Coronamutanten in Deutschland: Rechnung mit vielen Unbekannten

Mutationen des Coronavirus breiten sich auch in Deutschland aus. Wie wird sich das auf die aktuell sinkenden Infektionszahlen auswirken?

In einem Schaufenster stehen Puppen mit Mützen und modischen Mundnasenschutz aus Stoff

Wann darf wieder geöffnet werden? Schaufenster in einem Ladengeschäft in Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Es ist eine schwierige Situation, in der Bund und Länder am Mittwoch über Fortsetzung und Lockerung des Lockdowns entscheiden mussten. Denn einerseits sieht die Entwicklung der Coronazahlen in Deutschland weiterhin sehr gut aus: Im Schnitt wurden beim Robert Koch-Institut in den letzten sieben Tagen nur noch rund 8.300 Neuinfektionen pro Tag gemeldet. Das sind rund 20 Prozent weniger als vor einer Woche – und 68 Prozent weniger als beim bisherigen Höchststand vor Weihnachten. Auch wenn man berücksichtigt, dass zugleich die Zahl der Tests gesunken ist, zeigen die Zahlen, dass das Infektionsgeschehen stark rückläufig ist.

Wenn die Entwicklung so weiterginge wie zuletzt, läge die sogenannte Inzidenz, also die Infektionszahl pro 100.000 Ein­woh­ne­r*in­nen und Woche, bundesweit in etwa eineinhalb Wochen bei 50 und in drei Wochen bei 35, also jenem Wert, bei dem die nächsten Lockerungen im Einzelhandel kommen sollen. Doch dass die Entwicklung so weitergeht wie zuletzt, bezweifeln viele Expert*innen. Denn auch in Deutschland breiten sich die Virus-Mutationen aus, die zunächst in Großbritannien und Südafrika beobachtet wurden und die rund 30 Prozent ansteckender sein sollen als das bisherige Coronavirus.

Neue Zahlen des Robert Koch-Instituts zeigen, wie schnell die Mutationen zunehmen: In der zweiten Woche des Jahres machten sie noch 2 Prozent aller Infektionen aus, in der 4. Woche waren es schon 5 Prozent und in der 5. Woche 12 Prozent; der Großteil davon entfiel auf die britische Mutation. Die Zahlen sind mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, passen aber zu den Werten aus anderen Ländern, in denen sich der Anteil der Mutation jeweils innerhalb von 10 Tagen verdoppelt hat.

Strengerer Lockdown, aber Stoffmasken

Wenn man von dieser Rate ausgeht, dürften es in Deutschland mittlerweile schon rund 20 Prozent sein. Aus diesem Grund sieht Kanzlerin Angela Merkel mögliche Lockerungen auch skeptisch: „Die Mutation wird zunehmen“, sagte sie nach dem Bund-Länder-Gipfel. „Die dritte Welle können wir nur bekämpfen, wenn wir die Inzidenzzahlen runterbekommen.“

Die geltenden Beschränkungen werden bis zum 7. März verlängert. In einer vorangegangenen Beschlussvorlage war noch vom 14. März die Rede. Das scheiterte am Widerstand einiger Ministerpräsident:innen.

Bei Schulen und Kitas dürfen die Bundesländer selbst entscheiden, wann sie diese öffnen. In Berlin, NRW und Hessen soll das schon ab dem 22. Februar geschehen – zumindest teilweise. In Sachsen ist eine Öffnung bereits ab kommendem Montag geplant.

Friseur:innen dürfen ab dem 1. März wieder arbeiten. Für Einzelhandel und Museen gibt es eine Öffnungsperspektive, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Bundesland stabil unter 35 liegt.

Wie sich letztere entwickeln, wenn die Mutation dominiert, ist allerdings unklar. Dass auch die ansteckendere Virus-Variante zurückgedrängt werden kann, ist derzeit in Großbritannien zu sehen. Dort waren die Infektionszahlen ab Mitte Dezember steil angestiegen und hatten Rekordhöhen erreicht. Doch seit Mitte Januar sinken sie fast ebenso steil wieder ab.

Allerdings gibt es dort einen weitaus strengeren Lockdown als in Deutschland. So sind private Treffen mit Menschen außerhalb des eigenen Haushalts bis auf eng umgrenzte Ausnahmen verboten, die Reisebeschränkungen sind schärfer, die Kriterien für Notbetreuung von Kindern strenger und die Strafen bei Regelverstößen höher. Andererseits sind in Großbritannien weiterhin beliebige Masken erlaubt, während in Deutschland in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften inzwischen besser schützende medizinische Masken vorgeschrieben sind.

Wie genau die Mutationen die Infektionszahlen in Deutschland beeinflussen werden, ist darum offen. Eigentlich wäre zu erwarten, dass sich der Rückgang der Neuinfektionen mit zunehmender Ausbreitung der Mutationen zumindest verlangsamt. Eine solche Verlangsamung schien sich vergangene Woche bereits anzudeuten; aktuell fallen die Zahlen mit rund 20 Prozent pro Woche aber wieder so schnell wie Ende Januar.

Zudem gibt es mit den Corona-Impfungen eine Entwicklung, die gegenläufig wirken sollte, indem sie die Infektionsraten reduziert. Zwar schützt die Impfung nicht vor einer ­Infektion, sondern nur vor Erkrankungen an Covid-19, vor allem der schweren Verläufe. Doch das sollte die Ansteckungsgefahr zumindest reduzieren, hoffen Expert*innen. Infizierte ohne Symptome scheiden weniger Viren aus als jene mit ­Symptomen.

Die Frage, wie sich die Infektionszahlen in Deutschland weiter entwickeln werden, ist also eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Während die Kanzlerin eher auf das Prinzip Vorsorge setzen und zunächst auf Lockerungen verzichten wollte, setzen mehrere Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen mit der schrittweisen Öffnung eher auf das Prinzip Hoffnung.

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