Moderator Proper

BEGEGNUNG Kai Pflaume ist ein Meister der lückenlosen Selbstinszenierung

Die Falten in seinem Gesicht sind nicht zu tief, und sie sind richtig. Kein Zeichen für Alter oder Niedergang

VON THOMAS FEIX

Das Adlon als Treff ist seine Idee gewesen. Ist er in Berlin, sagt er, ist für ihn immer im Adlon gebucht, die Lobby des Hotels am Brandenburger Tor bot sich deswegen für die Zusammenkunft an. Zum Spiel des Pianisten auf dem Podest und zur Konversation des Spätnachmittags in weiteren Sofa- und Sesselgruppen ringsum gibt es Milchkaffee, helle und dunkle Plätzchen und das Empfinden, Teil einer erlesenen Gesellschaft zu sein. Wir hier unter uns und alle anderen jenseits davon.

Vergnügt und offen zeigt er sich, wie er da auf beigefarbenem Sofa in der Lobby des Hotels sitzt. Nicht eine Art von journalistischer Neugier, die dazu imstande wäre, ihn in Verlegenheit zu bringen. Ausgeschlossen ebenfalls, vielleicht eine Frage an ihn zu haben, die ihn auch nur einen Augenblick lang mit der Antwort zögern ließe.

Gastgeber will Kai Pflaume sein. Er sagt, dass er sich dem Fernsehen verpflichtet fühlt, wie es früher einmal war, als sich das Publikum zur großen Unterhaltung in Eintracht vor dem Bildschirm versammelt hatte. Früher, bevor die Privaten kamen. Als ob sie bei ihm zu Hause eingeladen wären, so sollen sich die Vereinzelten da draußen an den Fernsehgeräten begreifen. Als zur Gemeinschaft wiedervereint, sobald sie die Sendungen eingeschaltet haben, in denen er Moderator ist. Gastgeber, Pflaume lässt das Wort gleich als Erstes fallen. Es ist das Wort, das er stets dann gebraucht, wird er im Interview danach gefragt, wie er selbst seine Aufgabe als Unterhalter versteht. Authentizität ist das nächste Schlagwort, und er ist sich dessen gewiss, dass es ebenso wie das vom Gastgeber den Kern seiner Wirkung auf die Öffentlichkeit trifft.

Er glaubt daran, aufrichtig, und überzeugend zu sein, und er glaubt außerdem daran, dass Zuschauer und Kandidaten seiner Shows es auch glauben. Beweisen kann er es nicht, muss er auch nicht. Fünf Sendeformate insgesamt hat er im Moment bei ARD und NDR, „Star-Quiz“, „Klein gegen Groß“, „Drei bei Kai“, „Der klügste Deutsche“, „Dalli Dalli“ – die neue Staffel startet am heutigen Samstag im NDR – und er war und ist Reklamefigur. Er wirbt für elektrische Zahnbürsten, er hat für Beuteltee geworben, für Tiefkühltorten und für Pflaumenschnaps. Er hat für noch einiges mehr geworben, und 18 Jahre lang hat er bei Sat.1 in „Nur die Liebe zählt“ die Macht der Hingabe gepriesen.

„Schleiflackoptik“, unter anderem, ist an seinem Äußeren festgestellt worden. Auch „professionell-schüchterne Präsenz“, was zusammengenommen Pflaume nach Urteil aller, die über ihn geschrieben haben, zum „Softie“, zum „massenkompatiblen Frauenversteher“ und daher zum „Schwiegermutterliebling“ und zum „Schmusemoderator“ macht.

Er sieht tatsächlich blendend aus und schüchtern irgendwie auch. Schüchtern vielleicht im Bestreben, möglichen Argwohn und Vorbehalt von vornherein zu entkräften. Er hat ein geringeltes, dezent blaurotes Poloshirt und einen dunkelblauen Cardigan an, blaue Jeans dazu und weiße Sneakers. Shirt, Cardigan und Jeans liegen eng an, sie zeichnen die Linien seines Körpers nach. Im Grunde trägt Pflaume die Sachen so, als hätte er einen von seinen Anzügen aus den Shows an, hineinschlüpfen für die Darbietung und anschließend wieder hinaus. Knitterfaltenfrei, akkurat, frisch, sauber und rein, wie noch nie benutzt, wie vor dem Auftritt aus der Werbelieferung der Bekleidungsfirmen ausgepackt, und vielleicht wird das alles auch nur dieses eine Mal von ihm getragen worden sein.

Sein Dasein: heiter

Pflaume, ein Mann mit der Erfahrung von 44 Lebensjahren, wirkt darin unbefangen, wolkenlos und sorgenfrei. Nicht ein Zweifel, der ihn befallen, nicht ein Gedanke, der ihn je hätte zaudern oder zagen lassen. Als wäre sein Dasein ein fortwährend heiterer Zustand, als wäre er Kümmernissen nie begegnet. Und passend dazu sagt er, dass er sich bisher im Leben immer alles habe aussuchen können, beruflich gesehen. Beruflich gesehen hätte es für ihn wohl kaum besser laufen können, großartig, und genau das ist das Bild, das er von sich selbst entwirft, großartig. Da ist jemand, ist dem Bild zu entnehmen, dem immer alles gelingt; außer Beruflichem vornehmlich das eigene Auftreten.

Ohne Charme, ohne das Talent, Menschen für sich oder für etwas einzunehmen, ist es auch bestimmt nicht an die Spitze der deutschen Fernsehunterhaltung zu schaffen; vom anfänglichen Karaokeansagen in Frankfurter Nachtclubs als Freizeittätigkeit und Verteilen von Zigarettenprobierpackungen in Fußgängerpassagen, über das Mitwirken bei der ARD-Datingshow „Herzblatt“ und auch bei zahlreichen Castingshows.

Charme, sagt Pflaume dazu, das ist für ihn kein Irreführen oder Täuschen. Charme bedeutet für ihn, echt und ehrlich zu sein, authentisch also. Echt und ehrlich, das weckt Widerspruch, weckt den Wunsch danach, erneut mit dem Blick das Phänomen abzutasten, das Kai Pflaume heißt und das ganz nah ist, nicht viel weiter als dreißig Zentimeter weg. Die Falten in seinem Gesicht sind nicht zu tief, und sie sind richtig. Jede von ihnen ist Pflaume dabei behilflich, das Markante der Züge zur Geltung zu bringen und nicht Alter oder sonstigen Niedergang, und neigt er beim Sprechen und Zuhören dann auch noch mit zutraulicher Miene den Kopf dem Gesprächspartner entgegen, ist die Skizze von Anmut und Harmonie endgültig fertig.

Die Fingerkuppe fehlt

Zu untadelig, zu fehlerlos, zu steril auch ist das Ergebnis der Gesamtschau. Gerade will der Verdacht entstehen, dass da ein Abziehbild des Kai Pflaume aus dem Fernsehen sitzt, das sich mittels Leiblichkeit, Sprache, Mimik und Gestik tarnt, als er, wie um zu offenbaren, dass er der wahre Pflaume ist, den Zeigefinger der rechten Hand zeigt. Die Kuppe fehlt, beim Toben abgeklemmt zwischen Tür und Rahmen, als er, Pflaume, Kleinkind im Alter von zwei Jahren war.

Wie er als Fernsehmoderator so erfolgreich geworden, wie er über die Jahre hinweg oben geblieben ist, kann sich Pflaume selbst nicht erklären. Es ist eine Frage, sagt er, die ihm immer gestellt wird, eine Frage, die er nicht leicht oder eher gar nicht beantworten kann. Zuhören, sagt er dann jedoch sofort, die Fähigkeit zuzuhören und die Kunst, spontan auf Menschen und auf Situationen zu reagieren, das ist es, so denkt er, was er gut kann und was ihn erfolgreich und beständig auf der Fernsehunterhaltungsbühne sein lässt.

Vor allem aber habe er einfach immer riesengroßen Spaß an dem, was er im Fernsehen macht, und den meisten Spaß habe er nun einmal mit Unterhaltung für die Familie, sagt er. Deshalb ist er auch im vergangenen Jahr von Sat.1 zur ARD gewechselt. Die ARD, sagt er, ermögliche ihm ohne Einschränkung das, was er sich vorstellt, Entspannung und Zerstreuung am Abend für jedes Mitglied der Familie. Es ist das, was Sat.1 ihm zuletzt nicht mehr garantieren konnte oder wollte. Garantien bekommt er bei der ARD. „Kompetent, glaubwürdig und sympathisch“ wird er vom Sender genannt.

Die eigene Familie schirmt Pflaume gegen jede Nachstellung durch Journalisten ab. Dass sie sich außerhalb des Zuhauses normal und ungestört bewegen kann, ist ihm wichtiger, als dass sie und er zusammen vielleicht Gegenstand der Berichterstattung wären. Und als hätte er nun zusätzlich zu bekunden, dass ihm die Familie auch abseits seines öffentlichen Wirkens keineswegs gleichgültig sind, erzählt er von Costa Rica als einem mustergültigen Land für Familien- und Naturerlebnisreisen. Von einem Strand dort als Eiablageplatz verschiedener Schildkrötenarten erzählt er. Deren Junge seien dabei zu beobachten, wie sie nach dem Schlüpfen dem Meer zustrebten, was insbesondere für Kinder außerordentlich lehrreich sei.

Pflaume erzählt mit Ernsthaftigkeit und Nachdruck davon, vielleicht auch mit Leidenschaft. Er nimmt sich Zeit dafür, die Szenerie auszumalen, und danach empfiehlt er mit Schwung und Eifer einen Familienurlaub am Schildkrötenstrand. Es ist das Gesprächsfinale.

Er reicht die Hand, er hat am Abend weitere Termine, sagt er, und verlässt die Lobby in Richtung Treppenaufgang. Jetzt, da er fort ist, ist der Gedanke daran da, dass er es mit dem Bild richtig macht, das er von sich entworfen hat.

Wozu sollte er mitteilen, wie es irgend anderweitig mit ihm, wie es vielleicht sogar mit seinem Inneren steht. Es wäre etwas, das niemand von ihm als Fernsehgastgeber Kai Pflaume verlangen oder erwarten würde.

■ Die neuen Folgen von „Dalli Dalli“ laufen ab Samstag, 20.15 Uhr, im NDR