Ratgeber fürs Segeln: Das Herz schlägt backbord

Die Vendée Globe hat Segeln auch in Deutschland populärer gemacht. Aber was machen die da eigentlich? taz-Redakteur Sven Hansen klärt ein paar grundsätzliche Fragen.

Ein Mann mit rotem Ganzkörperanzug steht auf der Spitze eines Segelschiffes in einem Hafen

Der trägt ja gar kein Ringelshirt! Boris Herrmann bei der Zielankunft in Les Sables-d'Olonne Foto: Sebastien Salom-Gomis/afp/dpa

Eine konsequentere Art der Corona-Isolation kann es kaum geben: alleine um die Welt segeln, ohne Pause, ohne Landgang. Genau das taten die 33 Teil­neh­me­r:in­nen der Regatta Vendée Globe. Mitte der Woche erreichten die ersten von ihnen nach 80 Tagen den französischen Zielort Les Sables-d’Olonne, unter ihnen der erste Deutsche, der jemals bei dieser Regatta gestartet ist: Boris Herrmann (er segelte im August 2019 Greta Thunberg über den Atlantik) belegte nach einem dramatischen Finish den fünften Platz.

Rund um die Regatta ist deswegen hierzulande ein kleiner Segelhype entstanden, bei dem wir salzwasserscheuen Landratten von der taz am Wochenende auch gern mitschippern möchten. Also haben wir Sven Hansen, den größten Segel­experten der Redaktion, gebeten, mal ein paar grundsätzliche Fragen zu klären.

taz am Wochenende: Sven, ist „Mast- und Schotbruch!“ ein angemessener Gruß, oder macht man sich da lächerlich?

Sven Hansen: Das ist das „Hals- und Beinbruch!“ des Segelns. Ohne Mast und Schot fährt kein Segelboot. Ansonsten wünscht man sich noch „immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel“. Ohne das geht es auch nicht.

Was aber, wenn der Mast wirklich bricht?

Dann bekommt ihn hoffentlich niemand auf den Kopf. Auf hoher See muss man sich aus den Resten dann einen Notmast bauen. Meist gibt es zur Not noch einen Motor und hoffentlich eine gute Versicherung.

Und wenn der Schot bricht? (Was ist das überhaupt?)

Die (!) Schot ist die Leine, mit denen der Winkel des Segels zum Wind eingestellt wird, quasi das Gaspedal. Die Leine zum Hochziehen der Segel ist das Fall. Und die zum flacher oder bauchiger Einstellen des Segels heißen Strecker. Total logisch – wenn man es weiß.

Warum braucht man so viele Knoten und warum sind die so kompliziert?

Segel werden mit Leinen bedient und diese mit Knoten befestigt. Seemannsknoten sollen halten, sich aber gleichzeitig auch unter Belastung öffnen lassen – ein einfacher Knoten kann das nicht. Mehr als die sieben Grundknoten muss man aber gar nicht kennen, ich kann sogar nur sechs, weil ich den siebten (Stopperstek) eigentlich nie brauche. Zusätzlich misst man in „Knoten“ die Geschwindigkeit von Schiffen. Ein Knoten entspricht einer Seemeile, also 1852 Meter, pro Stunde.

Wer steuert das Boot, wenn man schlafen muss?

Die Nachtwache. Oder der Autopilot – dann müssen aber regelmäßig Kurs, Verkehr und Segel überprüft werden.

Wie ist die Toilettensituation auf hoher See?

Ich bin mit einem Eimer groß geworden. Später kamen Klos mit Ventil und Pumpe. Heute gibt es Chemietoiletten. Das Problem ist aber eher, rechtzeitig aus der wasserfesten Kleidung rauszukommen – und dass Männer beim Pinkeln nicht über Bord fallen. Jollen, also kleine offene Segelboote, haben gar kein Klo. Jollensegler tragen Neopren- oder Trockenanzüge, die sie während der Fahrt in größter Not einsauen müssen.

Gibt es auch Segler, die seekrank werden?

Die meisten werden mal seekrank, lernen aber auch, es zu vermeiden.

Ist Segeln elitär?

Ein Boot ist teurer als ein Fußball, und zweifelsohne gibt es elitäre Segler. Man kann ein Boot aber auch mit mehreren teilen, in Vereinen günstig leihen, bei Freunden mitsegeln oder sich gleich eins selbst bauen. An vielen Küsten ist das Segeln Teil der Kultur, sodass dort nicht nur Zahnärzte und Steuerberater segeln, sondern auch Handwerkerinnen und Busfahrer. Bisher segeln aber kaum Migranten, und außer im Jugendbereich ist es noch viel zu männerdominiert.

Warum segeln so viele Franzosen?

Frankreich hat lange Küsten, Segeln ist dort Nationalsport und die Vendée Globe ist das drittgrößte nationale Sportereignis, quasi die Tour de France des Wassers. Auch im Inselstaat Neuseeland ist Segeln Nationalsport, bedeutsam ist es außerdem in England, Australien und Dänemark.

Müssen Segler Ringelshirts tragen?

Das kommt wie die Matrosenanzüge aus der Marine und ist ein Klischee. Heute wird meist Funktionskleidung getragen.

Warum haben es Seglerschuhe ins normale Stadtbild geschafft?

Sie sind praktisch und strahlen Lässigkeit und Eleganz gleichermaßen aus. Außerdem kann man bequem rein- und rausschlüpfen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Warum trinken Seg­le­r so gerne Rum?

Rum ist ein Nebenprodukt der Zuckerproduktion und wurde früher auf Segelschiffen aus der Karibik nach Europa gebracht. Heute wird eher Bier getrunken, bei Regatten gibt es das „Stegbier“ nach dem Einlaufen in den Hafen. Manche trinken vor dem Start auch einen Schluck Sherry.

Ist Backbordextremismus eigentlich genauso schlimm wie Steuerbord­extremismus?

Beim Segeln hat Backbordbug Vorfahrt von Steuerbordbug. Da im Straßenverkehr aber das allen bekannte „rechts vor links“ gilt, wurde beim Segeln vor einigen Jahren die Sprachregelung geändert, nicht die Regel selbst. Jetzt heißt es Steuerbordschlag vor Backbordschlag. Backbordbug heißt, die Segel stehen auf der linken (Backbord) Seite, Steuerbordschlag meint, der Wind kommt von rechts (Steuerbord). Damit sind Backbordbug und Steuerbordschlag identisch, denn wenn der Wind von rechts kommt, weht er die Segel nach links. Ich bin mit der alten Sprachregelung aufgewachsen und mein Herz schlägt schon immer Backbord.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.