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Neue Wege

Forscher entwickeln so viele neue Substanzen gegen Krebs wie nie zuvor. Chancen und Risiken der bedingten Zulassung innovativer Krebstherapien

Ein kleines schwarzes Dreieck im Beipackzettel zeigt es an: Dieses Medikament steht unter zusätzlicher Bewachung und ist nur „bedingt zugelassen“. Es fehlen bisher aussagekräftige Langzeitdaten zur Sicherheit und Wirksamkeit des Medikaments und aus diesem Grund wird es besonders engmaschig kon­trolliert. So heißt es dazu beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: „Die bedingte Zulassung ist an Auflagen geknüpft. Der Zulassungsinhaber muss beispielsweise bestimmte Studien einleiten oder abschließen, um nachzuweisen, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv ist, und um offene Fragen zu Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittels zu beantworten.“

Noch nie haben Forscher so viele neue Substanzen gegen Krebs entwickelt wie in den letzten Jahren. Die Präzisionsonkologie und die Sequenzierung der DNA haben es möglich gemacht, Daten zu generieren und Treibermutationen zu finden, die man vorher nicht kannte. „Der Gesetzesgeber hatte damals die bedingte Zulassung mit einem anderen Fokus geschaffen: Das waren die ‚Orphan Drugs‘, die Medikamente für die seltenen Diagnosen. Und es hat sich dann ausgeweitet durch die parallel entstehende Präzisionsonkologie sowie die Möglichkeit der Sequenzierung der DNA in einer rasanten, effektiven Geschwindigkeit – dem NGS (Next Generation Sequencing). Ohne diese technische Entwicklung wären wir gar nicht an diesem Punkt“, sagt Burkhard Matthes, stellvertretender Leitender Arzt und Oberarzt interdisziplinäre Onkologie des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe in Berlin. „So gibt es jetzt auch mehr Medikamente, die zielgerichtet eingesetzt werden, etwa beim Bronchialkarzinom. Da gibt es fünf spezifische Mutationen und dafür auch fünf Präparate – davon sind drei bedingt zugelassen.“

Bei jedem zweiten Krebsmedikament in Deutschland findet sich das kleine schwarze Dreieck, weil es sich um eine bedingte Zulassung handelt. Wie der Jahresbericht 2019 der für die Medikamenten-Zulassung und -Kontrolle zuständigen Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zeigt, wurden 2019 drei Krebsmedikamente von insgesamt acht Medikamenten bedingt zugelassen und seit 2006 haben 21 von 47 Krebsmedikamenten eine reguläre Zulassung bekommen. Diese reguläre Zulassung benötigt im Schnitt dreieinhalb Jahre weiterer klinischer Studien. Jahre, die für manche Patientin oder manchen Patienten eine sehr lange Zeit sein können. Insbesondere bei schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Erkrankungen kann deshalb eine schnelle Verfügbarkeit und somit die bedingte Zulassung entscheidend sein.

Eine Tablette statt Chemotherapie, das klingt natürlich verlockend. Ob es aber die bessere Krebsbehandlung im Einzelfall ist? Das ist jeweils Abwägungssache, wie viele Möglichkeiten im weiteren Verlauf noch für die Therapie bleiben. Und die Risiken? „Risiko Nummer eins ist, diese zielgerichteten Therapien den Standardtherapien vorzuziehen, obwohl es gar nicht immer gesagt ist, dass die unbedingt zu bevorzugen wären. Risiko Nummer zwei ist, dass der pharmazeutische Unternehmer kaum Daten vorgelegt hat, um eine gewisse Sicherheitskon­trolle zu erfüllen“, sagt Matthes. Diese Sicherheitsfrage bleibt zunächst offen bei den Medikamenten mit bedingter Zulassung. Vor allem die Wechselwirkungen mit anderen Mitteln seien noch viel schwieriger zu durchschauen.

Einmal im Jahr entscheidet die EMA über den Zulassungs-stand der Medikamente. In manchen Fällen kann es sein, dass die Zulassung wieder entzogen wird, weil etwa untragbare Nebenwirkungen auftreten oder sich die Wirksamkeit in weiteren Studien nicht bestätigt. So geschehen 2019 bei dem Krebsmedikament Olaratumab, das die Wachstumssignale in Sarkomen, sehr seltenen Tumoren der Weichteile, hemmen sollte, und das zuvor drei Jahre auf dem Markt war – ohne Wirkung, wie die kontrollierte Studie in Phase III zeigte.

Neben den zugelassenen und bedingt zugelassenen Medikamenten gibt es noch andere Möglichkeiten für Patienten, für ihre spezifische Krebserkrankung neue Medikamente erhalten zu können. Neben der Teilnahme an klinischen Studien sind das zum Beispiel Härtefallprogramme, Off-Label-Use oder Medikamentenimporte aus dem Ausland. Die Herausforderungen für den Arzt in der Praxis sind nicht nur die Aufklärung, die klare Kommunikation und die Entscheidung, welche Therapie jetzt zu diesem Zeitpunkt die beste für den Patienten und den Krankheitsverlauf ist. Sondern auch, am Puls der Zeit zu bleiben, sich mit neu entdeckten Mutationen vertraut zu machen. Annika Hennebach