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: Wie ein Fuchs in der Stadt

Frühmorgens am Platz der Luftbrücke, es ist kalt. Ein leicht Taumelnder kommt um die Ecke. Er grinst, hat wohl eine gute Nacht gehabt und scheint nicht bitter oder traurig zu sein. Er bleibt kurz stehen und streckt sein strahlendes Gesicht der selten anzutreffenden Sonne entgegen.

Vor ein paar Monaten wäre das nicht besonders aufgefallen: ein junger Mensch, der lang gefeiert hat und sich nun den Bürgersteig teilt mit denen, die zu ihren Terminen und Büros marschieren, während er sich auf den Heimweg macht. Im Winterlockdown ist diese Art von Nachtgestalt eine Seltenheit geworden. Wie ein Fuchs in der Stadt. Wo kommt er her? Was war das wohl für eine Nacht? Ist etwas Unvorhergesehenes passiert? Etwas Überraschendes?

Die Sonne ist wieder weg und damit auch die kurze Überraschung. Um die Ecke weht frischer Wind, und es ist grau. Passend hierzu stellt sich einer mit einem Skianzug an den Platz. Er schaut auf die Uhr, es ist ein paar Minuten vor 10, er raucht eine und danach noch eine. Es nervt ihn, zu warten, er tippelt mit seinen Füßen auf den Boden.

Ortswechsel. An der Museumsinsel stehen zwei junge Frauen auf den Stufen des Doms. Die eine macht Fotos von der anderen, aber sie muss es noch mal machen, da die Hose nicht richtig sitzt. Also wird alles fein zurechtgezuppelt. Vor den Stufen liegt rücklings eine tote Taube. Auf der anderen Seite der Straße schimmert die Sonnenröte auf das nigelnagelneue Berliner Schloss. Dort spazieren Menschen an den Gittern vorbei, begutachten die neuen Bänke und lugen in den Innenhof. Da steht er nun, dieser Bau. Hier werden bald – davon kann man ausgehen – viele Reden gehalten, denn: „Das Humboldt Forum ist ein Ort für Kultur und Wissenschaft, für Austausch und Debatten.“ Zwei Frauen halten mit dem Fahrrad vor dem neuen Schlossplatz. „Es ist einfach sehr hässlich, dieses Schloss“, sagt die eine zur anderen. Unweit des zurzeit unbesuchbaren Gebäudes liegt ein Obdachloser zusammengekauert in einer Ecke. Er zieht sich eine dünne Decke über. Alles, was er hat, befindet sich in einem Rollkoffer.

Viele Krähen treffen sich zur Zeit abends sehr gern im Monbijoupark und baumeln auf den Ästen herum. Sie kreischen laut, sobald es dunkel wird, sodass man sich kaum noch unterhalten kann. Mit den Kirchenglocken im Zusammenspiel: Hitchcock. Einer kommt vorbei, er verkauft die Obdachlosenzeitung und sagt, dass Krähen schon von jeher für den Tod stünden. Er aber sei nicht abergläubisch. „Das kriegen wir schon alles hin“, sagt er. Ein anderer schmeißt für die Krähen Brotkrümel auf den Gehweg. Sie begeben sich von den Bäumen hinunter und krächzen vor Glück. Kurze Zeit später kommt uns einer entgegen, der laut in sein Telefon spricht: „Also der Typ nervt wirklich. Der ist einfach null professionell. Null!“ Er zieht in schnellem Tempo weiter, er hat es eilig.

Aufregung vor der Schneiderei, die auch ein Abgabecenter für Hermespakete ist. Seit Corona dreht sich in diesem Laden fast alles um Pakete und weniger ums Hosenkürzen. Zwei Frauen warten vor der Tür, sie wollen Pakete abgeben. Aber die Schneiderin ist nicht da. „Sie ist eigentlich nie da“, sagt die eine. Mit ihren Paketen unterm Arm und ein wenig traurig verschwinden sie in der Dunkelheit.

In der U6 hören die Augen eines Mannes knapp über einer schwarzen Baumwollmaske nicht auf, eine Frau ihm gegenüber anzustarren. Sie steht auf und bewegt sich Richtung Tür. Dann kommt ein Obdachloser zu ihr, sie gibt ihm Geld. Aleksandar Zivanovic