Weibliche Doppelspitze in Estland: Die erste Ministerpräsidentin

Kaja Kallas wird am Dienstag im estnischen Tallinn als neue Ministerpräsidentin vereidigt. Mit der Juristin stehen zwei Frauen an der Spitze des Staates.

Portrait von Kaja Kallas

Kaja Kallas, die neue estnische Regierungschefin Foto: Ints Kalnins/reuters

STOCKHOLM taz | Ein Stück Geschichte wird in Estland geschrieben. Wenn Kaja Kallas und ihr Kabinett am Dienstag im Parlament in Tallinn vereidigt sind, wird sie die erste Ministerpräsidentin des Landes sein. Zusammen mit der schon seit 2016 amtierenden ersten Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid wird Estland dann eine weibliche Doppelspitze haben.

Kallas brauchte dafür allerdings einen zweiten Anlauf. Obwohl sie mit ihrer rechtsliberalen Reformpartei, deren Vorsitzende sie seit 2018 ist, die Parlamentswahl im März 2019 gewonnen und deshalb auch von Kaljulaid den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen hatte, war sie mit dieser Aufgabe gescheitert. Jüri Ratas, der Vorsitzende des zweitplatzierten Zentrums, war damals schneller als sie und schusterte eine Dreiparteienkoalition unter seiner Führung zusammen, die Kallas gleichzeitig die Möglichkeit für eine eigene Parlamentsmehrheit nahm.

Was allerdings nur gelang, weil Kallas sich an ein von den Vorsitzenden dieser beiden größten Parteien des Landes gegebenes Wahlversprechen gehalten hatte, während Ratas das gleich nach der Wahl brach: Keine Koalition mit der rechtsextremen, rassistischen und homophoben Ekre. Die Ekre-Option kam für Kallas auch jetzt – „absolut undenkbar“ – nicht infrage, nachdem die Ratas-Koalition am 13. Januar über Korruptionsvorwürfe zerbrach und sie von der Präsidentin eine zweite Chance bekam.

Binnen eineinhalb Wochen stellte die 43-Jährige eine große Koalition mit der Zentrumspartei auf die Beine. Zwar wurden beim Regierungsprogramm strittige Themen erst einmal ausgeklammert, aber das Wichtigste in diesen Coronazeiten sei doch, „so schnell wie möglich wieder eine funktionsfähige Regierung zu haben“, betonte Kallas.

Prominenter Vater

Nach einem Jurastudium an der Universität Tartu arbeitete sie als Rechtsanwältin und Wirtschaftsjuristin, trat 2010 der Reformpartei bei, für die sie ein Jahr später erstmals ins Parlament gewählt wurde. 2014 wechselte sie ins Europaparlament, wo sie der liberalen Alde-Fraktion angehörte und sich hauptsächlich mit Digitalisierungsfragen beschäftigte. Sie ist mit dem Banker Arvo Hallik verheiratet und hat einen Sohn aus früherer Partnerschaft.

Kaja Kallas hatte es lange schwer, aus einem Schatten herauszutreten, an dem sie sich in der Öffentlichkeit immer messen lassen musste: dem ihres Vaters Siim Kallas. Der war Estlands Zentralbankchef, hatte die dann zwei Jahrzehnte lang auf die Regierungsrolle abonnierte Reformpartei gegründet, war Außen- und Finanzminister, Ministerpräsident und Vizepräsident der EU-Kommission.

Seinem Rat, das Wichtigste sei doch, an der Macht zu bleiben und dafür zur Not auch Kröten wie einen ungeliebten Koalitionspartner zu schlucken, hatte seine Tochter sich – „auch wenn ich mich sonst gern von ihm beraten lasse“ – 2019 widersetzt. Nun gehört der Vater als einer von 60 – bei insgesamt 101 – Riigikogu-Abgeordneten zur künftigen parlamentarischen Regierungsbasis von Kaja Kallas.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.