Buch von Philosoph Peter Sloterdijk: Was machst du hier, Elia?

Mit ironischer Gelassenheit: Peter Sloterdijk entlässt in seinem Buch „Den Himmel zum Sprechen bringen“ die Religion in eine neu verstandene Freiheit.

Sonnenstrahlen durchdringen eine dunkle Wolkendecke

In der Bibel spricht Gott meist nicht selbst Foto: Christian Ohde/fotofinder

Warum schweigt Gott? Viele Gläubige verzweifeln an dieser Frage. Ob nun jungen Menschen die Idee einer stummen Allmacht skurril vorkommt. Oder ob Erwachsene in einer existenziellen Notlage auf ein erlösendes Wort warten. Kommunika­tionsprobleme gehören zum Alltag des Glaubens.

Nun ist es zwar nicht so, dass Gott überhaupt nicht spricht. „Was machst du hier, Elia?“, fragte jenes höhere Wesen, das immer noch so viele verehren, in einem dieser seltenen Momente des Sprechens in der Überlieferung des Alten Testaments den Propheten, der sich vor König Ahab in eine Höhle des Bergs Horeb im Süden Judäas geflüchtet hatte.

Doch das ist die Ausnahme. Als Gott am nämlichen Berg Moses den Auftrag gibt, sein Volk aus der Gefangenschaft in Ägypten zu führen, spricht er nicht selbst zu dem verdutzten Mann. Sondern er kommuniziert durch einen Engel in einem brennenden Busch. In der Regel bedarf es also einer intermedialen Schaltstelle, um Gottes Ratschlüsse unters Volk zu bringen.

Um diese Medien der Vermittlung zwischen den Menschen und der „Divinosphäre“, also der Sphäre des Göttlichen, geht es Peter Sloterdijk in seinem jüngsten Buch. Selbst wenn der Titel erst mal so klingt, als breite der Autor darin Methoden aus, Mario Puzos Paten die Zunge zu lockern. Auch dieser „Godfather“, so der Roman im englischen Original, gefiel sich bekanntlich gern im Schweigen.

Peter Sloterdijk: „Den Himmel zum Sprechen bringen. Über Theopoesie“. Suhrkamp, Berlin 2020, 344 S., 26 Euro.

Zu diesen „mediumistischen Prozeduren“ zählt Sloterdijk nicht nur das „theologeion“, ein Kran mit einer Plattform, auf der im antiken Theater ein Schauspieler mit Maske als problemlösende Instanz in das Drama einschwebte. Und der sich der abgenutzte Ausdruck des „deus ex machina“ verdankt.

Dazu zählt er auch die altisra­e­­litische Bundeslade mit den von Gottes Hand beschriebenen Gesetzestafeln, allerlei Orakelmedien, Zeichenlesekünste und überhaupt jede Art „ethisierender Dichtung, die nach dem gesamten Leben greift“. Vor allem von dieser schönen Formel, mit der Sloterdijk die diversen heiligen Schriften der Weltgeschichte charakterisiert, rührt der Untertitel „Theopoesien“.

„Den Himmel zum Sprechen bringen“ ist, wie man es von dem Kritiker der Zynischen Vernunft erwarten kann, keine scholastische Übung auf dem philologischen Trockendock geworden. Die polemische Reli­gionskritik seiner vor drei Jahren erschienenen Aufsatzsammlung „Nach Gott“ (taz vom 13. 7. 2017) ist in dieser extended version des Bandes freilich nachsichtiger Ironie gewichen.

Etwa, wenn Sloterdijk Jesus, die Kultfigur des Christentums, mit einigem Recht als „kinderlosen, unverheirateten Mann Anfang dreißig ohne feste Adresse und ohne konkrete irdische Perspektiven“, einen „Bindungsverweigerer“, nennt – eine eher zweifelhafte Referenz für familienfreundliche Politik.

Der jüngste Wälzer des 73-jährigen Sloterdijk ist keines der Bücher, mit denen kluge, alte, ehemals agnostische Männer der Religion kurz vor Toresschluss einen späten Tribut zollen. Was den Band so spannend und lesenswert macht, ist, wie souverän und quellensatt der Philosoph diese seltsame Sache aus der kulturgeschichtlichen Evolution herleitet.

Die jeweiligen Evangelien sieht er aus der „Gärung primärer Fabeln und ihrer Symbole“ wachsen. In diesem Prozess trennt sich die Lektüre langsam vom Ritual, aus der devoten Legende wird schließlich die Novelle. Boccaccios „Decamerone“ interpretiert Sloterdijk als „Brückenkopf einer Wahrheitssuche“ gegen die fromme Lüge wie die politische Lobrede gleichermaßen.

Und das „Verlangen nach Erlösung“ am Anfang jeder Religion säkularisiere sich darin langsam, aber sicher zu dem „Streben nach Erleichterung“ – notfalls auch mit Hilfe chemischer Substitute der göttlichen Gnade.

Manche Abschweifung

Mit Wendungen wie dieser schließt Sloterdijk immer wieder die abgesunkene Überlieferung mit dem postmodernen Hier und Heute kurz. Auf diesem Kreuzweg des Intellekts müssen Lesende freilich manche Abschweifung in Kauf nehmen – von Platons „Neustart des Wahrheitsgeschehens“ bis zu Karls Barths „Religion als Unglaube“.

Diese langsame Erhebung und Verwandlung der Religion aus dem Urschlamm der Mythen heißt für Sloterdijk nun nicht, dass sie – abseits des wiedererwachten Interesses an „bizarren Ritualen“ und „vernunftfernen Verzauberungen“ – harmlos geworden wäre.

Er sieht Christentum und Islam gleichermaßen als „gewalt­entschlossene Elitebewegung“ mit der „Lizenz zur Eindringlichkeit“. Wer nur mit dem Finger auf den Dschihad zeigt, hat die „militia christia“ der Kreuzritter vergessen. Mögen derlei Fundamentalismen auch immer wieder aufkeimen: auf lange kulturgeschichtliche Sicht ist Sloterdijks These, dass sich die „Disziplinen und Instanzen rationaler Praxis“ von Göttermythos, Ritus und Opferhandlung so entkoppelt hätten, dass Religion(en) ihre soziale Zentralstellung verloren hätte(n), schwer widerlegbar.

Wahrheitspotential der Religion

In seiner Wende zur „postsäkularen Philosophie“ nach 9/11 empfahl Jürgen Habermas seinerzeit den säkularen Liberalen das „Wahrheitspotential“ der Religion. Für seinen Kollegen Slo­terdijk ist Religion nur mehr der „Rest“ des Prozesses der Säkularisierung mit seinen vielen Produkten von der Ökonomie bis zur Unterhaltungsliteratur.

Gebunden sei das immer an die Schriftlichkeit. Folgt man dieser Logik, wären Religionskritiker besser beraten, eine gesellschaftliche Generalinitiative in Sachen öffentliche Bibliotheken zu starten, als sich die Stimme mit Blasphemie zu ruinieren.

Mit seiner Argumentation verpasst Sloterdijk jedenfalls dem Begriff „Religionsfreiheit“ einen interessanten entlastenden Dreh. Die soziale Sinnstiftung liefern die „vom Bürgergeist getragenen Ersatzbildungen“. Mit der Kunst und der Philosophie müsse Religion nun um das konkurrieren, was ihr letzter Grund ist: die Deutung der Existenz. Vom Rest, so darf man folgern, kann sie ruhig auch mal schweigen.

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