Essays über die USA: Die Abgründe Amerikas

Der New Yorker Essayist Eliot Weinberger hat mit stoischer Sachlichkeit den Irrwitz der republikanischen Politikerkaste dokumentiert.

Ein USA-Flagge liegt geknickt auf dem Boden

Eine Flagge, geteiltes Land Foto: Rod Lamkey/Imago

Der New Yorker Eliot Weinberger ist im Hauptberuf Übersetzer aus dem Chinesischen und Spanischen, vor allem aber ein universell interessierter Essayist. Anders als beim konventionellen Essay mit meinungsstarker Ich-Persona lässt er sein Ego weitgehend aus dem Spiel und lässt stattdessen das Material sprechen. Er schreibt über den Nacktmull, über die kulturhistorisch diversen Bedeutungen des Wortes „blau“, über den Zombiemythos als zentralen Bestandteil der Weltreligionen oder über die Menschen, die Chang heißen.

„Serielle Essays“ nennt er diese grundgelehrten Collagen, die aus der Kombination und dem artifiziellen Arrangement entlegener Lektürefrüchte und Wissensfunde poetische Funken schlagen. Sein politischer wie ästhetischer Kosmopolitismus ist sicher die Ursache dafür, dass er außerhalb der USA mindestens genauso viele Leser findet, nicht wenige davon in Deutschland.

Als intellektueller Weltbürger wählt er naturgemäß die Demokraten. Entsprechend glaubt er in der Amtszeit Clintons und Obamas getrost seinen literarischen Studien nachgehen zu dürfen. Wenn er sich da mal nicht getäuscht hat! Republikanische Präsidenten hingegen treiben ihn regelmäßig in die Niederungen der Tagespolitik. Das zeigen seine politischen Schriften, die jetzt erstmals in einer schönen Auswahl auf Deutsch vorliegen. Auch hier macht er seine Collagemethode fruchtbar, und sie erweist sich auf diesem Feld als genauso effizient.

Weinbergers Texte sind im Kern Polemiken, die allerdings ganz ohne stilistische Outriertheiten auskommen, sondern sich deshalb so vernichtend lesen, weil er mit stoischer Sachlichkeit den ideologischen Irrwitz der republikanischen Politikerkaste, ihre dubiosen Machenschaften und nicht zuletzt ihr groteskes Gerede auf den Tisch bringt. Weinberger muss das kaum kommentieren, in der Regel entlarvt sich ihre Verlogenheit, machtpolitische Skrupellosigkeit und Inhumanität von ganz allein.

Scharfsinnige Abrechnung

Wie in seinem berühmten Prosagedicht „Was ich hörte vom Irak“, dieser bitteren, scharfsinnigen Abrechnung mit George W. Bush und seinem Krieg gegen den Irak. „Ich hörte, Fotografien von den fahnengeschmückten Särgen, die zurückkehrten, seien verboten. Ich hörte, das Pentagon habe,body bags' [Leichensäcke] in,transfer tubes' [Überführungsröhren] umbenannt […]Ich hörte die Mutter des Präsidenten ­sagen:,Warum sollen wir von Leichensäcken und Todesopfern hören? Warum soll ich meinen schönen Verstand an so etwas verschwenden?' “

Weinberger wird Karl Kraus nicht gelesen haben, aber wie Kraus vor 1914 in der „Fackel“ die deutsch-österreichischen Kriegstreiber bloßstellt, indem er ihren hurrapa­trio­tischen, sich am eigenen Pathos berauschenden Phrasendrusch kompiliert, so spießt Weinberger ein Jahrhundert später auf der anderen Seite des Atlantiks die Verlautbarungen des republikanischen Lagers auf. Vor allem in seinen neueren Texten zur Administration Trump hangelt er sich an dem täglichen Irrsinn entlang, den der Präsident bei seinen öffentlichen Auftritten oder Nacht für Nacht via Twitter raushaute.

So entsteht eine Chronique scandaleuse, die das Desaster in allen Details mitschreibt, in der Außen-, Asyl-, Bildungs- und Sozialpolitik, beim Umweltschutz und zuletzt eben auch im Umgang mit der Coronakrise. „Derjenige aus dem riesigen Beamtenapparat des Gesundheitsministeriums, der die Pandemiebekämpfung in dessen zahlreichen Behörden überwacht, war zuletzt als Züchter australischer Labradoodles tätig.“

Eliot Weinberger: „Neulich in Amerika“. Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender, Eike Schönfeld und Peter Torberg. Berenberg, Berlin 2020, 269 Seiten, 16 Euro

Je näher Weinberger der Gegenwart kommt, umso schwerer zu ertragen ist diese Akkumulation der Idiotie. Das liegt nicht zuletzt daran, dass angesichts ihres Ausmaßes selbst dieser gewiefte Collageur irgendwann das Maß verliert. Es wird einem nicht nur angst und bange, es ist schlicht frustrierend, weil man bei aller stilistischen Brillanz und intellektuellen Überlegenheit eine Ahnung von der ­absoluten Wirkungslosigkeit solcher Literatur bekommt. Das war schon bei Karl Kraus so.

Weinberger weiß das auch. Er schreibt für seine New Yorker Eggheads und die Zeit danach. Wer später mal wissen will, wie hilflos sich die US-Intelligenzija in der Ära des bösen Clowns gefühlt hat, muss dieses Buch lesen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.