Kritik an Reform des Jagdrechtes: Jagdgesetz unter Beschuss

Nach 45 Jahren will die Bundesregierung zum ersten Mal grundlegend das Jagdrecht reformieren. Laut Kritikern verfehlt sie dabei ihre eigenen Ziele.

Tote Rehe und Schweine aufgereiht am Ende einer Jagd, dahinter die Jäger

Brandenburgische Jäger haben an diesem Morgen in Templin bei ihrer Treibjagd großen Erfolg Foto: Karsten Thielker

BERLIN taz | Muss das neue Jagdgesetz den Wald vor Rehen und Hirschen schützen? Oder eher Wildtiere vor Jäger:innen? Oder Jäge­r:in­nen vor den Interessen der Waldbesitzer:innen? Die Ansprüche an die erste große Novelle des Bundesjagdrechts seit 45 Jahren sind groß und vielfältig, die Kritik am Entwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) entsprechend auch. Am Mittwoch wird er in erster Lesung im Bundestag diskutiert.

Zugrunde gelegt hat das BMEL dem Gesetz das Prinzip „Wald vor Wild“. Der wegen des Klimawandels „notwendige Waldumbau“ solle „möglichst ohne Schutzmaßnahmen durchgeführt werden“, schreibt das Ministerium. Soll heißen: Die Bestände an Schalenwild – also Paarhufern wie Rehen, Rot- und Damhirschen – sollen so weit dezimiert werden, dass junge Bäume auch ohne Schutzzäune oder Plastikhäubchen ungefährdet aufwachsen können.

Dafür sollen sich Jäger und Waldbesitzer künftig darauf einigen, wie viele Tiere mindestens erlegt werden müssen; Obergrenzen sind nicht vorgesehen. Bisher erstellen in den meisten Bundesländern die Behörden Abschusspläne.

Der Gesetzentwurf erlaubt den Jäge­r:in­nen zusätzliche Möglichkeiten, beispielsweise Nachtsichtgeräte einzusetzen, um auch im Dunkeln jagen zu können. Des Weiteren sieht er vor, die seit Langem umstrittene Bleimunition „zu minimieren“ und die Ausbildung der Jäge­r:in­nen zu reformieren.

Der Klimawandel verschärft das Problem

Wolfgang Kornder, 1. Vorsitzender des Ökologischen Jagdverbandes Bayern, hält die Gesetzesnovelle für vollkommen unzureichend. „Sie wird der Tatsache nicht gerecht, dass wir gerade ein Waldsterben 2.0 erleben“, sagt Kornder, „und dass der Klimawandel manche Tierarten massiv begünstigt, den Wald aber ebenso massiv schädigt“.

Harte Winter, die Rehe und Hirsche früher dezimiert hätten, blieben aus; Wildschweine fänden auf den Mais- und Gerstenfeldern der industriellen Landwirtschaft ein überreiches Futterangebot.

Rund 300.000 Hektar Forstflächen sind in den vergangenen drei Trockenjahren verloren gegangen. Sie müssen entweder neu mit Setzlingen bepflanzt oder der Naturverjüngung überlassen werden. In diesem Fall warten die Waldbesitzer darauf, dass sich neuer, an den Standort angepasster Wald auf den kahlen Flächen ansiedelt.

Beide Methoden, anpflanzen oder sprießen lassen, leiden stark unter dem Verbiss durch Wild. Weil Reh, Hirsch oder Damwild gern junge, saftige Triebe fressen, kann kein neuer Wald entstehen. Angeknabberte Bäumchen gehen entweder ein oder entwickeln sich zu Büschen.

Wie viel Reh- und Rotwild durch deutsche Forste und Felder streifen, lässt sich nur anhand der von den Jägern gemeldeten Strecke, also der Zahl der geschossenen Tiere, abschätzen. Systematisch zählen lassen sich die Versteckkünstler kaum.

Laut dem Deutschen Jagdverband sind im Jagdjahr 2019/2020 rund 77.000 Hirsche, 880.000 Wildschweine und 1,2 Millionen Rehe erlegt worden, deutlich mehr als zehn Jahre zuvor.

Der Biologe Oliver Krone vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin geht davon aus, dass in Deutschland jährlich maximal die Hälfte des Bestands dieser Arten geschossen wird. Demnach gibt es in Deutschland mehr als 2,5 Millionen Rehe und 160.000 Hirsche. Wolfgang Kornder vom Ökologischen Jagdverband hält diese Zahlen für zu niedrig und geht von deutlich mehr Tieren aus.

„Auf jeden Fall sind es viel zu viele“, sagt Martin Häusling, Europa-Abgeordneter der Grünen und Biobauer in Nordhessen. Daran werde auch das neue Jagdgesetz nichts ändern, denn die vorgeschlagene Methode – die Einigung von Jäge­r:in­nen und Wald­be­sit­ze­r:in­nen – sei unzureichend.

Wildbestände künstlich hochgehalten

„Wenn diese beiden Interessengruppen verhandeln, werden die Waldbesitzer regelmäßig über den Tisch gezogen“, sagt Häusling. Schließlich seien die Einnahmen aus der Jagdpacht in Zeiten fallender Holzpreise häufig existenziell wichtig für die Waldbesitzer.

Häusling, dessen Biohof am Rande des nordhessischen Kellerwaldes liegt, kennt das aus eigener Erfahrung. Seit Jahren führt er einen Kleinkrieg mit dem örtlichen Jagdpächter.

Damit dieser Hirsche mit prächtigen Geweihen erlegen könne, erhalte er künstlich einen viel zu hohen Bestand an Rotwild in seinem Revier. Dieses schäle tagsüber die jungen Buchen des Kellerwaldes – und fresse nachts die Felder kahl, auf denen Häusling Futterpflanzen wie Luzerne anbaut. Der Jagdpächter bestreitet die Vorwürfe.

Dieser Konflikt ist vielerorts typisch für das Verhältnis der Jägerschaft mit Landwirten und Waldbesitzern. Entsprechend unzufrieden sind deren Wirtschaftsverbände mit dem neuen Jagdrecht. Der „vorliegende Referentenentwurf zur Novelle des BJG bleibt deutlich hinter dem Anspruch, klimaresiliente Mischwälder aufzubauen, zurück“, teilte etwa die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände mit.

Die Lösung sehen die Kritiker in „Vegetations-“ oder „Verbiss-Gutachten“. Fachleute wie Förster untersuchen darin den Zustand der Forste und legen auf Basis der gesammelten Erkenntnisse fest, wie hoch der Abschuss an Schalentieren darin sein soll.

In Bayern werde dies schon seit 1986 sehr erfolgreich von den staatlichen Förstern durchgeführt, sagt Kornder vom Ökologischen Jagdverband Bayern. Dies sei auch bundesweit ein guter Weg, meint Jörg Müller, Vorsitzender der Bundesvertretung Forstwirtschaft in der IG Bau. Allerdings gebe es dafür viel zu wenig Personal in den Forstverwaltungen.

Schutz für Tiere oder Jäger?

Derzeit fehlten zirka 11.000 Stellen im Forstbereich. „Hier sind Bund und Länder zukünftig deutlich stärker gefordert“, meint Müller. Dem Europapolitiker Häusling schwebt deshalb vor, dass die Jagdpächter die Verbissgutachten zahlen, „das sind schließlich keine armen Leute“.

Die Juristin Christina Patt empört diese Debatte. Sie hält das Prinzip „Wald vor Wild“ für verfassungswidrig und fordert eine tierschutzgerechte Bejagung von Reh und Hirsch – also etwa deutlich kürzere Jagdzeiten. „Das Tierschutzrecht hat sich in den vergangenen 40 Jahren ganz grundlegend weiterentwickelt“, sagt das Vorstandsmitglied der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT).

Die Organisation ist eine von 28 Tierschutzorganisationen, die das neue Bundesjagdrecht in einer gemeinsamen Stellungnahme gänzlich ablehnen. Wirbeltiere dürften nur wegen eines „vernünftigen Grundes“ getötet werden, und Tierschutz ist Staatsziel.

Das Jagdrecht aber habe diese Entwicklung nicht mitvollzogen. „Es gibt nur wenige vernünftige Gründe, Rehe oder Hirsche zu schießen“, sagt Patt, „zum Beispiel, wenn sie der Ernährung dienen“. Bestände regulieren könne man durch die Jagd sowieso nicht. Schließlich gebe es in Deutschland ein ausgedehntes Jagdrecht, sagt Patt, „und trotzdem gibt es erhöhte Bestände“. Nicht die Zahl der Tiere sei ausschlaggebend für den Zustand des Waldes.

Die Juristin geht davon aus, dass sie sich deshalb vermehrt in den Wald zurückziehen und dort Schaden anrichten, weil sie sich aufgrund des hohen Jagddrucks, aber auch durch die vielen Spaziergänger und Radfahrer in der Natur bedroht fühlen. „Werden sie weniger gestört und wird ihr natürlicher Lebensrhythmus beachtet, haben sie auch nicht einen so hohen Nahrungsbedarf“, sagt Patt.

Untersuchungen des IZW zeigen tatsächlich, dass Wildtiere Jagdzeiten und Schonfristen registrieren. Während der Jagdzeiten erhöhen sie etwa ihre Fluchtdistanz und verstecken sich im Wald.

Trotzdem hält Wildtiermediziner Krone eine verstärkte Jagd auf Rotwild und Rehe für unabdingbar. „Wir leben in einer vom Menschen geschaffenen Kulturlandschaft“, sagt Krone, „in der wir zwischen den gesellschaftlichen Interessen der Land- und Forstwirtschaft und dem Tierschutz abwägen müssen.“

Allerdings: Auch für die Jagdbefürworter Kornder, Häusling und Krone spielt der Tierschutz eine zu geringe Rolle im Gesetzentwurf des BMEL, die Handschrift des Deutschen Jagdverbands sei allzu deutlich lesbar: So sei die Zahl von rund 100 jagdbaren Arten, denen Jäge­r:in­nen hierzulande nachstellen dürfen, viel zu hoch.

Die Bestände von Raubtieren wie Füchsen oder Greifvögeln werden durch die Zahl der Beutetiere reguliert – hier ist Jagd nicht nötig. Krone sieht höchstens 25 Tiere auf der Liste der jagdbaren Tiere, Umweltverbände wie der Nabu gar nur 12.

Mit dem Ziel, die „Bleimunition zu vermindern“, springe die Bundesregierung zu kurz. Sie müsse, fordert Martin Häusling, in einem „Diskussionspapier zur Jagdrechtsreform, „in allen Jagdarten verboten werden“.

Bleivergiftungen durch verseuchtes Aas sei nicht nur die häufigste Todesursache für Seeadler, sondern auch für Menschen, die häufig Wildfleisch essen. Der Jagdverband begründet seine Ablehnung eines Verbots bleihaltiger Munition mit dem Tierschutz durch deren erhöhte Tötungswirkung.

Einen schnellen, schmerzlosen Tod garantiere vielmehr eine bessere Aus- und Fortbildung der Jäger, sagt Ökojäger Kornder. Bislang sehe die Gesetzesnovelle lediglich vor, dass Jäge­r:in­nen ihre Fertigkeiten mit der Waffe durch das Üben auf Schießständen belegen. Notwendig seien aber auch Nachweise über regelmäßige erfolgreiche Schießübungen. Auch hier dient der Gesetzentwurf den Interessen der konventionellen Jägerschaft.

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