Internationale Justiz und Russland: Tolerant gegenüber Folter

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Russland wegen Verletzungen von Menschenrechten nach dem Südossetienkrieg 2008.

Mann mit nacktem Oberkörper schaut auf Glassplitter in einem Kindergarten

Zerstörter Kindergarten im georgischen Gori, 80 Kilometer von der Hauptstadt Tiflis entfernt Foto: David Mdzinarishvili/reuters

FREIBURG taz | Russland hat nach dem Südossetienkrieg 2008 Menschenrechtsverletzungen an georgischen ZivilistInnen und SoldatInnen „offiziell toleriert“. Dies stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg fest und verurteilte Russland auf Klage von Georgien. Ob und wie viel Entschädigung Russland zahlen muss, wird erst später entschieden.

Südossetien ist ein Gebiet mit rund 50.000 EinwohnerInnen im Norden von Georgien. Sein Status ist umstritten. Georgien hat die von Russland unterstützte Abspaltung nie akzeptiert. Südossetien versteht sich als selbständiger Staat, den aber nur fünf anderen Staaten, darunter Russland, anerkennen.

Im zweiten südossetischen Krieg griff die georgische Artillerie im August 2008 die süd­ossetische „Hauptstadt“ Zchinwali an, angeblich um einem russischen Angriff zuvorzukommen. Russland schlug die georgischen Truppen aber schnell zurück und besetzte bis Oktober 2008 sogar Teile Georgiens.

Georgien rief schon 2008 den EGMR an und verklagte Russland wegen Menschenrechtsverletzungen während und nach den Kämpfen. 2011 ließ der Gerichtshof die Klage zu, aber erst im Mai 2018 kam es zur mündlichen Verhandlung. Bis zu einem Urteil vergingen nun erneut zweieinhalb Jahre.

Heikles Verfahren

Es war offensichtlich eines der heikelsten Verfahren, das der EGMR je durchzuführen hatte. Der Straßburger Gerichtshof hat nichts mit der EU zu tun, sondern ist Teil des Europarats, zu dem 47 Staaten gehören, inklusive Russland, die Türkei und die Schweiz.

Der EGMR entschied nun, dass die georgische Klage teilweise unzulässig ist, soweit sie Vorkommnisse während der Kämpfe betrifft. In dieser Phase des Krieges habe Russland keine Hoheitsgewalt über Süd­ossetien und die Pufferzone ausgeübt. Deshalb sei die Europäische Menschenrechtskonvention während jener Tage nicht anwendbar gewesen. Dieser Teil des Urteils war in der Großen Kammer des Gerichts am umstrittensten. Sechs der 17 RichterInnen waren anderer Meinung.

Große Einigkeit bestand aber darüber, dass Russland nach Abschluss eines Waffenstillstands in der Region Hoheitsgewalt hatte. Russland wurde daher auch für Handlungen der südossetischen Behörden und Milizen verantwortlich gemacht. Die russische Armee habe menschenrechtswidrige Handlungen der SüdossetInnen „offiziell toleriert“, sie habe trotz teilweiser Anwesenheit nicht interveniert, die Vorgänge nicht untersucht und die AkteuerInnen nicht bestraft. Das Urteil fiel insoweit mit 17:0 oder 16:1 Richterstimmen.

Konkret ging es um das Niederbrennen und Plündern von georgischen Häusern, die Folter georgischer Kriegsgefangener und die zweiwöchige Internierung von 160 Älteren und Frauen im Keller des südossetischen Innenministeriums unter menschenunwürdigen Umständen.

Verhinderte Rückkehr

Auch die verhinderte Rückkehr von vertriebenen ethnischen GeorgierInnen in ihre Dörfer in Südossetien wertete der EGMR als Verletzung der Menschenrechtskonvention. Die Vertreibung bestand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Mai 2018 noch fort. An diesem Punkt könnte sich auch zeigen, inwieweit Russland konstruktiv an einer Umsetzung des Urteils mitwirkt.

Üblicherweise verurteilt der EGMR einen Staat, der die Menschenrechte verletzt hat, zur Entschädigung der Betroffenen. In diesem Fall befand der EGMR die Entschädigungsfrage aber für noch nicht entscheidungsreif. Die Festlegung einer Entschädigung kann Jahre dauern. Az.: 38263/08

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