter würden „weiterhin einen Mund-Nasen-Schutz tragen“, jedoch „keine FFP2-Masken“.

Die Quelle berichtet, dass viele zur Verfügung gestellten FFP2-Masken in der Anlage im Keller gelagert worden seien. Mitarbeiter, die aber einen solchen Schutz tragen wollten, hätten ihn privat gekauft.

Eine Woche darauf, am 20. Januar, wurde die bayerische Verordnung geändert. Jetzt heißt es darin: „Für die Beschäftigten gilt FFP2-Maskenpflicht.“ Bernhard Spielberger sagt, dass die Mitarbeiter seines Pflegedienstes seit dem 4. Februar die Masken gemäß der Vorschrift tragen. Daneben sind sieben weitere externe Pflegedienste im Haus 4 tätig, welche schon länger den vorgeschriebenen Schutz verwenden.

In einem insgesamt fünfseitigen Brief an Augsburgs Bürgermeisterin Eva Weber (CSU) und Leo Dietz, Vorsitzender der CSU-Stadtratsfraktion, schreibt Spielberger vehement und detailliert, warum er die neu vorgeschriebenen Masken ablehnt: „Die Kommunikation zwischen Pfleger und Gepflegtem ist unter der FFP2-Maske wesentlich erschwert, so dass viele Pfleger während der Pflegetätigkeit die FFP2 mit den Fingern anheben, damit der Gepflegte den Pfleger versteht.“ Dadurch sei das Ansteckungsrisiko „enorm“. Spielberger: „Eine FFP2-Maske mag in der Theorie gut sein, in der Praxis ist diese aber völlig untauglich.“

Fehler auch aufseiten der Stadt?

Die Bewohner macht Spielberger auch auf angeblich mögliche Probleme beim Impfen aufmerksam. Diese und deren Hausärzte würden ihm – wie er am 22. Januar per Rundschreiben selbst erwähnt – vorwerfen, dass er „die Corona-Impfung mit meiner Forderung nach einer ärztlichen Bestätigung bezüglich vorheriger Beratung sabotieren oder verzögern würde“.

Im Haus 4 fährt nicht ohne Weiteres ein Team mit Ärztin oder Arzt vor und impft einen Bewohner nach dem anderen – möglichst rasch. Stattdessen verlangt der Residenz-Betreiber „aus Haftungsgründen“ die schriftliche Bestätigung des Hausarztes über Beratung. Denn viele Bewohner wüssten etwa nicht, „dass bei Allergien ein deutlich erhöhtes Risiko von Impf-Nebenwirkungen besteht“. Allerdings: Laut dem Paul-Ehrlich-Institut liegt die Häufigkeit von schwerwiegenden, potenziell lebensbedrohlichen Sofortreaktionen bei 0,4 bis 11,8 Fällen pro einer Million Impfdosen.

Auch die Stadt Augsburg hat mit dem ihr unterstellten Gesundheitsamt durch die Verordnungen festgelegte Pflichten. Seit dem 15. Dezember 2020 muss sich das Pflegepersonal mindestens zweimal in der Woche testen lassen. Dass dies geschieht, „unterliegt der Beobachtung der Kreisverwaltungsbehörde“, also der Stadt. Wurde das Albaretto-Personal seitdem regelmäßig getestet?

Nach taz-Informationen lautet die Antwort: Nein, erst seit dem 5. Februar wurde getestet. Ist der Stadt bekannt, dass Besucher bis heute nicht nach einem Negativ-Test gefragt wurden? Wurde die Pflegestätte ermahnt, dies zu tun? War schon mal ein Team im Haus 4, um die sehr alten Menschen aus der höchsten Risikogruppe zu impfen? Zu all dem äußert man sich gegenwärtig nicht, so die Sprecherin der Stadt.

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