Soldat gegen Deutschland

Werner Pormrehn ging zur Bundeswehr, um antimilitaristisch zu wirken

Von Werner Pomrehn

Im Februar oder März im Jahre 1976 lag der Einberufungsbescheid im Briefkasten. Zwei Wochen später sollte ich mich zum Grundwehrdienst in einer 129 km entfernten Kaserne der Bundeswehr einfinden. Nun ja. Ich hatte in den Jahren zuvor entschieden, wenn das kommt, dann geh ich wohl hin. Soldat, um unter Soldaten antimilitaristisch zu wirken, das war der Gedanke.

Die andere Seite hatte andere Gedanken: Die Einberufung war Ergebnis einer Initiative meines Arbeitgebers, welchem das politische und gewerkschaftliche Engagement erheblich auf den Zeiger gegangen war.

Die ersten Wochen waren eine bis dahin unbekannte Hölle. Ich war vorbereitet, hatte etliche Bücher zu dem Thema gelesen. Auch einiges zur Geschichte der deutschen Weltkriege und Karl Liebknecht, der selber in den Kriegsdienst gezwungen war, mit seinem Werk „Militarismus und Antimilitarismus“ studiert. Kein Buch aus diesen Lektüren hatte das reale Ausmaß dessen beschreiben können, was nun mit mir geschah.

Das ganze Programm der Erniedrigung, der Entwürdigung, des Gehorsamstrainings brach über mich und bis zu 100 weitere, jetzt Uniformierte herein. „Nicht verzweifeln“ stellte sich als erste Bewältigungsaufgabe. Solidarität im Austausch mit den anderen. Und versuchen zu widersprechen.

Erste Versuche, gemeinsame Organisierung zu erwirken … Lange Gespräche mit einem, dem die Verweigerung verweigert worden war. Gespräche, die halfen: Nach einigen Wochen konnte er doch noch gehen. Einen Genossen aus einer anderen Stadt in einer Nachbarkompanie getroffen. Da hatte ich schon meinen Leitsatz für diese Zeit im staatsbürgerlichen Unterricht einmal laut und deutlich ausgesprochen: „Wenn Deutschland Krieg führt, kämpft meine Kompanie auf Seiten der Roten Armee.“ Haben sie nicht ernst genommen … Jeden Abend erst einschlafen können, wenn klar war, dass der nächste Tag eine neue Aktion beinhalten sollte und welche.

Nach zwei Wochen durften wir das erste Mal raus. Ich fuhr in meine Politgruppe und konnte erst gar nicht sprechen. Mir kamen nur einzelne, kaum zusammenhängende Sätze. Haben trotzdem geschafft, mich zu stärken. Unvergessenes „Jetzt wieder hinter der Mauer“. Von den anderen hören, wie sie die 30 Stunden Freiheit verbracht hatten. Schon auch vergleichbar, aber irgendwie auch nicht. Mochten sich, die meisten, eher dran gewöhnen lassen.

Es gab einen, den hatten sie dazu bekommen mit dem Versprechen, Pilot zu werden, sich für vier Jahre zu verpflichten. Nach wenigen Tagen bekam der die Information, dass aus dem Fliegen nichts wird. Er blieb trotzdem, unterstützte mich aber vehement bei der ersten großen Politaktion: eine Unterschriftensammlung an den Wehrbeauftragten mit fast allen aus der Ausbildungskompanie.

Noch davor (Soldatengesetz immer in der Beintasche dabei) die erste schriftliche Beschwerde beim Kompaniechef aus Anlass der entwürdigenden Behandlungen. Zum Vortreten vor die gesamte Kompanie befohlen, um die Antwort einschließlich der Belehrung zu erhalten – korrekter Formalton. Der Hinweis auf Folgen im Subtext deutlich mitschwingend. Anschließend auf die Stuben, ängstlich erwartend, diese angekündigten Folgen könnten entsolidarisierend gewirkt haben.

Das Gegenteil trat ein: Wir wurden noch während der Pause zusammengerufen zum verschärften Marschieren. Stundenlanges Exerzieren unter Schreien, Beschimpfungen. Aber es war spürbar: Wir hatten was verändert, wir hatten was gezeigt.

Nach drei Monaten Wechsel in eine sogenannte Stammkompanie. Dort mit neuen Menschen alles wieder von vorne, 16½ Monate lang. Dann war‘s innerhalb von drei Stunden vorbei. 18 Monate waren Pflicht. Es fehlten 46 Tage: Eine vorzeitige Entlassung wegen Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland. Androhung von Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Einsatz von Feldjägern, sollte ich mich weigern, das Kasernengelände zu verlassen.

Komisches Gefühl – hatte die letzten Wochen eigentlich jeden Tag feiern wollen in der erreichten erkämpften Widerstandssolidarität. Paar mal noch getroffen und Großartiges gehört, wie sie ohne mich weitergemacht haben. Sie haben weitergemacht!

Werner Pomrehn, 65, Fernmeldehandwerker und Sozialökonom, arbeitet seit 20 Jahren beim Freien Radio FSK in der Roten Flora.